a. Vergleich mit den bildenden Künsten und der Poesie

 

ββ) Was nun aber die Poesie an äußerer Objektivität verliert, indem sie ihr sinnliches Element, soweit es nur irgend der Kunst vergönnt werden darf, zu beseitigen weiß, das gewinnt sie an innerer Objektivität der Anschauungen und Vorstellungen, welche die poetische Sprache vor das geistige Bewußtsein hinstellt. Denn diese Anschauungen, Empfindungen, Gedanken hat die Phantasie zu einer in sich selbst fertigen Welt von Begebenheiten, Handlungen, Gemütsstimmungen und Ausbrüchen der Leidenschaft zu gestalten und bildet in dieser Weise Werke aus, in welchen die ganze Wirklichkeit sowohl der äußeren Erscheinung als dem inneren Gehalt nach für unsere geistige Empfindung Anschauung und Vorstellung wird. Dieser Art der Objektivität muß die Musik, insofern sie sich in ihrem eigenen Felde selbständig halten will, entsagen. Das Tonreich nämlich hat, wie ich bereits angab, wohl ein Verhältnis zum Gemüt und ein Zusammenstimmen mit den geistigen Bewegungen desselben; weiter aber als zu einem immer unbestimmteren Sympathisieren kommt es nicht, obschon nach dieser Seite hin ein musikalisches Werk, wenn es aus dem Gemüte selbst entsprungen und von reicher Seele und Empfindung durchzogen ist, ebenso reichhaltig wieder zurückwirken kann. - Unsere Empfindungen gehen ferner auch sonst schon aus ihrem Elemente der unbestimmten Innigkeit in einem Gehalt und der subjektiven Verwebung mit demselben zur konkreteren Anschauung und allgemeineren Vorstellung dieses Inhalts hinüber. Dies kann nun auch bei einem musikalischen Werke geschehen, sobald die Empfindungen, die es in uns seiner eigenen Natur und künstlerischen Beseelung nach erregt, sich in uns zu näheren Anschauungen und Vorstellungen ausbilden und somit auch die Bestimmtheit der Gemütseindrücke in festeren Anschauungen und allgemeineren Vorstellungen zum Bewußtsein bringen. Dies ist dann aber unsere Vorstellung und Anschauung, zu der wohl das Musikwerk den Anstoß gegeben, die es jedoch nicht selber durch seine musikalische Behandlung der Töne unmittelbar hervorgebracht hat. Die Poesie hingegen spricht die Empfindungen, Anschauungen und Vorstellungen selber aus und vermag uns auch ein Bild äußerer Gegenstände zu entwerfen, obgleich sie ihrerseits weder die deutliche Plastik der Skulptur und Malerei noch die Seeleninnigkeit der Musik erreichen kann und deshalb unsere sonstige sinnliche Anschauung und sprachlose Gemütsauffassung zur Ergänzung heranrufen muß.

γγ) Drittens aber bleibt die Musik nicht in dieser Selbständigkeit gegen die Dichtkunst und den geistigen Gehalt des Bewußtseins stehen, sondern verschwistert sich mit einem durch die Poesie schon fertig ausgebildeten und als Verlauf von Empfindungen, Betrachtungen, Begebnissen und Handlungen klar ausgesprochenen Inhalt. Soll jedoch die musikalische Seite eines solchen Kunstwerkes das Wesentliche und Hervorstechende desselben bleiben, so darf die Poesie als Gedicht, Drama usf. nicht für sich mit dem Anspruch auf eigentümliche Gültigkeit heraustreten. Überhaupt ist innerhalb dieser Verbindung von Musik und Poesie das Übergewicht der einen Kunst nachteilig für die andere. Wenn daher der Text als poetisches Kunstwerk für sich von durchaus selbständigem Wert ist, so darf derselbe von der Musik nur eine geringe Unterstützung erwarten; wie z. B. die Musik in den dramatischen Chören der Alten eine bloß untergeordnete Begleitung war. Erhält aber umgekehrt die Musik die Stellung einer für sich unabhängigeren Eigentümlichkeit, so kann wiederum der Text seiner poetischen Ausführung nach nur oberflächlicher sein und muß für sich bei allgemeinen Empfindungen und allgemein gehaltenen Vorstellungen stehenbleiben. Poetische Ausarbeitungen tiefer Gedanken geben ebensowenig einen guten musikalischen Text ab als Schilderungen äußerer Naturgegenstände oder beschreibende Poesie überhaupt. Lieder, Opernarien, Texte von Oratorien usf. können daher, was die nähere poetische Ausführung angeht, mager und von einer gewissen Mittelmäßigkeit sein; der Dichter muß sich, wenn der Musiker freien Spielraum behalten soll, nicht als Dichter bewundern lassen wollen. Nach dieser Seite hin sind besonders die Italiener, wie z. B. Metastasio und andere, von großer Geschicklichkeit gewesen, während Schillers Gedichte, die auch zu solchem Zweck in keiner Weise gemacht sind, sich zur musikalischen Komposition als sehr schwerfällig und unbrauchbar erweisen. Wo die Musik zu einer kunstmäßigeren Ausbildung kommt, versteht man vom Text ohnehin wenig oder nichts, besonders bei unserer deutschen Sprache und Aussprache. Daher ist es denn auch eine unmusikalische Richtung, das Hauptgewicht des Interesses auf den Text zu legen. Ein italienisches Publikum z. B. schwatzt während der unbedeutenderen Szenen einer Oper, ißt, spielt Karten usf.; beginnt aber irgendeine hervorstechende Arie oder sonst ein wichtiges Musikstück, so ist jeder von höchster Aufmerksamkeit. Wir Deutschen dagegen nehmen das größte Interesse an dem Schicksal und den Reden der Opernprinzen und -Prinzessinnen mit ihren Bedienten, Schildknappen, Vertrauten und Zofen, und es gibt vielleicht auch jetzt noch ihrer viele, welche, sobald der Gesang anfängt, bedauern, daß das Interesse unterbrochen wird, und sich dann mit Schwatzen aushelfen. - Auch in geistlichen Musiken ist der Text meistenteils entweder ein bekanntes Credo oder sonst aus einzelnen Psalmenstellen zusammengebracht, so daß die Worte nur als Veranlassung zu einem musikalischen Kommentar anzusehen sind, der für sich eine eigene Ausführung wird und nicht etwa nur den Text heben soll, sondern von demselben mehr nur das Allgemeine des Inhalts in der ähnlichen Art hernimmt, in welcher sich etwa die Malerei ihre Stoffe aus der heiligen Geschichte auswählt.

 


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