12. Der Sophist als ein Streitkünstler


Fremder: Laß uns denn noch sehen, ob etwa auch diesem noch die jetzt verfolgte Art gleicht!

Theaitetos: Wem denn? [225a]

Fremder: Ein Teil der erwerbenden Kunst war uns doch die Kampfgeschicklichkeit?

Theaitetos: Allerdings.

Fremder: Nicht uneben wäre es nun, diese auch wieder zwiefach zu teilen.

Theaitetos: Auf welche Weise?

Fremder: Der eine sei Wettkampf, der andere Gefecht.

Theaitetos: Gut.

Fremder: In welchem Gefechte nun Leib gegen Leib steht, dem dürften wir natürlich und schicklich einen solchen Namen geben, dass wir es etwa das Gewalttätige nennten.

Theaitetos: Ja.

Fremder: In welchem aber Wort gegen Wort, o Theaitetos, wie sollte man das anders nennen als Streit? [b]

Theaitetos: Gar nicht anders.

Fremder: Was aber unter den Streit gehört, ist wieder zwiefach zu setzen.

Theaitetos: Inwiefern?

Fremder: Sofern er nämlich mit langen Reden gegen lange über das Recht und Unrecht öffentlich geführt wird, ist er der Rechtsstreit.

Theaitetos: Ja.

Fremder: Den in Fragen und Antworten zerschnittenen aber unter Einzelnen, sind wir den anders zu nennen gewohnt als Wortwechsel?

Theaitetos: Nicht anders.

Fremder: Was nun wortwechselnd im Handel und Wandel gestritten wird durcheinander und kunstlos, [c] dies muß man zwar als die eine Art setzen, da die Erklärung es als ein Verschiedenes anerkennt; aber einen Namen hat es weder von den Früheren erhalten, noch verdient es einen durch uns zu erlangen.

Theaitetos: Gewiß nicht. Auch ist es gar zu sehr ins kleine und vielfach geteilt.

Fremder: Den kunstgerechten Wortwechsel aber, sowohl über Recht und Unrecht als über andere Dinge, sind wir nicht gewohnt, ihn das Streitgespräch zu nennen?

Theaitetos: Wie auch anders?

Fremder: [d] Das Streitgespräch aber ist teils geldverzehrend, teils geldbringend.

Theaitetos: Ganz gewiß.

Fremder: So laß uns also den Beinamen, mit dem wir beides bezeichnen müssen, zu bestimmen versuchen!

Theaitetos: Das ist nötig.

Fremder: Mir scheint das Streitgespräch, das aus reiner Lust an solcher Verhandlung mit Vernachlässigung eignet Angelegenheiten geschieht, in Hinsicht auf den Vortrag aber von den meisten Hörern nicht mit Vergnügen angehört wird, nach meiner Meinung nicht anders als das Geschwätzige genannt werden zu können.

Theaitetos: So pflegt man es ja zu nennen.

Fremder: [e] Wer aber im Gegenteil aus dem Streitgespräch mit Einzelnen Geld erwirbt, diesen versuche du deinerseits mir zu nennen!

Theaitetos: Und was sollte man wohl, ohne fehlzugehn, anders sagen, als dass schon wiederum herauskomme jener wunderbare, von uns nun schon zum viertenmal eingeholte Sophist?

Fremder: [226a] So wäre also nichts anderes als die geldbringende Art der streitsprecherischen Kunst, welche von dem Wortwechsel, also der streitenden, fechtenden, kampfgeschickten und so erwerbenden Kunst ein Teil ist, wie die Rede uns jetzt gezeigt hat, der Sophist.

Theaitetos: Ganz offenbar.


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