Gralsjünger


.... Aber während Faust erlöst wird, weil er immer strebend sich bemüht, weil er in rastloser Lebensgier, zuletzt in voller Erkenntnis des Irdischen seine Kraft verbraucht; während er selig wird nicht als reiner Tor, sondern als einer, der in einem maßlos bewegten und schuldvollen Leben trotzdem sein Bestes zu bewahren weiß, wird Parsifal entsühnt, weil er dem Fleisch entsagt .... Hier ist wirkliche Abkehr von der »Welt« .... Hier ist doch so etwas wie ein Wiederklang der Lehre des heiligen Franziskus, der jenen Ort zum Aufenthalt wählt, wo die Vögel mit Gesang und Flügelschlag sich festlich und heiter tragen, wo sie sich ihm auf den Schoß setzen und ihn begrüßen. Der Karfreitagszauber, das ist für uns das Schönste im Parsifal. Aber wer wollte über dieses Werk als Ganzes anders sprechen, als wie Goethe verlangte, dass man den Euripides tadle, nämlich: knieend .... Wir freuen uns, daß nun auch in Wien dieses sorgsam gehütete Krongut enthüllt wurde und daß wir von heute an ein neues Erlebnis haben — — —

Im Vestibül staut sich das Publikum, um den hereinrauschenden Glanz zu bewundern. Und es wird eine wahre Moderevue, ein Einmarsch des ganzen Geschmacks, Reichtums und Prunks, den Wien entfalten kann .... Das mondaine Wien hält seinen Einzug. Seide knistert, Diamanten funkeln, Reiher nicken. Es fehlt niemand .... Industriekapitäne und Bankmagnaten, Künstler, deren Namen hell und laut klingen, Lebemänner, Operettenkönige und Bühnensterne ziehen die Freitreppe hinauf .... ein Brausen geht durch das Opernhaus. Bekannte begrüßen einander, es wird gewinkt und genickt, dann erhebt sich alles von seinen Sitzen, die Logengäste statten einander die üblichen Besuche ab, die anderen eilen nach den reichen Büffetts. Ein grandioses leuchtendes Bild entwickelt sich in den Foyers. Bunt, in allen Farben sprühend und glitzernd drängt es dort durcheinander. Man will sehen, gesehen werden. Bewegung machen .... Nur wenige bleiben im Theater, gut neun Zehntel des Publikums stürmt zu den Garderoben, um sich in die Mäntel und Pelze zu hüllen und dann rasch nach dieser seelischen Emotion den Leib zu versorgen. Im Nu, innerhalb weniger Minuten sind die umliegenden Restaurants, die Speisesäle der Hotels, die Cafés überfüllt .... die bereitstehenden Automobile haben vollauf zu tun, um die Hungrigen nach entfernteren Restaurants zu bringen. Jetzt wird das große Opernereignis auch schon herzhafter und dezidierter besprochen. Es kommt zu lebhaften Disputen zwischen den unbedingt Begeisterten und den bedingt Enthusiasmierten .... Und als das Weihefestspiel um die elfte Stunde beendet ist, hebt und senkt sich dreimal der Vorhang über der Gralsburg. Schon schreien die Wagenrufer unten mit markerschütternder Stimme nach den Kutschern und Chauffeuren .... eine milde Großstadtnacht begrüßt mit ihrem disharmonischen und doch berauschenden Lärm die Menschenmassen, die sechs Stunden reiner Kunst gelauscht haben .... Pollack .... Stiaßny .... Zwieback .... Trebitsch ....

 

 

Januar, 1914.


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