Das Klavier


Das zweite spezifisch moderne Tasteninstrument, das Klavier, hat zwei technisch sehr verschiedene historische Wurzeln. Einerseits das, aus dem frühmittelalterlichen, der rationalen Tonabmessung des ganzen Abendlandes zugrunde liegende »Monochord« – einem Instrument mit einer Saite und beweglichem Steg – durch Vermehrung der Saiten entstandene, Clavichord: aller Wahrscheinlichkeit nach eine Mönchserfindung. Es hatte ursprünglich gebundene Saiten für mehrere Töne, die also nicht gleichzeitig angeschlagen werden konnten, und nur für die wichtigsten freie Saiten, die sich aber allmählich, von unten nach oben, auf Kosten der gebundenen vermehrten. Auf den ältesten Clavichorden war der gleichzeitige Anschlag von c und e, also die Terz, unmöglich. Allein von einem, im 14. Jahrhundert 22 diatonische Töne (von G bis e´ mit Einschluß von b neben h) umfassenden Umfang war das Instrument zu Agricolas Zeit (16. Jahrhundert) schon auf eine chromatische Skala von A bis h´´ gebracht worden. Seine rasch verhallenden Töne regten zur Figuration an, und so war es vornehmlich ein Instrument für eigentliche Kunstmusik. Die eigenartigen Klangeffekte des durch Tangenten, welche den tönenden Teil der Saiten zugleich abgrenzten und zum Schweigen brachten, angeschlagenen Instruments auf der Höhe seiner Vollendung, namentlich die charakteristischen ausdrucksvollen »Bebungen« der Töne haben es der Konkurrenz des Hammerklaviers erst dann zum Opfer fallen lassen, als nicht mehr die Nachfrage einer dünnen Schicht von Musikern und feinhörigen Dilettanten, sondern die Marktbedingungen der kapitalistisch gewordenen Instrumentenproduktion über das Schicksal der Musikinstrumente entschieden.

Die zweite Quelle des Klaviers ist das vom Psalterium stammende »Clavicymbalum«, »Clavecin« oder »Cembalo« und das in manchem verschiedene englische »Virginal«, dessen Saiten, eine für jeden Ton, durch Kiele gerissen wurden, daher ohne Fähigkeit der Modulation der Stärke und Farbe, aber von großer Freiheit und Eindeutigkeit des Tonanschlags. Die erwähnten Nachteile teilte das Clavecin mit der Orgel, und man suchte ihnen durch ähnliche technische Mittel abzuhelfen. Organisten waren bis ins 18. Jahrhundert die normalen Klavierbauer, daher auch die ersten Schöpfer einer Klavierliteratur. Sein spezifisches Publikum aber bildeten, da der freie Tonanschlag die Verwendung des Instruments für die Wiedergabe von Volksweisen und Tänzen begünstigte, wesentlich Dilettanten, in erster Linie ganz naturgemäß die an das Haus gefesselten Volkskreise: im Mittelalter Mönche, damals und erst recht in der Neuzeit: Frauen, die Königin Elisabeth an der Spitze. Noch 1722 wird als Empfehlung eines neuen komplizierten Klaviertypus hervorgehoben, daß »sogar ein im (üblichen) Klavierspiel geübtes Frauenzimmer kapabel« sei, ihn zu »traktieren«. Das Clavecin hatte im 15. und 16. Jahrhundert zweifellos starken Anteil an der Entwicklung melodisch und rhythmisch durchsichtiger Musik und war damals einer der Vermittler des Eindringens volkstümlich einfachen harmonischen Empfindens gegenüber der polyphonen Kunstmusik. Das 16. Jahrhundert, die Zeit des allgemeinen Experimentierens mit der Herstellung von reingestimmten Instrumenten für vielstimmige Kompositionen – die Theoretiker ließen sich namentlich klavierartige Instrumente zum Experimentieren speziell bauen –, war für die Gesangsbegleitung noch wesentlich an die Laute gebunden, doch gewann das Cembalo an Boden und wurde für die begleitete Vokalmusik und dann für die Oper das charakteristische Instrument. Im 17. und 18. Jahrhundert sitzt der Dirigent inmitten des Orchesters am Cembalo. In seiner musikalischen Technik blieb das Instrument bis gegen Ende des 17. Jahrhunderts, soweit Kunstmusik in Frage kommt, stark an die Orgel gebunden. Organisten und Pianisten, die im 17. Jahrhundert sich als gesonderte, aber solidarische Künstler und Träger der Entwicklung der harmonischen Musik fühlten, im Gegensatz namentlich zu den Streichinstrumenten, welche »keine volle Harmonie hervorbringen könnten«, entzogen sich (mit dieser Motivierung) in Frankreich der Herrschaft des Geigerkönigs. Musikalisch emanzipierte zuerst der aus der gesellschaftlichen Struktur Frankreichs sich entwikkelnde Einfluß des Tanzes in der französischen Instrumentalmusik, dann das Beispiel des beginnenden Violinvirtuosenspieles die Klaviermusik von der Orgelstilistik. Wenn Chambonnières im 17. Jahrhundert als erster Schöpfer spezifischer Klavierwerke angesehen werden darf, so Domenico Scarlatti Anfang des 18. als der erste, der die eigenartigen Klangwirkungen des Instruments virtuos ausnutzte. Dies beginnende Klaviervirtuosentum Hand in Hand mit dem auf der Orchester- und der allmählich steigenden Dilettanten-Nachfrage ruhenden Entstehen einer Cembalo-Großindustrie führten die letzten großen technischen Wandlungen des Instruments und dessen Typisierung herbei. Die ersten großen Cembalobauer (so in Belgien um 1600 die Familie Ruckers) schufen »manufakturmäßig« individuelle Instrumente im Auftrag konkreter Konsumenten (Orchester und Patrizier) und daher in höchst mannigfacher Anpassung an alle möglichen konkreten Bedürfnisse der Besteller, ganz nach Art der Orgel. Die Entwicklung des Hammerklaviers hat sich in verschiedenen Etappen teils auf italienischem Boden (Cristofori), teils auf deutschem vollzogen. Aber in Italien blieben die dort gemachten Erfindungen praktisch zunächst so gut wie ungenutzt. Die italienische Kultur blieb eben (im Grunde genommen bis an die Schwelle der Gegenwart) dem Binnenraumcharakter der nordischen Musikkultur fremd. Acappella-Gesang und Oper, und zwar diese letztere so gestaltet, daß ihre Arien den Hausbedarf an leicht verständlichen und sangbaren Melodien deckten, blieben das, durch Fehlen der Kultur des bürgerlichen »home« bedingte italienische Ideal. Der Schwerpunkt der Produktion und weiteren technischen Entwicklung des Klaviers liegt infolgedessen in dem musikalisch best- – das heißt in diesem Fall: breitest – organisierten Lande der damaligen Zeit: Sachsen. Die aus den Kantoreien stammende »bürgerliche« Musikbildung, Virtuosen und Instrumentenbauer gingen Hand in Hand mit einem lebhaften Interesse der dortigen Hofkapelle bei der Fortentwicklung und Popularisierung des Instruments. Zuerst die Möglichkeit der Tondämpfung und -verstärkung, das Aushalten des Tons und die Schönheit arpeggierend angeschlagener Akkorde auf beliebige Tondistanzen als Vorzüge, andererseits als Nachteile, (besonders in Bachs Augen) die anfangs – im Gegensatz zum Cembalo und Clavichord – noch mangelhafte Freiheit des Passagenspiels und deren Beseitigung standen im Vordergrund des Interesses. An Stelle des tippenden Anschlags bei den Tasteninstrumenten des 16. Jahrhunderts war, von der Orgel aus, schon für das Cembalo eine rationale Fingersatztechnik in der Entwicklung begriffen, freilich mit ihrem Ineinandergreifen der Hände und Übereinandergreifen der Finger für unsere Begriffe noch kraus und halsbrecherisch genug, bis die beiden Bach sie, durch Einfügung einer rationalen Verwendung des Daumens, auf eine, man möchte sagen: physiologisch »tonale« Grundlage stellten. Während die Hand im Altertum ihre virtuosen Höchstleistungen auf dem Aulos zu entfalten hatte, stellten nun Violine und, vor allem, Klavier die höchsten Aufgaben. Die großen Meister der modernen Klaviermusik, Johann Sebastian und Philipp Emanuel Bach, standen dem Hammerklavier noch neutral gegenüber, und speziell der erstere hat einen bedeutenden Teil seiner besten Werke für die tonlich schwächeren, aber intimeren und auf feinere Ohren berechneten älteren Instrumententypen: Clavichord und Cembalo geschrieben. Erst das internationale Virtuosentum Mozarts und das steigende Bedürfnis der Musikalienverleger und Konzertunternehmer, der großen Musikkonsumtion nach Markt- und Massenwirkungen brachten den endgültigen Sieg des Hammerklaviers. Noch die Klavierbauer des 18. Jahrhunderts, namentlich die deutschen, waren in erster Linie physisch selbst mitarbeitende und erprobende große Kunsthandwerker (so Silbermann). Zuerst in England (Broadwood), dann aber in Amerika (Steinway), wo das vorzügliche Eisen der Konstruktion der eisernen Rahmen zugute kam und die nicht geringen rein klimatischen Schwierigkeiten einer Einbürgerung des Klaviers – die ja auch seiner Verwendung in den Tropen entgegenstehen – überwinden helfen mußte, bemächtigte sich die maschinelle Großproduktion des Instruments. Schon Anfang des 19. Jahrhunderts war es reguläres Handelsobjekt geworden und wurde auf Vorrat hergestellt. Der wilde Konkurrenzkampf der Fabriken und Virtuosen mit den spezifisch modernen Mitteln der Presse, Ausstellungen, schließlich, nach Analogie etwa der Absatztechnik der Brauereien, Schaffung eigener Konzertsäle seitens der Instrumentenfabriken (bei uns namentlich der Berliner) haben jene technische Vollkommenheit des Instruments zuwege gebracht, welche allein den stets steigenden technischen Anforderungen der Komponisten genügen konnte. Schon Beethovens späteren Schöpfungen wären die älteren Instrumente nicht gewachsen gewesen. Orchesterwerke sind überhaupt nur in Klavierübertragungen der Hausmusik zugänglich zu machen. In Chopin fand sich ein Komponist ersten Ranges, der sich gänzlich auf das Klavier beschränkte, und schließlich entlockte in Liszt die intime Kenntnis des größten Virtuosen seinem Instrument an Möglichkeiten des Ausdrucks alles Letzte, was es in sich barg.

Auf der Universalität seiner Verwertbarkeit für die häusliche Aneignung fast aller Schätze der Musikliteratur, auf der unermeßlichen Fülle seiner eigenen Literatur und endlich auf seiner Eigenart als universelles Begleit- und Schulungsinstrument beruht seine heutige unerschütterliche Stellung. Als Schulinstrument hat es die antike Kithara, das Monochord, die primitive Orgel und die Drehleier der Klosterschulen abgelöst, als Begleitinstrument den Aulos der Antike, die Orgel und die primitiven Saiteninstrumente des Mittelalters und die Laute der Renaissancezeit, als Dilettanteninstrument der sozialen Oberschichten die Kithara der Antike, die Harfe des Nordens und die Laute des 16. Jahrhunderts. Unsere exklusive Erziehung zur modernen harmonischen Musik wird ganz wesentlich von ihm getragen. Auch nach ihrer negativen Seite insofern, als die Gewöhnung an die Temperierung unserem Ohr – dem Ohr des rezipierenden Publikums – sicherlich in melodischer Hinsicht einen Teil jener Feinheit genommen hat, welche dem melodiösen Raffinement der antiken Musikkultur das entscheidende Gepräge gab. Die Schulung der Sänger erfolgte im Okzident noch im 16. Jahrhundert am Monochord; und dieses hatte nach Zarlino die reine Stimmung wieder einzuführen gesucht. Heute erfolgt ihre Schulung fast durchweg am Klavier, wenigstens in unseren Breiten, und auch die Tonbildung der Streichinstrumenten-Schule wird von vornherein am Klavier vorgenommen. Es ist klar, daß dadurch ein so feines Hören, wie bei der Schulung mittels Instrumenten in reiner Stimmung nicht erzielt werden kann. Die notorisch größere Unreinheit der Intonation der nordischen gegenüber italienischen Sängern dürfte ziemlich stark mit dadurch bedingt sein. Der Gedanke, Klaviere mit 24 Tasten in der Oktave zu bauen, wie sie z.B.

 


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