Strindberg und Wien


also etwa: der Teufel und der Apfelstrudel — diesen Gegensatz sucht die Irene Triesch auszugleichen. Es ist ihr lebhaftestes Bestreben. Man soll sie nicht stören. Sie ist gottlob eine intelligente Schauspielerin und muß deshalb nebbich zur Feder greifen. Solcher Unfug wird jetzt immer selbstverständlicher werden, und man muß es ertragen, dass eine Dame, die mit Strindberg so wenig zu schaffen hat wie Wien, ihm um jeden Preis es hier gemütlich machen will. Ausgerechnet in Wien. Er sei hieher »wie in ein Asyl« geflohen, aber Strindberg schreibt: »die fremde Stadt wirkt wie ein Grab auf mich«. Strindberg hat für Wien kein Gemüt gehabt. Das war der Fehler. Er schrieb’s in der »Beichte eines Toren«. Der Tor, er hat Wien, wie sagt man doch bei Trieschs, sich nicht zu schätzen gewußt! Was hätte er erst gegen die Gefälligkeit einer Feuilletonistin einzuwenden gehabt, welche sein Andenken in einer Stadt seßhaft machen will, die froh ist, wenn sie unter allen Frauenkennern mit knapper Not den Jeremias versteht? Die Triesch, die es gut meint, meint, Strindberg hätte »unter anderen Verhältnissen« Wien kennen lernen sollen, da hätte er gespitzt! Er hätte bald, »um mich eines echt wienerischen Ausdrucks zu bedienen, das Gemüt entdeckt« — aha—, »das ihm ein tieferes Verhältnis zu Wien vermittelt und auf sein Schaffen von milderndem Einfluß hätte werden können.« Das wär’ eine Hetz gewesen! Das hätt’ kein Goethe g’schrieben — wie sich ehedem Seidl und Strindberg ausgedrückt haben. Mindestens hätte er die Sonntagsplauderei übernommen, die jetzt der Ludwig Hirschfeld hat. »Abersein Sinn war verschlossen.« Darum mußte ihm Wien ganz fremd bleiben, »nicht bloß seelisch, sondern auch künstlerisch.« Man müsse es zugeben, er sei »dem österreichischen Publikum im ganzen nicht vertraut«. (Hier kann sich die Red. nicht zurückhalten, die Anm. zu setzen: »Viele Essays des damals noch wenig bekannten Dichters sind im Feuilleton der ›Neuen Freien Presse‹ veröffentlicht worden.«) »Das wird anders werden,« ruft die Triesch. Das kann nicht mehr so weiter gehen. »Eine für alles Schöne, Bedeutende und Große so empfängliche Stadt wie Wien wird einen Dichter aufnehmen, dem man nur mit offenem Herzen entgegenzukommen braucht, um ihn zu verstehen.« Die Triesch stellt sich das so vor: »Das liebende Mitleid und die mitleidige Liebe, die der Dichter zur Menschheit gehabt hat, und die ihm von der Menschheit wieder zukommen müssen, sie erst führen ihm an der Hand das Verständnis und mit ihm die Bewunderung entgegen, die der mächtigen Stirn des genialen Dichters den Kranz der Unsterblichkeit aufsetzt.« Aufgesetzt von einer Dame, zum Glück von einer Wienerin und sogar einer aus dem zweiten Bezirk. Ob der Mann nach drei Ehen mit diesem Soff zufrieden sein wird? »Dass Strindberg und Wien zusammenkommen, bedarf es vor allem des Herzens. Und wie könnte Wien versagen, wenn man an sein Herz appelliert?« Schon sieht man die Fürstin Metternich, kaum fertig mit der Anregung zur Einführung eines Automaten zur Bestellung von Autotaxis, einen Tangotee veranstalten, bei dem als Clou das bekannte Mitglied des Berliner Lessingtheaters, Frau Irene Triesch, bekanntlich eine gebürtige Wienerin, an der Seite des Herrn Treumann Würstel austeilen wird, nicht ohne in passender Form an das goldene Wiener Herz zu appellieren, mit der Bitte, Strindberg gern zu haben.

 

 

Januar, 1914.


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