Tonmaterial


Alle harmonisch rationalisierte Musik geht von der Oktave (Schwingungszahlverhältnis 1 : 2) aus und teilt diese in die beiden Intervalle der Quint (2 : 3) und Quart (3 : 4), also durch zwei Brüche von dem Schema n/(n + 1): sog. überteilige Brüche, welche auch allen unseren musikalischen Intervallen unterhalb der Quint zugrunde liegen. Wenn man nun aber von einem Anfangston aus in »Zirkeln« auf- oder absteigt, zuerst in Oktaven, dann in Quinten, Quarten oder irgendwelchen anderen überteilig bestimmten Relationen, so können Potenzen dieser Brüche niemals auf einen und denselben Ton zusammentreffen, soweit man die Prozedur auch fortsetzen möge. Die zwölfte reine Quint gleich (2/3)12 z.B. ist um das pythagoreische Komma größer als die siebte Oktave gleich (1/2)7. Diese unabänderliche Sachlage und der fernere Umstand, daß die Oktave durch überteilige Brüche nur in zwei ungleich große Intervalle zerlegbar ist, sind die Grundtatsachen aller Musikrationalisierung. Wir erinnern uns zunächst, wie sich die moderne Musik, von ihnen aus gesehen, ausnimmt.

Unsere akkordharmonische Musik rationalisiert das Tonmaterial durch arithmetische bzw. harmonische Teilung der Oktave in Quint und Quart, sodann, unter Beiseitelassung der Quart, der Quint in große und kleine Terz (4/5 × 5/0 = 2/3), der großen Terz in großen und kleinen Ganzton (8/9 × 9/10 = 4/5), der kleinen Terz in großen Ganzton und großen Halbton (8/9 × 15/16 = 5/6), des kleinen Ganztones in großen und kleinen Halbton (15/16 × 24/25 = 9/10). Alle diese Intervalle sind mit Brüchen aus den Zahlen 2, 3, 5 gebildet. Von einem Ton als »Grundton« ausgehend, baut nun die Akkordharmonik auf ihm selbst, seiner oberen und unteren Quint, je eine durch ihre beiden Terzen arithmetisch geteilte Quinte, einen normalen »Dreiklang«, auf, und hat dann durch Einordnung der diese Dreiklänge bildenden Töne (bzw. deren Oktaven) in eine Oktave das gesamte Material der »natürlichen« diatonischen Tonleiter von dem betreffenden Grundton aus, und zwar, je nachdem die große Terz nach unten oder oben gelegt wird, eine »Dur«- oder »Moll«tonfolge. Zwischen den beiden diatonischen Halbtonschritten der Oktave liegen das eine Mal zwei, das andere Mal drei Ganztonschritte, und in beiden Fällen sind der zweite ein kleiner, die anderen große Ganztonschritte. Fährt man fort, durch Bildung von Terzen und Quinten von jedem Ton der Tonleiter aus nach oben und unten innerhalb der Oktave neue Töne zu gewinnen, so entstehen zwischen den diatonischen Intervallen je zwei »chromatische« Intervalle, je einen kleinen Halbtonschritt vom oberen und unteren diatonischen Ton groß, welche durch je ein »enharmonisches« Restintervall (»Diësis«) voneinander getrennt sind. Da die beiden Arten von Ganztönen zweierlei verschieden große enharmonische Restintervalle zwischen den beiden chromatischen Tönen ergeben und der diatonische Halbtonschritt vom kleinen Halbton um ein wiederum anderes Intervall abweicht, so sind die Diësen zwar alle durch Zahlen aus 2, 3, 5 gebildet, aber von dreierlei verschiedenen, sehr komplizierten Größen. An der Quarte einerseits, welche nur mit Hilfe der 7 überteilig zerlegbar ist, dem großen Ganzton und den beiden Halbtönen andrerseits erreicht die Möglichkeit harmonischer Teilung durch überteilige Brüche aus den Zahlen 2, 3, 5 ihre untere Grenze. –


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