In Künstlerkreisen verlautet


— eine Wendung, die nichts Gutes ahnen läßt —, dass mit Herrn Paul Eger in Darmstadt Unterhandlungen wegen Übernahme der Burgtheaterdirektion geführt worden seien. Herr Eger ist noch sehr jung. Als er geboren wurde, drehten sich bereits einige alte Burgschauspieler im Grabe um. Als ich in die achte Gymnasialklasse ging, war er in der ersten, ein Umstand, der mich zeitlebens verhindern wird, an seine Befähigung zur Burgtheaterdirektion zu glauben. Das sind Vorurteile, die ich in Ehren halte. Ich war damals schon ein alter Burgtheaterkenner und wer mir gesagt hätte, dass der Knirps da in nicht allzu ferner Zeit berufen sein werde, die Direktion zu übernehmen, dem hätte ich ins Gesicht gelacht. Allerdings könnte man einwenden, dass gerade ein Vertreter der Generation, die sich fürs Theater zu interessieren begann, als Herr Gerasch heranreifte und Herr Frank auf der Höhe seiner künstlerischen Kraft stand, der Mann sein könnte, das heutige Burgtheater zum Siege zu führen. Denn jeder hätte Lust, es zugrunde zu richten, der das frühere gekannt hat. Trotzdem wäre mir die Berufung des Herrn Eger peinlich. Denn ich glaube, dass noch ein alter Logenschließer da ist, der von verschwundner Pracht zeugt, dass der Frisch-Wassermann auf der Galerie, der auch Frornes und Lemrnad hat, noch derselbe ist, und dass auch eine Klosettfrau lebt, die noch bessere Zeiten gesehen hat. Solange zumal diese am Ruder ist, hat der genius loci noch nicht völlig abgedankt und es müßte erst die Pensionierung dieser letzten Hüterin der Burgtheatertradition vollzogen sein, ehe man den Herrn Eger hineinläßt. Dass er Intendant in Darmstadt geworden ist, ist ohnehin eine hübsche Karriere für einen ordentlichen jungen Menschen aus gutem Wiener Hause. Herr Bahr, der seit Olbrichs Tagen dort einen Stein im Schachbrett hat, soll ihn mitgenommen haben, als er gerade beim Großherzog in Darmstadt zu tun hatte. Nun verlautet aber zum Glück in Künstlerkreisen, dass sich die Verhandlungen mit Herrn Eger — ich hätte nie geglaubt, dass die Welt noch Verhandlungen mit Herrn Eger erleben werde — zerschlagen hätten. Das ist gut so. Man soll solche Verhandlungen zerschlagen, dass von ihnen nichts übrig bleibt, und wenn sie's von selbst tun, umso besser. Da man sich aber bei dieser Gelegenheit gleich auch an Herrn Bahr erinnerte, so verlautet in Künstlerkreisen, dass die Verhandlungen nunmehr mit ihm angeknüpft worden seien. Herr Bahr veröffentlichte infolgedessen in einem katholischen Blatt einen Aufsatz, in welchem er aus innerstem Herzen gestand, dass er gern eine Messe anhöre. Zwar hatte dies niemand vom lieben Gott anders erwartet, aber es schadete nichts, wenn er das Bekenntnis noch als Fleißaufgabe draufgab. Die Verhandlungen mit Eger sollen an der plötzlich zutage getretenen Konfessionslosigkeit Bewerbers gescheitert sein, an jenem geordneten, aber unergiebigen Zustand, in dem sich Soll und Haben so ziemlich die Waage halten. Anders Bahr. Wo andere zögern, bietet er eher zu viel an Konfession, und er hätte darum die Fähigkeit, gleich beide Hoftheaterdirektionsposten auf einmal zu bekleiden. Interessant ist gewiß, dass das Amt des Burgtheaterdirektors immer die suggestive Macht hatte, die innersten Herzensvorgänge der Menschen zum Ausdruck zu bringen. Massenübertritte zum Katholizismus finden statt, wenn eine Burgtheaterdirektion wackelt, und was die Kirche in den letzten Jahren durch die Los von Rom-Bewegung verloren hat, ist ihr durch die Werbekraft jenes Postens reichlich hereingebracht worden. Als Brahm die Taufe nahm, wußte man noch nicht, dass seine, wohl aber, dass Schlenthers Tage gezählt seien. Es sind damals gewiß allerorten Priester damit beschäftigt gewesen, Literaten und Redakteure in das andere Testament einzuführen. Da aber der Gläubigen viele sind und immer nur einer Burgtheaterdirektor werden kann, so ziehen die andern mit langer Nase ab und sagen: »Jetzt hab ich mich umsonst getauft!« Da man aber nicht wissen kann, wozu es gut ist, so bleiben sie schon dabei. Eger hat es in diesem Punkte fehlen lassen; viele dürften jetzt wieder sein, die sich mit Eifer in einen ungewohnten Glauben stürzen. Was hat freilich diese Strapaze mit dem Urchristentum eines Bahr zu schaffen, das er vermöge seine Platzkenntnis hervorholt, sobald er es braucht? Wenn er bisher nicht in die Messe gegangen ist, so war seine Geburt nicht daran schuld, sondern sein Umgang, und er hat immer heimlich gewußt, dass es sich gehört, in die Messe zu gehen. Sicher geht er jetzt auch zur Beichte, um zu sagen, warum er früher nicht in die Messe gegangen ist, und sich zu erleichtern. Als Vizepräsident der Concordia, als Kritiker des Deutschen Volkstheaters, als Regisseur bei Reinhardt, als Lieferant für Gabor Steiner hat er einfach nicht die Zeit gefunden, das zu tun, was ihm Herzensbedürfnis war. Ursprünglich dem Journalistenberuf bestimmt, widmete er sich auf Anregung des Stefan Großmann der Heiligkeit, und er mußte erst der liebe Gott selbst werden, bevor er erkannte, dass es doch besser sei einer Messe als einer Premiere beizuwohnen. Besonders zu dem Zwecke, um einer Premiere in der Direktionsloge beiwohnen zu können. Weil es aber dem wahren Christentum mehr auf das Gefühl als auf die Gebärde ankommt, so siegt der Glaube an die Heiligkeit des Herrn Bahr über den Zweifel, ob er auch jetzt einer Messe beigewohnt hat. Er könnte ihr sicher beigewohnt haben, und nur darauf kommt es an. Nur darauf, dass er wirklich überzeugt ist, das Burgtheater sei schon eine Messe wert und dass es noch immer maßgebende Kreise gibt, die da glauben, eine Messe sei eine Burgtheaterdirektion wert. Und so könnte es denn wirklich geschehen, dass ein durch alle Gesinnungen, Schiebungen und Entwicklungen wachsender Vollbart berufen wäre, leere Häuser zu füllen, und dass, was in Künstlerkreisen verlautet, einmal zur traurigen Wahrheit wird. Amen.

 

 

März, 1914.


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