a. Ägyptische Skulptur


Wenn wir historisch in Griechenland die klassische Kunst der Skulptur aufzusuchen im Begriff sind, so begegnet uns, ehe wir bei diesem Ziel anlangen, sogleich die ägyptische Kunst auch als Skulptur, und zwar nicht nur in Rücksicht auf die großen, von der höchsten Technik und Ausarbeitung zeugenden Werke in einem ganz eigentümlichen Kunststil, sondern auch als ein Ausgangspunkt und Quelle für die Formen der griechischen Plastik. Daß dies letztere auch der wirklichen Geschichte nach als eine äußerliche Berührung, ein Aufnehmen und Lernen von selten griechischer Künstler der Fall sei, muß in betreff auf die Bedeutung der dargestellten Götterbilder auf dem Felde der Mythologie in Ansehung der künstlerischen Behandlungsweise durch die Kunstgeschichte ausgemacht werden. Der Zusammenhang der griechischen und ägyptischen Vorstellungen von den Göttern ist durch Herodot beglaubigt und erwiesen, den äußeren Zusammenhang der Kunst glaubt Creuzer besonders in den Münzen am sichtbarsten zu finden und hält vornehmlich viel auf altattische Münzen. Er zeigte mir eine, die er besaß und in welcher allerdings das Gesicht, ein Profil, ganz den Schnitt der Physiognomien ägyptischer Bilder hatte (1821). Doch dies rein Historische können wir hier auf sich beruhen lassen und haben nur darauf zu sehen, ob statt dessen ein innerer notwendiger Zusammenhang aufzuzeigen ist. Diese Notwendigkeit habe ich schon oben berührt. Dem Ideal, der vollkommenen Kunst, muß die unvollkommene vorausgehen, durch deren Negation, d. h. durch Abstreifung der ihr noch anklebenden Mangel, sich das Ideal erst zum Ideal wird. In dieser Beziehung hat die klassische Kunst allerdings ein Werden, das jedoch außerhalb ihrer ein selbständiges Dasein erhalten muß, da sie als klassische alle Bedürftigkeit, alles Werden hinter sich haben und in sich vollendet sein muß. Dies Werden als solches nun besteht darin, daß der Gehalt der Darstellung erst dem Ideal beginnt entgegenzugehen, doch einer idealen Auffassung unfähig bleibt, indem er noch der symbolischen Anschauung angehört, welche das Allgemeine der Bedeutung und die individuelle anschaubare Gestalt noch nicht in eins zu bilden imstande ist. Daß die ägyptische Skulptur solch einen Grundcharakter hat, ist das einzige, was ich hier kurz andeuten will.

α) Das nächste, dessen zu erwähnen wäre, ist der Mangel an innerer, schöpferischer Freiheit, aller Vollendung der Technik zum Trotz. Die griechischen Skulpturwerke gehen aus der Lebendigkeit und Freiheit der Phantasie hervor, welche die vorhandenen religiösen Vorstellungen zu individuellen Gestalten umschafft und sich in der Individualität dieser Produktion ihre eigene ideale Anschauung und klassische Vollendung objektiv macht. Die ägyptischen Götterbilder dagegen behalten einen statarischen Typus; wie schon Platon (De legibus, lib. II, Steph. 656) sagt: Die Darstellungen waren von alters her von den Priestern bestimmt, und weder den Malern noch anderen Meistern in Figuren war es erlaubt, Neues zu machen, noch etwas anderes zu erfinden als das Heimische, Urväterliche, noch ist es jetzt erlaubt. Du wirst daher finden, daß, was vor einer Myriade von Jahren (und zwar nicht Myriade, wie man so zu sagen pflegt, sondern wirklich soviel) gemacht oder gebildet worden ist, weder schöner noch häßlicher ist als das heutigentags Gearbeitete. - Mit dieser statarischen Treue war der Umstand verbunden, daß in Ägypten, wie aus Herodot (II, 167) hervorgeht, die Künstler nur geringer Achtung genossen und mit ihren Kindern allen anderen Bürgern nachstehen mußten, die keine Kunstgewerbe trieben. Außerdem wird die Kunst hier nicht aus freiem Antriebe gehandhabt, sondern bei der Herrschaft der Kasten folgte der Sohn dem Vater nicht nur überhaupt in Rücksicht auf seinen Stand, sondern auch in der Art der Ausübung seines Gewerbes und seiner Kunst, und einer setzte den Fuß in die Spur des anderen, so daß, wie schon Winckelmann sich ausdrückt (Bd. III, 2. Buch, Kap. 1, S. 74), »niemand scheinet einen Fußstapfen gelassen zu haben, welcher dessen eigener heißen konnte«. Dadurch erhielt sich die Kunst in dieser festen Gebundenheit des Geistes, mit welcher die Beweglichkeit des freien, künstlerischen Genies, der Trieb nicht der äußeren Ehre und Belohnung, aber der höhere Trieb verbannt ist, Künstler zu sein, d. h. nicht als Handwerker auf mechanische, abstrakt allgemeine Weise nach fertig vorhandenen Formen und Regeln zu arbeiten, sondern die eigene Individualität in seinem Werke als der eigenen spezifischen Schöpfung zu erblicken.

β) Was nun zweitens die Kunstwerke selbst betrifft, so gibt Winckelmann, dessen Schilderungen auch hier wiederum große Feinheit der Beobachtung und Unterscheidung beweisen, den Charakter der ägyptischen Skulptur in den Hauptzügen folgendermaßen an (Bd. III, 2. Buch, Kap. 2, S. 77-84).

Im allgemeinen geht der ganzen Gestalt und ihren Formen die Grazie und Lebendigkeit ab, welche durch den eigentlich organischen Schwung der Linien hervorkommt; die Umrisse sind gerade und in wenig ausschweifenden Linien, die Stellung erscheint gezwungen und steif, die Füße dicht aneinandergedrängt, und wenn sie bei stehenden Figuren auch der eine vor den anderen gesetzt sind, bleiben sie doch von gleicher Richtung und sind nicht auswärts gekehrt; ebenso hängen die Arme an männlichen Figuren, gerade und fest angedrückt, am Leibe herunter. Die Hände, sagt Winckelmann ferner, haben eine Form wie an Menschen, welche nicht übelgebildete Hände verdorben oder vernachlässigt haben, die Füße aber sind platter und ausgebreiteter, die Zehen gleich lang und die kleine Zehe weder gekrümmt noch einwärts gebogen, sonst jedoch Hände, Nägel, Zehen nicht übel gestaltet, wenn auch an Fingern und Zehen die Gelenke nicht angedeutet werden; wie denn auch an allen übrigen nackten Teilen die Muskeln und Knochen wenig, Nerven und Adern gar nicht bezeichnet sind, so daß im Detail, ungeachtet der mühevollen und geschickten Ausführung, doch diejenige Art der Ausarbeitung fehlt, welche der Gestalt erst die eigentliche Beseelung und Lebendigkeit erteilt. Die Knie dagegen, die Knöchel und der Ellenbogen zeigen sich, wie in der Natur, erhaben. Männliche Figuren zeichnen sich besonders durch einen ungewöhnlich schmalen Leib über den Hüften aus; der Rücken wird wegen der Säule, an welche die Statuen gelehnt und mit derselben aus einem Stücke gearbeitet sind, nicht sichtbar.

Mit dieser Unbeweglichkeit nun, die nicht etwa als bloße Ungeschicklichkeit der Künstler, sondern als ursprüngliche Anschauung von den Götterbildern und ihrer geheimnistiefen Ruhe anzusehen ist, verbindet sich zugleich die Situationslosigkeit und der Mangel an jeder Art der Handlung, welche sich in der Skulptur durch Stellung und Bewegung der Hände, durch Gebärde und Ausdruck der Züge kundgibt. Denn wir finden zwar unter den ägyptischen Darstellungen an Obelisken und Wänden viel bewegte Figuren, doch nur als Reliefs und meist bemalt.

Um noch einiges Nähere anzuführen, so liegen die Augen nicht etwa, wie im griechischen Ideal, tief, sondern stehen im Gegenteil fast mit der Stirne gleich und sind platt und schräg gezogen, die Augenbrauen, Augenlider und Ränder der Lippen sind meist durch eingegrabene Linien angegeben oder die Brauen durch einen erhobeneren Streifen bezeichnet, der bis in die Schläfe reicht und dort eckig abgeschnitten ist. Was hier also vor allem fehlt, ist das Hervorstehen der Stirn und damit zugleich bei ungewöhnlich hochstehenden Ohren und eingebogenen Nasen, wie in der gemeinen Natur, das Zurücktreten der Backenknochen, die im Gegenteil stark angedeutet und herausgehoben sind, wogegen das Kinn immer zurückgezogen und klein ist, der streng verschlossene Mund seine Winkel statt unterwärts mehr aufwärts zieht und die Lippen nur durch einen bloßen Einschnitt voneinander gesondert erscheinen. Im ganzen mangelt daher den Gestalten nicht nur die Freiheit und Lebendigkeit, sondern dem Kopfe vornehmlich der Ausdruck der Geistigkeit, indem das Tierische vorwaltet und dem Geiste zu selbständiger Erscheinung herauszutreten noch nicht vergönnt.

Tiere dagegen sind, nach Winckelmanns Bericht, mit vielem Verständnisse und einer zierlichen Mannigfaltigkeit sanft ablenkender Umrisse und flüssig unterbrochener Teile ausgeführt, und wenn sich schon in den menschlichen Gestalten das geistige Leben noch von dem animalischen Typus nicht befreit und zum Ideal mit dem Sinnlichen und Natürlichen in neuer, freier Weise nicht verschmolzen hat, so zeigt sich die spezifisch symbolische Bedeutung sowohl der menschlichen als auch der tierischen Gestalten ausdrücklich in jenen auch durch die Skulptur dargestellten Gebilden, in welchen menschliche und tierische Formen in eine rätselhafte Verbindung treten.

γ) Die Kunstwerke, welche diesen Charakter noch an sich tragen, bleiben deshalb auf einer Stufe stehen, die den Bruch von Bedeutung und Gestalt noch nicht überwunden hat, weil für sie die Bedeutung noch das Hauptsächlichste ist und es daher mehr auf die Vorstellung derselben in ihrer Allgemeinheit als auf die Einlebung in eine individuelle Gestalt und auf den Genuß der künstlerischen Anschauung ankommt.

Die Skulptur geht hier noch aus dem Geiste eines Volkes hervor, von dem man einerseits sagen kann, daß es erst bis zum Bedürfnis des Vorstellens hindurchgedrungen sei, indem es sich damit begnügt, in dem Kunstwerke das angedeutet zu finden, was in der Vorstellung, und hier zwar, was in der religiösen Vorstellung liegt. Wir dürfen deshalb die Ägypter, wie weit sie es auch in dem Fleiße und der Vollendung der technischen Ausführung gebracht haben, dennoch in betreff der Skulptur noch ungebildet nennen, insofern sie für ihre Gestalten noch nicht die Wahrheit, Lebendigkeit und Schönheit fordern, durch die das freie Kunstwerk beseelt wird. Allerdings bleiben die Ägypter andererseits nicht bei der bloßen Vorstellung und deren Bedürfnissen stehen, sondern gehen auch zur Anschauung und Veranschaulichung menschlicher und tierischer Gestalten fort, ja sie wissen sogar die Formen, die sie wiedergeben, ohne Verzerrung, klar, in richtigen Verhältnissen aufzufassen und hinzustellen, aber sie hauchen ihnen weder das Leben ein, welches die menschliche Gestalt sonst schon in der Wirklichkeit hat, noch das höhere Leben, durch welches sich ein Wirken und Weben des Geistes in diesen ausdrücken könnte. Ihre Werke zeigen im Gegenteil nur einen lebloseren Ernst, ein unaufgeschlossenes Geheimnis, so daß die Gestalt nicht ihr eigenes individuelles Inneres, sondern eine ihr noch fremde weitere Bedeutung ahnen lassen soll. Um nur ein Beispiel anzuführen, so ist eine häufig wiederkehrende Figur die Isis, welche den Horus auf den Knien hält. Hier haben wir, äußerlich genommen, denselben Gegenstand wie in der christlichen Kunst Maria mit dem Kinde. In der ägyptischen symmetrischen, geradlinigen, unbeweglichen Stellung aber zeigt sich, wie neuerdings gesagt ist (Cours d'Archeologie par Raoul Rochette, 1 -12me legon. Paris 1828; Kunstblatt Nr. 8 zum Morgenblatt für gebildete Stände, 1829), »weder eine Mutter noch ein Kind; keine Spur von Neigung, von Lächeln oder Liebkosung, kurz, nicht der geringste Ausdruck irgendeiner Art. Ruhig, unrührbar, unerschüttert ist diese göttliche Mutter, die ihr göttliches Kind säugt, oder vielmehr, es ist weder Göttin noch Mutter noch Sohn noch Gott; es ist nur das sinnliche Zeichen eines Gedankens, der keines Affekts und keiner Leidenschaft fähig ist, nicht die wahre Darstellung einer wirklichen Handlung, noch weniger der richtige Ausdruck eines natürlichen Gefühls.«

Dies eben macht den Bruch von Bedeutung und Dasein und die Bildungslosigkeit für die Kunstanschauung bei den Ägyptern aus. Ihr innerer, geistiger Sinn ist noch so verdumpft, daß er nicht das Bedürfnis der Präzision einer wahren und lebendigen, bis zur Bestimmtheit durchgeführten Darstellung hegt, zu welcher das anschauende Subjekt nichts hinzuzutun, sondern sich nur, da vom Künstler alles gegeben ist, empfangend und reproduzierend zu verhalten braucht. Es muß schon ein höheres Selbstgefühl der eigenen Individualität, als die Ägypter es haben, erwacht sein, um sich nicht mit dem Unbestimmten und Obenhinigen in der Kunst zu begnügen, sondern den Anspruch auf Verstand, Vernünftigkeit, Bewegung, Ausdruck, Seele und Schönheit bei Kunstwerken geltend zu machen.


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