c. Christliche Skulptur


Was dagegen die christliche Skulptur anbetrifft, so hat dieselbe von Hause aus ein Prinzip der Auffassung und Darstellungsweise, welches mit dem Material und den Formen der Skulptur nicht so unmittelbar zusammenfällt, als dies im klassischen Ideal der griechischen Phantasie und Kunst der Fall ist. Denn das Romantische, wie wir im zweiten Teile sahen, hat es wesentlich mit dem aus der Äußerlichkeit in sich gegangenen Inneren, mit der geistigen, auf sich bezogenen Subjektivität zu tun, welche zwar im Äußeren erscheint, dies Äußere aber sich für sich seiner Partikularität nach ergehen läßt, ohne es zu einer Verschmelzung mit dem Inneren und Geistigen zu nötigen, wie das Ideal der Skulptur es fordert. Schmerz, Qual des Leibes und Geistes, Marter und Buße, Tod und Auferstehung, die geistige subjektive Persönlichkeit, die Innigkeit, Liebe, Herz und Gemüt, dieser eigentliche Inhalt der religiösen romantischen Phantasie ist kein Gegenstand, für welchen die abstrakte Außengestalt als solche in ihrer räumlichen Totalität und das Materielle in seinem nicht ideell gesetzten sinnlichen Dasein die schlechthin gemäße Form und das ebenso kongruente Material liefern könnten. Die Skulptur gibt deshalb im Romantischen auch nicht den Grundzug für die übrigen Künste und das gesamte Dasein, wie in Griechenland, ab, sondern weicht der Malerei und Musik als den gemäßeren Künsten der Innerlichkeit und der freien, vom Inneren durchzogenen Partikularität des Äußeren. Wir finden zwar auch in christlicher Zeit die Skulptur in Holz, Marmor, Erz, Silber- und Goldarbeiten vielfach ausgeübt und oft zu großer Meisterschaft gebracht, doch ist sie nicht die Kunst, welche, wie die griechische Skulptur, das wahrhaft gemäße Bild des Gottes aufstellt. Die religiöse romantische Skulptur bleibt im Gegenteil mehr als die griechische ein Schmuck der Architektur. Die Heiligen stehen meist in Nischen der Türmchen und Strebepfeiler oder an den Eingangstüren - während die Geburt, die Taufe, die Leidens- und Auferstehungsgeschichte und so viele andere Begebnisse aus dem Leben Christi, die großen Anschauungen des Weltgerichts usf. sogleich durch ihre innere Mannigfaltigkeit zum Relief über Kirchtüren, an Kirchenmauern, Taufbecken, Chorstühlen usf. hinleiten und sich leicht zum Arabeskenartigen herüberneigen. Überhaupt erhält hier um der geistigen Innerlichkeit willen, deren Ausdruck vorwaltet, die gesamte Skulptur in höherem Grade ein malerisches Prinzip, als dies der idealen Plastik erlaubt ist. Auf der anderen Seite ergreift die Skulptur das mehr gewöhnliche Leben und dadurch das Porträtartige, das sie auch, wie in der Malerei, aus den religiösen Darstellungen nicht entfernt hält. Der Gänsemann z. B. auf dem Markte zu Nürnberg, der von Goethe und Meyer sehr geschätzt wird, ist ein Bau-ernkerl von höchst lebendiger Darstellung in Erz (denn in Marmor ging's nicht), der auf jedem Arm eine Gans zum Verkauf trägt. Auch die vielen Skulpturen, die sich an der St.-Sebaldus-Kirche und an so vielen anderen Kirchen und Gebäuden, besonders aus der dem Peter Vischer vorangehenden Epoche, vorfinden und religiöse Gegenstände, aus der Leidensgeschichte z. B., darstellen, geben von dieser Art des Partikularen der Gestalt des Ausdrucks, der Mienen und Gebärden, hauptsächlich in den Gradationen des Schmerzes, eine deutliche Anschauung.

Am meisten bleibt deshalb die romantische Skulptur, welche häufig genug zu den größten Verirrungen abgeschweift ist, dem eigentlichen Prinzip der Plastik da getreu, wo sie sich den Griechen enger wieder anschließt und nun entweder antike Stoffe im Sinne der Alten selber oder Standbilder von Helden und Königen und Porträts skulpturmäßig zu behandeln und der Antike anzunähern bemüht ist. Dies ist besonders heutigentags der Fall. Doch hat die Skulptur auch im Felde religiöser Gegenstände Vortreffliches zu leisten gewußt. Ich will in dieser Beziehung nur an Michelangelo erinnern. Seinen toten Christus, von dem hier in der königlichen Sammlung ein Abguß vorhanden ist, kann man nicht genugsam bewundern. Das Marienbild in der Frauenkirche zu Brügge, ein vorzügliches Werk, wollen einige nicht für echt gelten lassen; vor allem aber hat mich das Grabmal des Grafen von Nassau zu Breda angezogen. Der Graf liegt mit seiner Gattin lebensgroß aus weißem Alabaster auf einer schwarzen Marmorplatte. Auf der Ecke des Steines stehen Regulus, Hannibal, Cäsar und ein römischer Krieger in gebeugter Stellung und tragen über sich eine der unteren ähnliche schwarze Platte. Nichts ist interessanter, als einen Charakter wie den des Cäsar von Michelangelo vorgestellt zu sehen. Für religiöse Gegenstände jedoch gehört der Geist, die Macht der Phantasie, die Kraft, Gründlichkeit, Kühnheit und Tüchtigkeit eines solchen Meisters dazu, um das plastische Prinzip der Alten mit der Art der Beseelung, die im Romantischen liegt, in solcher produktiven Eigentümlichkeit verbinden zu können. Denn die ganze Richtung des christlichen Sinns, wie gesagt, ist, wo die religiöse Anschauung und Vorstellung an der Spitze steht, nicht auf die klassische Form der Idealität gerichtet, welche die nächste und höchste Bestimmung der Skulptur ausmacht.

Von hier ab können wir den Übergang aus der Skulptur in ein anderes Prinzip der künstlerischen Auffassung und Darstellung machen, das zu seiner Realisation nun auch eines anderen sinnlichen Materials bedarf. In der klassischen Skulptur war es die objektive substantielle Individualität als menschliche, welche den Mittelpunkt abgab und die menschliche Gestalt als solche so hoch stellte, daß sie dieselbe abstrakt als bloße Schönheit der Gestalt festhielt und für das Göttliche aufbewahrte. Deshalb ist nun aber der Mensch, wie er hier dem Inhalt und der Form nach in die Darstellung eingeht, nicht der volle, ganze konkrete Mensch; der Anthropomorphismus der Kunst bleibt in der alten Skulptur unvollendet. Denn was ihm abgeht, ist ebensosehr die Menschheit in ihrer objektiven und zugleich mit dem Prinzip absoluter Persönlichkeit identifizierten Allgemeinheit als auch dasjenige, was man so gewöhnlich das Menschliche nennt, das Moment subjektiver Einzelheit, menschlicher Schwachheit, Besonderheit, Zufälligkeit, Willkür, unmittelbarer Natürlichkeit, Leidenschaft usf., ein Moment, welches in jene Allgemeinheit hineingenommen sein muß, damit die ganze Individualität, das Subjekt in seinem totalen Umfange und in dem unendlichen Kreise seiner Wirklichkeit als Prinzip des Inhalts und der Darstellungsweise erscheinen könne. In der klassischen Skulptur kommt das eine dieser Momente, das Menschliche, seiner unmittelbaren Naturseite nach teils nur in Tieren, Halbtieren, Faunen usf. zum Vorschein, ohne in die Subjektivität zurückgerufen und in ihr negativ gesetzt zu sein, teils geht diese Skulptur an ihr selbst in das Moment der Besonderheit und Richtung nach außen nur in dem gefälligen Stile, in den tausend Heiterkeiten und Einfallen über, zu denen auch die antike Plastik sich herausbewegt. Dagegen fehlt ihr durchaus das Prinzip der Tiefe und Unendlichkeit des Subjektiven, der inneren Versöhnung des Geistes mit dem Absoluten, der ideellen Einigung des Menschen und der Menschheit mit Gott. Den Inhalt, der diesem Prinzip gemäß in die Kunst hereinkommt, bringt zwar die christliche Skulptur zur Anschauung, doch gerade diese Kunstdarstellung zeigt, daß die Skulptur für die Verwirklichung dieses Inhalts nicht genüge, so daß noch andere Künste auftreten müßten, um das ins Werk zu setzen, was die Skulptur zu erreichen unfähig bleibt. Diese neuen Künste, indem sie der romantischen Kunstform am entsprechendsten sind, können wir unter dem Namen der romantischen Künste zusammenfassen.


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