Verschiedenheit asiatischer und okzidentaler Mystik


Soweit eine innerweltliche Erlösungsreligion durch kontemplative Züge determiniert ist, ist die normale Folge mindestens relativ weltindifferente, jedenfalls aber demütige Hinnahme der gegebenen sozialen Ordnung. Der Mystiker Taulerschen Gepräges sucht nach des Tages Arbeit des Abends die kontemplative Einigung mit Gott und geht am anderen Morgen, wie Tauler stimmungsvoll ausführt, in der richtigen inneren Verfassung an seine gewohnte Arbeit. An der Demut und dem sich Kleinmachen vor dem Menschen erkennt man bei Laotse den Mann, der die Einigung mit dem Tao gefunden hat. Der mystische Einschlag in der lutherischen Religiosität, deren höchstes diesseitiges Heilsgut letztlich die unio mystica ist, bedingte (neben noch anderen Motiven) die Indifferenz gegenüber der Art der äußeren Organisation der Wortverkündigung und auch ihren antiasketischen und traditionalistischen Charakter. Der typische Mystiker ist weder ein Mann starken sozialen Handelns überhaupt, noch vollends der rationalen Umgestaltung der irdischen Ordnungen an der Hand einer auf den äußeren Erfolg gerichteten methodischen Lebensführung. Wo auf dem Boden genuiner Mystik Gemeinschaftshandeln entsteht, da ist es der Akosmismus des mystischen Liebesgefühls, der seinen Charakter prägt. In diesem Sinn kann die Mystik, entgegen dem »logisch« Deduzierbaren, psychologisch gemeinschaftsbildend wirken. Die feste Überzeugung, daß die christliche Bruderliebe, wenn hinlänglich rein und stark, zur Einheit in allen Dingen, auch im dogmatischen Glauben führen müsse, daß also Menschen, die sich hinlänglich, im johanneischen Sinne, mystisch lieben, auch gleichartig denken und, gerade aus der Irrationalität dieses Fühlens heraus, solidarisch gottgewollt handeln, ist die Kernidee des orientalischmystischen Kirchenbegriffs, der deshalb die unfehlbare rationale Lehrautorität entbehren kann, und auch dem slavophilen Gemeinschaftsbegriff innerhalb und außerhalb der Kirche zugrunde liegt. In gewissem Maße war der Gedanke der alten Christenheit noch gemeinsam, er liegt Muhammeds Glauben an die Unnötigkeit formaler Lehrautoritäten und – neben anderen Motiven – auch der Minimisierung der Organisation der altbuddhistischen Mönchsgemeinde zugrunde. – Wo dagegen eine innerweltliche Erlösungsreligion spezifisch asketische Züge trug, hat sie stets den praktischen Rationalismus im Sinn der Steigerung des rationalen Handelns als solchen, der methodischen Systematik der äußeren Lebensführung und der rationalen Versachlichung und Vergesellschaftung der irdischen Ordnungen, seien dies Mönchsgemeinschaften oder Theokratien, gefordert.

Es ist nun der historisch entscheidende Unterschied, der vorwiegend morgenländischen und asiatischen, gegenüber den vorwiegend okzidentalen Arten der Erlösungsreligiosität, daß die ersteren wesentlich in Kontemplation, die letzteren in Askese ausmünden. Daß der Unterschied ein flüssiger ist, daß ferner die mannigfachen stets wiederkehrenden Kombinationen von mystischen und asketischen Zügen, z.B. in der Mönchsreligiosität des Abendlands, die Vereinbarkeit dieser an sich heterogenen Elemente zeigen, dies alles ändert nichts an der großen Bedeutung des Unterschiedes selbst für unsere rein empirische Betrachtung. Denn der Effekt im Handeln ist es, der uns angeht. In Indien gipfelt selbst eine so asketische Heilsmethodik wie die der Jainamönche in einem rein kontemplativen mystischen letzten Ziel, in Ostasien ist der Buddhismus die spezifische Erlösungsreligiosität geworden. Im Okzident dagegen schlägt, wenn von den vereinzelten Vertretern eines spezifischen Quietismus, die erst der Neuzeit angehören, abgesehen wird, selbst ausgesprochen mystisch gefärbte Religiosität immer erneut in aktive und dann natürlich meist asketische Tugend um, oder vielmehr: es werden im Wege einer inneren Auslese der Motive die vorwiegend zu irgendeinem aktiven Handeln, gewöhnlich zur Askese weisenden bevorzugt und in die Praxis umgesetzt. Sowohl die bernhardinische wie die franziskanisch-spiritualistische, wie die täuferische und die jesuitische Kontemplation wie die Gefühlsschwelgerei Zinzendorfs hinderten nicht, daß bei der Gemeinde und oft beim Mystiker selbst, Handeln und Bewährung der Gnade im Handeln immer wieder, wenn auch freilich in sehr verschiedenem Maße, asketisch rein oder kontemplativ gebrochen, die Oberhand behielten, und Meister Eckhardt stellt schließlich Martha über Maria, dem Heiland zum Trotz. In einem gewissen Grade ist dies aber dem Christentum von Anfang an eigentümlich. Schon in der Frühzeit, als alle Arten von irrationalen charismatischen Gaben des Geistes als das entscheidende Merkmal der Heiligkeit galten, beantwortet dennoch die Apologetik die Frage: woran man denn die göttliche und nicht etwa satanische oder dämonische Provenienz jener pneumatischen Leistungen des Christus und der Christen erkennen könne, dahin: daß die offensichtliche Wirkung des Christentums auf die Sittlichkeit seiner Anhänger dessen göttliche Herkunft bewähre. So hätte kein Inder antworten können.

Von den Gründen dieses fundamentalen Unterschieds ist an dieser Stelle auf folgende hinzuweisen:

1. Die Konzeption des einen überweltlichen, schrankenlos allmächtigen Gottes und der Kreatürlichkeit der von ihm aus dem Nichts geschaffenen Welt, welche, von Vorderasien aus, dem Okzident oktroyiert wurde. Der Erlösungsmethodik war damit der Weg zur Selbstvergottung und zum genuin mystischen Gottesbesitz wenigstens im eigentlichen Sinne des Worts als blasphemische Kreaturvergötterung und ebenso zu den letzten pantheistischen Konsequenzen verschlossen und hat stets als heterodox gegolten. Alle Erlösung mußte immer erneut den Charakter einer ethischen »Rechtfertigung« vor jenem Gott annehmen, die letztlich nur durch ein irgendwie aktives Handeln zu leisten und zu gewähren war. Die »Bewährung« der wirklich göttlichen Qualität des mystischen Heilsbesitzes (vor dem eigenen Forum des Mystikers) führt eben nur durch diesen Weg, der in die Mystik selbst wieder Paradoxien, Spannungen und Ausschließung der letzten Abstandslosigkeit von Gott hineinträgt, welche der indischen Mystik erspart blieben. Die Welt des okzidentalen Mystikers ist ein »Werk«, ist »geschaffen«, nicht, auch nicht in ihren Ordnungen, für alle Ewigkeit schlechthin gegeben, wie die des Asiaten. Weder konnte daher im Okzident die mystische Erlösung restlos im Bewußtsein der absoluten Einheit mit einer höchsten weisen »Ordnung« als dem einzig wahren »Sein« gefunden werden, noch war andererseits ein Werk von göttlicher Provenienz jemals in dem Sinn möglicher Gegenstand absolutester Flucht wie dort.

2. Diese Gegensätzlichkeit aber hing ferner mit dem Charakter der asiatischen Erlösungsreligionen als reiner Intellektuellenreligionen zusammen, welche die »Sinnhaftigkeit« der empirischen Welt nie aufgaben. Für den Inder konnte daher tatsächlich durch »Einsicht« in die letzten Konsequenzen der Karmankausalität ein Weg zur Erleuchtung und Einheit von »Wissen« und Handeln führen, der jeder Religiosität ewig verschlossen blieb, welche vor der absoluten Paradoxie der »Schaffung« einer feststehendermaßen unvollkommenen Welt durch einen vollkommenen Gott stand, also durch intellektuelle Bewältigung dieser nicht zu Gott hin, sondern von ihm fortgeführt wurde. Die rein philosophisch unterbaute Mystik des Abendlands steht daher, praktisch angesehen, der asiatischen weitaus am nächsten.

3. Von praktischen Momenten kommt in Betracht, daß, aus noch zu erörternden Gründen, der römische Okzident allein auf der gesamten Erde ein rationales Recht entwickelt hatte und behielt. Die Beziehung zu Gott wurde in spezifischem Maß eine Art von rechtlich definierbarem Untertanenverhältnis, die Frage der Erlösung entschied sich in einer Art von Rechtsverfahren, wie dies ja noch bei Anselm von Canterbury charakteristisch entwickelt ist. Eine unpersönliche göttliche Macht oder ein Gott, der nicht schlechthin über, sondern innerhalb einer ewigen, sich selbst durch die Karmankausalität regulierenden Welt stand, oder das Tao, oder die himmlischen Almengeister des chinesischen Kaisers, und vollends die asiatischen Volksgötter konnten eine solche Wendung der Heilsmethodik nie produzieren. Die höchsten Formen der Frömmigkeit wendeten sich hier immer pantheistisch und in ihren praktischen Antrieben kontemplativ.

4. Teils römischer, teils jüdischer Provenienz war der rationale Charakter der Erlösungsmethodik auch in anderer Hinsicht. Das Hellenentum schätzte, trotz aller Bedenken des Stadtpatriziates gegen den dionysischen Rauschkult, die Ekstase, die akut orgiastische als göttlichen Rausch, die milde Form der Euphorie, wie sie vor allem Rhythmus und Musik vermittelten, als ein Innewerden des spezifisch Göttlichsten im Menschen. Gerade die Herrenschicht der Hellenen lebte mit dieser milden Form der Ekstasis von Kindheit auf. Es fehlt in Hellas seit der Herrschaft der Hoplitendisziplin eine Schicht von solchem sozialen Prestige, wie der Amtsadel Roms es war. Die Verhältnisse waren in jeder Hinsicht kleiner und minder feudal. Das Würdegefühl des Römeradels, der ein rationaler Amtsadel war, auf zunehmend größtem Piedestal, schließlich mit Städten und Ländern in der Klientel der einzelnen Familien, lehnte dagegen schon in der Terminologie den der Ekstasis entsprechenden Begriff: die »superstitio«, als das des vornehmen Mannes spezifisch Unwürdige, Unschickliche ebenso ab wie den Tanz. Kultischer Tanz findet sich nur bei den ältesten Priesterkollegien und im eigentlichen Sinne des Tanzreigens nur bei den fratres arvales, und zwar charakteristischerweise hinter verschlossenen Türen nach Entfernung der Gemeinde. Im übrigen aber galt für den Römer das Tanzen als unschicklich, ebenso wie die Musik, in welcher daher Rom absolut unproduktiv blieb, und wie das nackte Ringen im Gymnásion, welches der spartiatische Exerzierplatz geschaffen hatte. Die dionysischen Rauschkulte verbot der Senat. Die Ablehnung jeder Art der Ekstase ebenso wie jeder Befaßtheit mit individueller Heilsmethodik seitens des weltbeherrschenden militärischen Amtsadels Roms – entsprechend etwa der jeder Heilsmethodik ebenfalls streng feindlichen konfuzianischen Bürokratie – war nun eine der Quellen jenes durchaus praktisch- politisch gewendeten, streng sachlichen Rationalismus, den die Entwicklung der okzidentalen Christengemeinden als feststehenden Charakterzug aller auf eigentlich römischem Boden möglichen Religiosität vorfand und den die römische Gemeinde speziell ganz bewußt und konsequent übernahm. Von der charismatischen Prophetie angefangen bis zu den größten Neuerungen der Kirchenmusik hat diese Gemeinde keinerlei irrationales Element aus eigener Initiative der Religiosität oder der Kultur eingefügt. Sie war unendlich viel ärmer an theologischen Denkern nicht nur, sondern, dem Eindruck der Quellen nach, ebenso an jeder Art von Äußerungen des »Pneuma«, als der hellenistische Orient und etwa die Gemeinde von Korinth. Dennoch und eben deshalb aber hat ihr praktisch nüchterner Rationalismus, das wichtigste Erbteil des Römertums in der Kirche, bei der dogmatischen und ethischen Systematisierung des Glaubens bekanntlich fast überall den Ausschlag gegeben. Entsprechend war auch die weitere Entwicklung der Heilsmethodik im Okzident. Die asketischen Ansprüche der alten Benediktinerregel, ebenso aber der kluniazensischen Reform sind, an indischen und auch altorientalischen Maßstäben gemessen, äußerst bescheiden und auf Novizen aus vornehmen Kreisen zugeschnitten; als wesentliches Charakteristikum aber tritt andererseits gerade im Okzident als hygienisch- asketisches Mittel die Arbeit hervor und steigert sich dann an Bedeutung in der ganz methodisch die rationalste Schlichtheit pflegenden Zisterzienserregel. Das Bettelmönchtum wird im Gegensatz zu den indischen Bettelmönchen alsbald nach seinem Entstehen in den hierarchischen Dienst gezwungen und dient rationalen Zwecken: systematischer Karitas – die im Okzident zum sachlichen »Betrieb« entwickelt wurde – oder der Predigt und der Ketzerjurisdiktion. Der Jesuitenorden endlich streifte die antihygienischen Elemente der alten Askese völlig ab und ist die vollendetste rationale Disziplinierung für Zwecke der Kirche. Diese Entwicklung aber hing offensichtlich ihrerseits damit zusammen, daß

5. die Kirche hier eine einheitliche rationale Organisation ist mit monarchischer Spitze und zentralisierter Kontrolle der Frömmigkeit, daß also neben dem persönlichen überweltlichen Gott auch ein innerweltlicher Herrscher von ungeheurer Machtfülle und der Fähigkeit aktiver Lebensreglementierung stand. Den ostasiatischen Religionen fehlt dies teils aus historischen Gründen, teils aus solchen der Religiosität. Der straff organisierte Lamaismus hat, wie später zu erörtern, nicht die Straffheit einer bürokratischen Organisation. Die asiatischen Hierarchen, etwa die taoistischen oder andere Erzpatriarchen chinesischer und indischer Sekten, werden immer teils Mystagogen, teils Objekte anthropolatrischer Verehrung, teils, wie der Dalai Lama und Taschilama, Chefs einer reinen Mönchsreligion magischen Charakters. Die außerweltliche Askese des Mönchtums ist nur im Okzident, wo es zur disziplinierten Truppe einer rationalen Amtsbürokratie wurde, zunehmend zu einer Methodik aktiv rationaler Lebensführung systematisiert worden. Der Okzident allein aber hat dann weiter auch die Übertragung der rationalen Askese in das Weltleben selbst im asketischen Protestantismus gesehen. Denn die innerweltlichen Derwîsch-Orden des Islâm pflegen eine unter sich verschiedene, letztlich aber immer noch an der indisch-persischen entweder direkt orgiastischen oder pneumatischen oder kontemplativen, dem Wesen nach jedenfalls nicht in dem hier gebrauchten Sinne des Wortes asketischen, sondern mystischen Heilssuche der S. ûfî's orientierte Heilsmethodik. Inder pflegen bei Derwîsch-Orgien führend beteiligt zu sein bis nach Bosnien hinein. Die Derwîsch- Askese ist nicht, wie die Ethik des asketischen Protestanten, eine religiöse »Berufsethik«, denn die religiösen Leistungen stehen mit den weltlichen Berufsansprüchen oft in gar keinem, höchstens aber in einem äußerlichen heilsmethodischen Zusammenhang. Gewiß kann jene Heilsmethodik indirekt Wirkungen auf das Berufsleben entfalten. Der schlicht fromme Derwîsch ist unter sonst gleichen Umständen als Handwerker zuverlässiger als der irreligiöse, ebenso etwa wie der fromme Parse wegen des strengen Wahrheitsgebots als Kaufmann prosperiert. Aber eine prinzipielle und systematische ungebrochene Einheit von innerweltlicher Berufsethik und religiöser Heilsgewißheit hat in der ganzen Welt nur die Berufsethik des asketischen Protestantismus gebracht. Die Welt ist eben nur hier in ihrer kreatürlichen Verworfenheit ausschließlich und allein religiös bedeutsam als Gegenstand der Pflichterfüllung durch rationales Handeln, nach dem Willen eines schlechthin überweltlichen Gottes. Der rationale, nüchterne, nicht an die Welt hingegebene Zweckcharakter des Handelns und sein Erfolg ist das Merkmal dafür, daß Gottes Segen darauf ruht. Nicht Keuschheit, wie beim Mönch, aber Ausschaltung aller erotischen »Lust«, nicht Armut, aber Ausschaltung alles rentenziehenden Genießens und der feudalen lebensfrohen Ostentation des Reichtums, nicht die asketische Abtötung des Klosters, aber wache, rational beherrschte Lebensführung und Vermeidung aller Hingabe an die Schönheit der Welt oder die Kunst oder an die eigenen Stimmungen und Gefühle sind die Anforderungen, Disziplinierung und Methodik der Lebensführung das eindeutige Ziel, der »Berufsmensch« der typische Repräsentant, die rationale Versachlichung und Vergesellschaftung der sozialen Beziehungen die spezifische Folge der okzidentalen innerweltlichen Askese im Gegensatz zu aller anderen Religiosität der Welt. –


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