Wie in Deutschland die Unsittlichkeit zustandekommt und wie die Sitte spricht


Der Detektiv Ernst Hoffmann stand gestern unter der Anklage der versuchten Erpressung vor dem Landgericht. Das Opfer seiner Tätigkeit war der Inhaber des Freibades Wannsee, Kaufmann Frankenthal in Nikolassee. Als Frankenthal vor vier Jahren ein Gelände am Wannsee pachtete und darauf das Freibad Wannsee errichtete, dauerte es nicht lange, so setzten die Inhaber der an den märkischen Wasserstraßen gelegenen Badeanstalten alle Hebel in Bewegung, um die unbequeme Konkurrenz aus der Welt zu schaffen. Der Obmann des Vereines märkischer Naturbadeanstalten, Badeanstaltsbesitzer Ziehm in Treptow, wandte sich an den Rechtskonsulenten May mit dem Auftrag, im Freibad Wannsee heimliche Beobachtungen anzustellen, ob dort Unsittlichkeiten vorkämen. May verlangte hiefür 125 Mark und später 300 Mark. Das ausführende Organ Mays war der Detektiv Hoffmann, der für seine Tätigkeit 6 Mark pro Tag erhielt. Er hatte insbesondere den Auftrag, alles, was beanstandet werden könnte, auch gleich zu photographieren.

Eines Tages wurde Frankenthal von einem Unbekannten telephonisch angerufen und unter Hinweis auf die gegen das Freibad eingeleitete Bewegung um eine Unterredung ersucht, die dann auch in einem Café am Rosenthaler Tor stattfand. Hoffmann stellte sich dabei mit seinem richtigen Namen als Agent des Detektivinstituts May vor und erzählte, er habe den Auftrag, nicht nur etwaige Unsittlichkeiten im Freibad festzustellen, sondern auch eventuell mit Hilfe von Straßendirnen selbst »unsittliche Gruppen« zu stellen und zu photographieren. Bei einer zweiten Zusammenkunft im Restaurant Beelitzhof erzählte er dann auch noch, er sei beauftragt, einen Wärter im Freibad zu bestechen und sich von diesem mit einem Mädchen überraschen zu lassen. Die Photographien hievon würden dann in einer öffentlichen Versammlung, zu der Pastoren und Sittlichkeitsvereine eingeladen werden sollten, als Lichtbilder gezeigt werden.

Frankenthal witterte in diesen Mitteilungen gleich die einleitenden Schritte zu einer Erpressung, und als Hoffman erklärte, er würde sich auf Frankenthals Seite schlagen, wenn ihm der Schaden, den er durch den Verlust seiner Stellung hätte, ersetzt werden würde, ließ Frankenthal ihn festnehmen...

Det mit die Konkurrenz is ja ejal, die Jründe interessieren uns nich, Jeschäft is Jeschäft, jewiss doch wenn sich'n Freibatt durch'n andres Freibatt jeschädigt fühlt, so hat es doch recht, alle Hebel in Bewejung zu setzen, die Hauptsache is immerzu, wenn öffentliches Ärjernis errecht wird, öffentliches Ärjernis muß sint, un wenns nich da is, muß es errecht werden, immerzu, famos hat Hoffmann det jemacht, kenn Se Hoffmann, er war zuerst bei der Sitte, denn war er Lude, nu is er beim Rechtskonsulenten. Sehn Se, dafür was nu weiter jeschenen is, dass a selbst jestrauchelt is, dafür is niemand verantwortlich, es irrt der Mensch, solang a strebt, hat nich selbst Harden schon jeirrt? Se wissen doch damals wie a det mit die Normwidrichkeiten ufjedeckt hat, det mit Eulenburg und der janzen homesexiellen Kiste übahaupt, da hat a doch manches nich jewußt, was seinerzeit am Starnberjer See vorjefallen is, da hat a doch vieles übasehn, na sehn Se, unfehlbar is keener; jewiß doch, Riedl hat ihm viel jesagt was erweislich wahr is, un Schömmer der Klavierträger Se wissen doch hat durch das Guckloch beobachtet wie er die beiden Jrafen da jepaart sah, hörn Se, jepaart sah er se, richtich jepaart; aber alles hat sich doch nich beweisen lassen. Jotte doch wenn man immer so könnte wie man wollte, sehn Se, wir müssen ooch Zimma vamieten, da kann denn meine Frau viele Unsittlichkeiten beobachten, wie oft hab ich ihr nich schon jesagt, Juste, hab ich ihr jesagt, Juste sieh man zu un pass man auf, ob eener nich vaheiratet is, wo du dann sagen könntest, wenn a dir nich eenen blauen Lappen drufjibt, dass de sagen könntest, na von wejen öffentliches Ärjernis vaschtehste — jlooben Se, det Aas jeht Ihnen los? Nee, nich zu machen! öffentliches Ärjernis in Hülle und Fülle, jreift nur hinein ins volle Menschenleben, allonks anfang dela patrie, aber was nutzt det allens, wenn die Schose nich zum klappen kommt! Bequemer kann mans jar nich haben, Hoffman hat erst unsittliche Gruppen stellen müssen — bei uns kommt det alle Tage vor, direktemang wie jeschaffen für de Pastoren und de Sittlichkeitsvereine — aber reden Se mit meiner Frau! Sie sei sturmfreie Vamieterin, sagt se, se wolle sich auf ehrliche Weise ihr Brot vadienen und so Redensarten. Mich kann so wat empören, sehn Se, ik tu bei so wat jar nich mehr mit, ik jeh am liebsten fort aus meinem anständijen Haus, wenn so Paare kommen, die wat unehelich sind und Unsittlichkeiten im Schilde führen, un det könn Se mir jlooben, wenn det nich bald ufhert, so bin ich imstand und jehe hin zur Sitte un mach de Anzeije wejen öffentliches Ärjernis!

 

 

März, 1914.


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