a. Die einzelne Statue


Was die einzelne Statue anbetrifft, so ist ihre ursprüngliche Aufgabe die echte Aufgabe der Skulptur überhaupt, Tempelbilder zu verfertigen, wie sie in der Halle des Tempels aufgestellt wurden, wo die ganze Umgebung sich auf sie bezog.

α) Hier bleibt die Skulptur in ihrer gemäßesten Reinheit, indem sie die Göttergestalt situationslos, in schöner, einfacher, tatloser Ruhe oder doch frei, unangefochten, ohne bestimmte Handlung und Verwicklung, wie ich es schon mehrfach geschildert habe, in unbefangenen Situationen ausführt.

β) Das nächste Heraustreten der Gestalt aus dieser strengeren Hoheit oder seligen Versenkung besteht darin, daß in der ganzen Stellung sich der Beginn einer Handlung oder das Ende derselben andeutet, ohne daß dadurch die göttliche Ruhe gestört und die Gestalt in Konflikt und Kampf dargestellt wird. Von dieser Art sind die berühmte Mediceische Venus und der Apoll von Belvedere. Zu Lessings und Winckelmanns Zeit wurde diesen Statuen als den höchsten Idealen der Kunst eine unbeschränkte Bewunderung gezollt; jetzt sind sie, seitdem man im Ausdruck tiefere und in den Formen lebendigere und gründlichere Werke hat kennenlernen, in ihrem Werte etwas heruntergedrückt, und man setzt sie in eine schon spätere Zeit, in welcher die Glätte der Ausarbeitung schon das Gefällige und Angenehme im Auge hat und nicht mehr im strengen echten Stil beharrt. Ein englischer Reisender nennt sogar (Morning Chroniclevom 26. Juli 1825) den Apollo geradezu einen theatralischen Stutzer (a theatrical coxcomb), und der Venus gibt er zwar große Sanftheit, Süße, Symmetrie und schüchterne Grazie zu, aber nur eine fehlerlose Geistlosigkeit, eine negative Vollkommenheit und - a good deal of insipidity. Wir können die Fortbewegung aus jener strengeren Stille und Heiligkeit allgemein so fassen. Die Skulptur ist allerdings die Kunst des hohen Ernstes, aber dieser hohe Ernst der Götter, da dieselben keine Abstraktionen, sondern individuelle Gestaltungen sind, führt ebenso die absolute Heiterkeit und dadurch den Reflex auf das Wirkliche und Endliche mit sich, in welchem die Heiterkeit der Götter nicht das Gefühl des Versenktseins in solchen endlichen Gehalt, aber das Gefühl der Versöhnung, der geistigen Freiheit und des Beisichseins ausdrückt.

γ) Darum hat die griechische Kunst sich in die ganze Heiterkeit des griechischen Geistes ergossen und ein Wohlgefallen, eine Freude und Beschäftigung an einer unendlichen Menge höchst erfreulicher Situationen gefunden. Denn nachdem sie einmal aus den steiferen Abstraktionen des Darstellens sich zur Hochachtung der lebendigen Individualität, die alles in sich vereinigt, herausgerungen hatte, so ward ihr das Lebendige und Heitere lieb, und die Künstler ergingen sich nun in einer Mannigfaltigkeit von Darstellungen, welche aber nicht ins Peinliche, Grausige, Verschrobene und Quälende abschweifen, sondern in der Grenze harmloser Menschlichkeit bleiben. Die Alten haben nach dieser Seite hin viel Skulpturwerke von der höchsten Vortrefflichkeit geliefert. Ich will hier von den vielfachen mythologischen Gegenständen scherzhafter, aber ganz reiner, heiterer Natur nur die Spiele Amors anführen, welche schon näher an die gewöhnliche Menschlichkeit herantreten, sowie andere, in denen die Lebendigkeit der Darstellung das Hauptinteresse ist und das Aufgreifen und die Beschäftigung mit solchen Stoffen die Heiterkeit und Harmlosigkeit selbst ausmacht. In dieser Sphäre z. B. waren der Würfelspieler und Trabant des Polyklet so geschätzt als seine argivische Hera; eines gleichen Ruhmes erfreute sich der Diskuswerfer und Läufer des Myron; wie lieblich ferner und gepriesen ist nicht der sitzende Knabe, der sich einen Dorn aus der Ferse zieht, und andere Darstellungen ähnlichen Inhalts kennt man in Menge zum Teil dem Namen nach. Es sind dies der Natur abgelauschte Momente, die flüchtig vorübergehen, hier aber vom Bildner fixiert erscheinen.


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