Streichinstrumente


Die Streichinstrumente – der antiken Kultur fremd, chinesischen und anderen Musiken in primitiver Form bekannt – sind in ihrer heutigen Gestaltung die Erben zweier verschiedener Gattungen von Instrumenten. Einerseits der geigenartigen, vorwiegend dem Orient und den Tropen eigenen Streichinstrumente mit einem Resonanzkörper aus einem Stück (ursprünglich oft einer Schildkrötenschale mit darüber gespanntem Fell). Zu diesen gehörten die aus Otfried schon für das 8. Jahrhundert bekannte, damals einsaitige, später drei- und mehrsaitige »Lyra« und die in den Kreuzzügen aus dem Orient importierte, im 11., 12. und 13. Jahrhundert viel gebrauchte Rubeba (später Rebek genannt). Dies Instrument fügte sich der traditionellen Musik gut ein: es konnte die diatonischen Kirchentöne einschließlich des b molle hervorbringen. Diese Gattung war also nicht eigentlich »fortschrittlich«. Auch war weder die Resonanz noch die Kantilene einer Entwicklung über gewisse Grenzen hinaus fähig. Ihnen gegenüber standen die Streichinstrumente mit einem Resonanzkörper, der zusammengesetzt gebaut, und zwar vor allem mit besonderen Seitenteilen (Zargen) versehen war. Dadurch wurde die für eine freie Bogenführung erforderliche Formung des Resonanzkörpers und ebenso dessen optimale Ausstattung mit den modernen Trägern der Resonanz (Steg, Stimmstock) ermöglicht. Für die Wirkung der Saiteninstrumente ist aber die Gestaltung des Resonanzkörpers das schlechthin Entscheidende: eine bloße, ohne mitschwebende Körper fest überspannte Saite gibt keinen irgend musikalisch verwendbaren Ton. Die Schaffung von Resonanzkörpern unserer Art ist eine, wie es scheint, rein abendländische Erfindung, deren spezifischer Anlaß für uns nicht mehr zu ermitteln ist. Das Hantieren mit Holz in Brettform und alle feinere Zimmermanns- und Holzfurnierarbeit ist an sich den nordischen Völkern geläufiger als dem Orient. Die hellenischen gerissenen Saiteninstrumente mit ihrem, im Verhältnis zum Orient, ebenfalls bereits kunstvoll gebauten Resonanzkörper erfuhren daher nach ihrer Wanderung in den Norden schon sehr früh gerade darin eine weitere Verbesserung, welche den Streichinstrumenten zugute kam. Die ersten Zargeninstrumente waren noch ziemlich primitiver Art. Das einsaitige, wohl aus dem Monochord hervorgegangene »Trumscheit« hatte einen Brett-Resonanzkörper mit Übertragung der Schwingungen durch einen Stimmstock und erzeugte durch einfache technische Mittel einen starken, trompetenartig gesteigerten Klang. Die Erzeugung der Töne geschah nicht mechanisch, sondern durch Auflegung der Finger. Andere als die ersten harmonischen Obertöne konnten nur von Geübten hervorgebracht werden. Das Instrument hat durch seine tonliche Beschränkung das moderne Tonempfinden unzweifelhaft gestärkt. Die Radleier ( Organistrum), ein Tasteninstrument mit Zargen, brachte die diatonische Tonleiter hervor, besaß aber zugleich in Quinten und Oktaven gestimmte Brummsaiten und war, ebenso wie übrigens das Trumscheit auch in den Klöstern des frühen Mittelalters heimisch. Ob sie schon vorher in den Händen der fahrenden Spielleute waren, ist wohl nicht feststellbar. Jedenfalls sind sie nie Instrumente vornehmer Dilettanten gewesen. Vorwiegend den fahrenden Spielleuten gehört später auch die schon im 9. Jahrhundert neben der »Lyra« sich findende germanische (und wohl auch slavische) Fidel. Sie war auch das Instrument der Nibelungenhelden gewesen. Bei ihr zuerst ist der Hals als gesonderter Teil gebildet und so die Handlichkeit für einen Gebrauch nach moderner Art hergestellt. Die Fidel (von Hieronymus de Moravia »vielle« genannt) hatte anfangs zwei Unisonosaiten (für die Terz begleitung) und je nachdem, ob kunstmäßige oder »unregelmäßige« Musik gemacht wurde, Bourdonsaiten oder keine solchen, vom 14. bis Mitte des 18. Jahrhunderts auch Bünde. Eine (im Sinn der Harmonik) »fortschrittliche« Bedeutung hatte das Instrument seinerseits, solange sich nicht die Bedürfnisse der Orchestermusik seiner bemächtigten und es umgestalteten, wesentlich nur technisch, durch seine Handlichkeit, die es zum Träger der Volkstanzweisen machte. Wesentlich wichtiger war zunächst das gälische »Crwth«, das ursprünglich gezupfte, später gestrichene Instrument für die Kunstmusik der Barden. Seine Spielregeln waren Gegenstand der Regulierung durch die Bardenkongresse (so z.B. des Kongresses von 1176). Es ist das erste mehrsaitige Instrument mit Steg und Löchern zum Durchgreifen der Hand. In fortwährender technischer Entwicklung begriffen, war es nach Anbringung der Bourdonsaiten harmonisch verwendbar. Das Crwth wird heute als Ahne der Zargenfidel angesehen.

Wie gerade die ständische Organisation es war, welche den musikalischen Einfluß der Barden und speziell die Fortbildung ihrer Instrumente auf der Basis typischer Formen, wie sie für die Fortschritte der Musik unentbehrlich waren, ermöglichte, so hängen auch weiterhin im ausgehenden Mittelalter die damaligen technischen Fortschritte des Streichinstrumentenbaus offenbar mit der seit dem 13. Jahrhundert in Gang gekommenen, musikalischen Zunftorganisation der noch im Sachsenspiegel als rechtlos behandelten Instrumentisten zusammen. Sie erst gab einen festen Markt für den Instrumentenbau und prägte Instrumententypen. Die allmähliche Aufnahme von Instrumentisten neben den Sängern in die Kapellen der Hierarchie, der Fürsten und Gemeinden, also in feste, bürgerlich gesicherte Stellen – zur Regel allerdings erst im 16. Jahrhundert geworden –, gab der Instrumentenproduktion noch ausgiebigere ökonomische Grundlagen. Zunächst wurden, seit dem 15. Jahrhundert in enger Beziehung mit den humanistischen Theoretikern der Musik, die Instrumente orchesterfähig zu gestalten gesucht. Die Scheidung der hohen und tiefen Violen ist mindestens bei den französischen Ménétriers des 14. Jahrhunderts durchgeführt. Die zahlreichen Gattungen von Violen, welche noch das 17. und 18. Jahrhundert sah, mit der allerverschiedensten, oft sehr starken Besaitung – man ist an die rapide Zunahme der Besaitung der hellenischen Kithara erinnert –, waren eine Frucht des unausgesetzten Experimentierens speziell des 16. Jahrhunderts und der individuell verschiedenen Gepflogenheiten und Ansprüche der führenden Orchester. Sie alle schwanden aber im 18. Jahrhundert dahin vor den drei modernen Streichinstrumenten: Violine, Bratsche und Cello, deren Überlegenheit seit Anfang des 18. Jahrhunderts durch das damals, namentlich seit Corelli, in seiner ersten Vollblüte stehende Violinvirtuosentum einerseits, durch die Entwicklung des modernen Orchesters andererseits unzweideutig hervortrat. Diese Instrumente, welche das spezifisch moderne Organ der Kammermusik, das Streichquartet, wie es Joseph Haydn endgültig konstituierte, vor allem aber auch den Kern des modernen Orchesters bilden, sind ein nach langem Erproben gewonnenes Produkt der Brescianer und Cremoneser Instrumentenfabrikation. Der Abstand der Leistungsfähigkeit dieser seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts in keiner Art mehr verbesserten Instrumente gegenüber ihren Vorgängern ist sehr bedeutend. Die Streichinstrumente des Mittelalters kannten (mit einiger Übertreibung gesprochen) das in unseren Augen Spezifische ihrer Gattung: das »Legato«-Spiel, so gut wie nicht, obschon die »Ligaturen« der alten Mensuralnotation darauf schließen lassen könnten. Ein Aushalten des Tones, sein Anund Abschwellenlassen, melodiöses Passagenspiel und alles Spezifische, was wir an Leistungen von der Violine erwarten, war bis in das 16. Jahrhundert hinein noch teils sehr erschwert, teils direkt unmöglich, ganz abgesehen davon, daß auch solche Wechsel der Handlage, wie sie für die Beherrschung des Tonraums der heutigen Streichinstrumente erfordert werden, durch die Bauart damals fast ausgeschlossen waren. Bei der damaligen Eigenart der Instrumemengattung ist es nicht erstaunlich, daß die Teilung des Griffbretts durch Bünde und also die mechanische Tonerzeugung überwog. Noch Virdung nennt daher die Handgeige zusammen mit primitiveren Streichinstrumenten »unnütz«. Im Zusammenhang mit der Nachfrage der höfischen Orchester begann im 16. Jahrhundert der Aufstieg der Streichinstrumente zu ihrer Vollendung. Wie es scheint, war bei Orchestern und Instrumentenbauern das in Italien stets lebendige Verlangen nach ausdrucksreicher Klangschönheit – nach »gesanglichem« Ton – und daneben wohl nach Zierlichkeit des Instruments treibend. Schon vor dem Übergang der Suprematie im Geigenbau an Brescia und Cremona bemerkt man im 16. Jahrhundert eine allmähliche Annäherung der verschiedenen Teile des Instruments (speziell der Steg- und Schalloch-Form) an ihre endgültige Gestaltung. Aber was diese, einmal erlangt, an Möglichkeiten bot, ging weit über das hinaus, was die Nachfrage verlangt hatte. Die Leistungsfähigkeit der Amatischen Instrumente scheint viele Jahrzehnte lang nicht wirklich ausgenutzt worden zu sein. Wie die einzelne Violine nach einer unausrottbaren Überzeugung erst »eingespielt« sein, jedenfalls aber rein zeitlich das Alter etwa einer Generation überschritten haben muß, ehe sie die volle Höhe ihrer Leistung erreichen kann, so ging auch die Einbürgerung sehr langsam vor sich, gerade verglichen mit anderen Neuerungen der damaligen Zeit. Mögen auch Rühlmanns Annahmen, welche die Entstehung der modernen Streichinstrumente gern einem absolut singulären, unvorbereiteten Zufall zuweisen möchten, viel zu weit gehen, so bleibt doch wohl wahr, daß ein solcher Tonumfang, wie ihn der Bau des Instruments gestattete, damals noch in keiner Weise beansprucht wurde, und daß auch seine Verwendbarkeit als spezifisches Soloinstrument der Virtuosen von den Erbauern nicht vorausgeahnt werden konnte. Es ist doch wohl anzunehmen, daß das Augenmerk auch der Amati, Guarneri und Stradivari wesentlich nur der Tonschönheit und daneben der Handlichkeit im Interesse der möglichsten Bewegungsfreiheit des Spielers zugewendet war, daß die Beschränkung auf vier Saiten, die Beseitigung der Bünde – und damit der mechanischen Tonerzeugung – und die endgültige Festlegung der Form aller einzelnen Teile des Resonanzkörpers und der Schwingungsleitungen ebenfalls wesentlich daher rührten, und daß die anderen Vorzüge ihnen als »Nebenprodukte« zufielen, ebenso ungewollt, wie der »Stimmungsgehalt« gotischer Innenräume, wenigstens zunächst, eine ungewollte Konsequenz rein konstruktiver Neuerungen war. Eine rationale Fundierung, wie sie die Orgel, das Klavier und seine Vorgänger, ebenso die Blasinstrumente und selbst das wesentlich auf zünftigem Boden fortentwikkelte Crwth sehr deutlich erkennen lassen, hat dem Schaffen der großen Violinbauer jedenfalls gefehlt. Die Benutzung des rein empirisch, in allmählicher Entwicklung gewonnenen Wissens der Vergangenheit über die zweckmäßigste Form der Decke und der Schallöcher, des Stegs und seiner Durchbrechung, der Seele, des Balkens und der Zargen und ein rein empirisches Erproben der besten Qualitäten des Holzes und vermutlich auch des Lacks erzielten jene Leistungen, welche heute – vielleicht wegen des Verschwindens der Balsamfichte – nicht mehr voll nachzuahmen sind. Die so geschaffenen Instrumente bedeuteten, bloß auf ihre technische Konstruktion hin angesehen, an und für sich keineswegs ein Mittel der Förderung harmonischer Musik. Im Gegenteil: das Fehlen des Stegs bei den älteren Instrumenten hatte deren Verwendung zur Hervorbringung von Akkorden, die Bourdonsaiten [hatten deren Verwendung] zur harmonischen Stützung der Melodie erleichtert. Das fiel bei den modernen Instrumenten fort, welche vielmehr zu Trägern melodischer Wirkungen bestimmt schienen. Aber der von dramatischen Interessen beherrschten Musik der Spätrenaissance war eben dies für ihre Zwecke willkommen. Daß die neuen Instrumente im Orchester der Opern ziemlich bald (in moderner Art nach der üblichen Annahme zuerst schon von Monteverdi im Orfeo) verwendet wurden, wir dagegen von ihrer Verwendung als Soloinstrumente zunächst nichts hören, hat seinen Grund allerdings wohl auch in der traditionellen Festlegung des sozialen Ranges der einzelnen Instrumente zueinander. Der Lautenist war, weil die Laute auch höfisches Dilettanteninstrument war, gesellschaftsfähig, seine Gage betrug in einem Orchester der Königin Elisabeth das Dreifache derjenigen des Violinisten, das fünffache des Dudelsackpfeifers. Der Organist vollends galt als Künstler. Der Violinvirtuose hatte eine solche Stellung erst zu erringen, und erst nachdem dies (bes. durch Corelli) geschehen war, begann auch eine umfangreichere Streichinstrumentenliteratur sich zu entwickeln. Und während das Orchester des Mittelalters und der Renaissance von den Blasinstrumenten her geschaffen worden war, erscheint uns heute die Orchestermusik ohne die Violinen undenkbar – außer in der Militärmusik, der alten natürlichen Heimat der Blasinstrumente. Die modernen Streichinstrumente sind eben auch als Orchesterinstrumente Binnenrauminstrumente und geben ihre letzten Feinheiten auch da nicht in Räumen, die eine gewisse mäßige Größe überschreiten: sicher eine geringere, als sie heute, auch für die Kammermusik, sehr häufig gewählt wird. In noch stärkerem Maße gilt der Binnenraumcharakter für die spezifisch modernen Tasteninstrumente.


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