Wenn wirklich das der Grund war!


Die tiefste Demütigung, die alles, was regiert, sich täglich von, allem, was redigiert, gefallen lassen muß, wird dem, der keine Macht hat, aber genug Takt, um Fürsten zu bedauern und Journalisten zu verachten, zu einem erbarmungswürdigen Schauspiel. Aber noch selten wurde sie so faßbar, wie an dem Fall des Fürsten von Albanien, der keine Zeit hatte, von Wiener Vergnügungsreisenden sich anschauen zu lassen. Man höre, was das Neue Wiener Journal sagt, das lange genug geschwiegen und mit dem Fürsten von Albanien Geduld gehabt hat. Nun aber reißt sie ihm wie folgt:

Es hat, ohne dass der Angelegenheit übertriebene Bedeutung beigelegt worden wäre, doch unliebsames Aufsehen erregt, dass der Fürst von Albanien nicht die Gewogenheit haben wollte, die hervorragenden Vertreter des Wiener Professorenkollegiums zu empfangen. Die Ablehnung war in der Tat überraschend und sicherlich wäre sie von keinem der europäischen Höfe zu gewärtigen gewesen. Wir haben gleichwohl zu dem peinlichen Vorfall bisher nicht Stellung genommen, weil wir erst die authentische offizielle Aufklärung abwarten wollten, die in diesem Fall doch unvermeidlich notwendig erschien. Noch ward eine solche nicht geboten, wohl aber veröffentlicht Prinz Eduard Lichtenstein als Vorsitzender und Wortführer des österreichischen Albanienkomitees eine Kundgebung, die offenbar die Aufgabe hat, die offizielle Aufklärung zu ersetzen. Nach dieser Darstellung hat der Fürst die Abordnung der Wiener Universität nicht empfangen können, weil er dringend in Angelegenheit der Milizbildung wegzureiten hatte.

Wenn wirklich das der Grund war, und die Herren vom Albanienkomitee müssen es ja wissen, dann allerdings muß es glatt herausgesagt werden, dass das Benehmen des Fürsten einfach den Charakter eines Affronts hat. Wir unterschätzen die Wichtigkeit der albanischen Milizbildung durchaus nicht, sind aber der bescheidenen Meinung, dass die Sicherheit des albanischen Staates nicht gefährdet erscheinen könnte, wenn der Fürst mit der Bildung der Miliz fünf Minuten später fertig geworden wäre, als es nun um diesen Preis der Fall sein sollte. Es wäre recht betrübsam für den Fürsten und seinen Staat, wenn es auf diese fünf Minuten angekommen wäre. Länger hätte ja die Konversation nicht zu dauern gebraucht, und jeder Rekrimination wäre damit der Boden entzogen gewesen.

Bisher hatte man nämlich geglaubt, dass der Fürst zu jener Zeit wirklich abwesend war und dass er ernste Gründe der Abhaltung hatte. Nun stellt es sich aber heraus, dass er es einfach nicht der Mühe wert hielt, die Begrüßung der Wiener Professoren huldvollst entgegenzunehmen. Ein solches Verhalten wird von den Betroffenen nicht ohne Grund als eine Demütigung empfunden und ist sicherlich nicht danach angetan, dem neuen, mit so großem Aplomb eingesetzten Herrscher weitere besondere Sympathien zu erwerben.

Ein Fall, bei dem die Kontrastierung von Ernst und Rotz in eine derart grausame Selbstpersiflage umschlägt, dass dem Staunen nur noch der Ausdruck der Sprachlosigkeit bleibt. Aber ich sage: Wenn ein europäischer Kongreß nicht ehestens zum Schutz der Staaten das Verbot des Haltens von Druckpressen beschließt und die Ausrottung des Gekröses, von dem die öffentliche Meinung herrührt, nicht unter Aufwendung aller verfügbaren Machtmittel in Angriff genommen wird, dann werden Fürsten wert sein, von Vergnügungsreisenden angeschaut zu werden, jedoch mit der Zeit auch den Reiz der Sehenswürdigkeit an die Chefredakteure abtreten!

 

 

Mai 1914.


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