Verhalten von Katholiken, Juden, Puritanern zum Erwerbsleben
Die gegenseitige Situation von Katholiken, Juden und Puritanern beim wirtschaftlichen Erwerb läßt sich also etwa so zusammenfassen: der strenggläubige Katholik bewegte sich im Erwerbsleben fortwährend in der Sphäre oder an der Grenze eines Verhaltens, welches teils gegen päpstliche Konstitutionen verstieß und nur rebus sic stantibus im Beichtstuhl ignoriert oder nur durch laxe (probabilistische) Moral gestattet, teils direkt bedenklich, teils wenigstens nicht positiv gottwohlgefällig war. Der fromme Jude kam dabei unvermeidlich in die Lage, Dinge zu tun, welche unter Juden direkt gesetzwidrig oder traditionell bedenklich oder nur kraft laxer Interpretation zulässig und nur dem Fremden gegenüber erlaubt, nie aber mit positiven ethischen Wertvorzeichen versehen waren; sein ethisches Verhalten konnte nur, als dem Durchschnitt des Üblichen entsprechend und formal nicht gesetzwidrig, von Gott erlaubt und als sittlich indifferent gelten. Eben hierauf beruht ja das, was an den Behauptungen von dem geringeren Legalitätsstandard der Juden wirklich wahr gewesen ist. Daß Gott es mit Erfolg krönte, konnte zwar ein Zeichen dafür sein, daß er auf diesem Gebiet nichts direkt Verbotenes getan und auf anderen Gebieten sich an Gottes Gebote gehalten hatte, nicht leicht aber konnte er gerade durch das spezifisch moderne ökonomische Erwerbshandeln sich ethisch bewähren. Eben dies letztere aber war bei dem frommen Puritaner der Fall, der gerade nicht kraft laxer Interpretation oder doppelter Moral, oder weil er etwas ethisch Indifferentes und auf dem eigentlichen Geltungsgebiet des Ethischen Verpöntes tat, sondern umgekehrt mit dem denkbar besten Gewissen, eben dadurch, daß er, rechtlich und sachlich handelnd, die rationale Methodik seiner gesamten Lebensführung im »Betrieb« objektivierte, sich vor sich selbst und im Kreise seiner Gemeinde legitimierte und eben auch nur soweit und dadurch legitimierte, als und weil die absolute, nicht relativierte, Unanfechtbarkeit seines Verhaltens völlig feststand. Kein wirklich frommer Puritaner – darauf kommt es an – hätte je durch Pfandwucher, durch Ausnutzung des Irrtums des Gegenparts (was dem Juden gegen den Fremden zustand), durch Feilschen und Schachern, durch Beteiligung an politischen oder kolonialen Raubverdiensten erworbenes Geld für gottwohlgefälligen Gewinn halten können. Der feste Preis, die absolut sachliche, jeden Durst nach Geld verschmähende, bedingungslos legale Geschäftsgebarung jedermann gegenüber ist es, deren Bewährtheit vor den Menschen die Quäker und Baptisten es zugeschrieben haben, daß gerade die Gottlosen bei ihnen und nicht [bei] ihresgleichen kauften, ihnen, nicht ihresgleichen ihr Geld in Verwahrung und in Kommandite anvertrauten und sie reich machten, und eben diese Qualitäten bewährten sie vor ihrem Gott. Das Fremdenrecht, in der Praxis: das Pariarecht der Juden dagegen gestattete, trotz noch so vieler Vorbehalte, dem Nichtjuden gegenüber die Betätigung gerade derjenigen Gesinnung, welche der Puritaner als erwerbsdurstigen Krämergeist verabscheute, die aber beim frommen Juden mit der strengsten Rechtlichkeit, mit voller Erfüllung des Gesetzes und mit der ganzen Gottinnigkeit seiner Religiosität und der opferbereitesten Liebe zu den ihm in Familie und Gemeinde Verbundenen und mit Erbarmen und Milde gegen alle Gottesgeschöpfe vereinbar war. Niemals galt, gerade in der Praxis des Lebens, der jüdischen Frömmigkeit die Sphäre jenes erlaubten Erwerbs im Geltungsbereich des Fremdenrechts als diejenige, in welcher sich die Echtheit des Gehorsams gegen Gottes Gebote bewährt. Niemals hat ein frommer Jude den inneren Standard seiner Ethik daran bemessen, was er hier für erlaubt hielt. Sondern wie dem Konfuzianer der zeremoniell und ästhetisch allseitig entwickelte, literarisch gebildete und sein Leben lang weiter die Klassiker studierende Gentleman, so ist dem Juden der kasuistisch Gesetzeskundige, der Schriftgelehrte, der auf Kosten seines Geschäfts, das er sehr oft der Frau überläßt, immer weiter in den heiligen Schriften und Kommentaren forschende »Intellektuelle« das eigentliche Lebensideal.
Gegen eben diesen intellektualistischen, schriftgelehrtenhaften Zug des genuinen Spätjudentums lehnt sich Jesus auf. Nicht die in ihn hineininterpretierten »proletarischen« Instinkte, sondern die Art der Gläubigkeit und das Niveau der Gesetzeserfüllung des Kleinstädters und Landhandwerkers, im Gegensatz zu den Virtuosen des Gesetzeswissens ist es, was in dieser Hinsicht seinen Gegensatz bildet gegen die auf dem Boden der Polis Jerusalem gewachsenen Schichten, die ganz wie jeder Großstadtbürger der Antike fragen: »Was kann von Nazareth Gutes kommen?« Seine Art der Gesetzeserfüllung und Gesetzeskenntnis ist jener Durchschnitt, welchen der praktisch arbeitende Mann, der auch am Sabbath nicht sein Schaf im Brunnen liegen lassen kann, wirklich leistet. Die für den eigentlich Frommen obligatorische jüdische Gesetzeskenntnis dagegen geht, schon in der Art der Jugenderziehung, nicht nur quantitativ, sondern qualitativ weit über die Bibelfestigkeit des Puritaners hinaus und ist nur allenfalls mit den Ritualgesetzen der Inder und Perser zu vergleichen, nur daß sie eben in weit größerem Umfang neben bloßen rituellen und Tabunormen auch sittliche Gebote enthält. Das ökonomische Verhalten der Juden bewegte sich einfach in der Richtung des geringsten Widerstandes, den diese Normen ihnen ließen, und das hieß eben praktisch: daß der in allen Schichten und Nationen verbreitete, nur verschieden wirkende, »Erwerbstrieb« auf den Handel mit Fremden, also »Feinden«, ausgerichtet wurde. Der fromme Jude schon der Zeit des Josias, erst recht der nachexilische Jude ist ein Stadtmensch. Das ganze Gesetz ist darauf zugeschnitten. Weil ein Schächter notwendig war, lebte der orthodoxe Jude nicht isoliert, sondern möglichst in Gemeinden (auch jetzt Spezifikum der Orthodoxie gegenüber den Reformjuden z.B. in Amerika). Das Sabbathjahr – in der jetzigen Fassung der Bestimmungen doch wohl sicher eine nachexilische Schöpfung städtischer Schriftgelehrter – machte, in seinem Geltungsbereich, die rationelle intensive Landwirtschaft unmöglich: noch jetzt19 haben die deutschen Rabbinen seine Anwendung auf die zionistische Palästinasiedlung, die daran gescheitert wäre, erzwingen wollen, und der Epoche der Pharisäer war ein »Landmann« gleichbedeutend mit einem Juden zweiten Ranges, der das Gesetz nicht voll hält und halten kann. Die Teilnahme an den Gelagen einer Zunft, überhaupt jede Tischgemeinschaft mit den Nichtjuden, in der Antike wie im Mittelalter die unentbehrliche Grundlage jeder Einbürgerung in die Umwelt, verbot das Gesetz. Dagegen begünstigte (und begünstigt) die gemeinorientalische, ursprünglich auf dem Ausschluß der Töchter vom Erbe beruhende Sitte des »Brautschatzes« die Tendenz, sich gleichzeitig mit der Verheiratung als Kleinkrämer zu etablieren (das wirkt teilweise noch jetzt nach in Form des geringen »Klassenbewußtseins« der jüdischen Handlungsgehilfen). In allen anderen Hantierungen ist, wie der fromme Hindu, so der Jude auf Schritt und Tritt gehemmt durch Rücksichten auf das Gesetz. Wirkliches Gesetzesstudium konnte – das hat Guttmann mit Recht hervorgehoben – am leichtesten mit dem relativ wenig stetige Arbeit erfordernden Geldleihgeschäft vereinigt werden. Die Wirkung des Gesetzes und der intellektualistischen Gesetzesschulung ist die »Lebensmethodik« des Juden und sein »Rationalismus«. »Nie ändere der Mensch einen Brauch« ist ein Talmudgrundsatz. Einzig und allein auf dem Gebiet des ökonomischen Verkehrs mit Fremden hat die Tradition die Lücke des ethisch (relativ) Irrelevanten gelassen. Sonst nirgends. Die Tradition und ihre Kasuistik herrscht auf dem ganzen Gebiet des vor Gott Relevanten, nicht ein rational, voraussetzungslos, aus einem »Naturrecht« heraus, selbstorientiertes methodisches Zweckhandeln. Die »rationalisierende« Wirkung der Gesetzesangst ist eine überaus penetrante, aber gänzlich indirekte. »Wach« und immer bei sich, stets beherrscht und gleichmäßig ist auch der Konfuzianer, der Puritaner, der buddhistische und jeder Mönch, der arabische Scheich, der römische Senator. Grund und Sinn der Selbstbeherrschtheit aber sind das Verschiedene. Die wache Beherrschtheit des Puritaners folgt aus der Notwendigkeit der Unterwerfung des Kreatürlichen unter die rationale Ordnung und Methodik im Interesse der eigenen Heilsgewißheit, die des Konfuzianers aus der Verachtung pöbelhafter Irrationalität seitens des zu Anstand und Würde erzogenen klassisch Gebildeten, die des altfrommen Juden aus dem Grübeln über dem Gesetz, an dem sein Intellekt geschult ist, und der Notwendigkeit steter Aufmerksamkeit auf seine genaue Erfüllung. Dies aber gewann seine spezifische Färbung und Wirkung durch das Bewußtsein des frommen Juden davon: daß nur er und sein Volk dies Gesetz haben und um deswillen von aller Welt verfolgt und mit Schmutz beworfen sind, daß es gleichwohl verbindlich ist und daß eines Tages durch eine Tat, die über Nacht kommt, deren Zeitpunkt niemand wissen, zu dessen Beschleunigung auch niemand beitragen kann, Gott die Rangordnung der Erde umkehren wird in ein messianisches Reich für die, welche in allem dem Gesetz treu geblieben sind. Er wußte: daß nun schon ungezählte Geschlechter allem Spott zum Trotz so gewartet haben und warten, und mit dem Gefühl einer gewissen »Überwachheit«, die daraus folgte, verband sich für ihn die Notwendigkeit, je länger voraussichtlich noch weiter vergeblich gewartet werden müßte, desto mehr das eigene Würdegefühl aus dem Gesetz und seiner peinlichen Befolgung, um seiner selbst willen, zu speisen. Endlich und nicht zuletzt die Notwendigkeit, stets auf der Hut zu sein und nie seiner Leidenschaft freien Lauf zu lassen gegen ebenso übermächtige wie erbarmungslose Feinde, verbunden mit der früher besprochenen Wirkung des »Ressentiment« als eines in Jahves Verheißungen und in den dadurch verschuldeten, in aller Geschichte unerhörten Schicksalen dieses Volks begründeten unvermeidlichen Einschlags. – Diese Umstände sind es, welche, im wesentlichen, den »Rationalismus« des Judentums begründen. Nicht aber »Askese«. »Asketische« Züge gibt es im Judentum, aber sie sind allerdings nicht ihrerseits das Zentrale, sondern nur teils Konsequenzen des Gesetzes, teils aus der eigentümlichen Problematik der jüdischen Frömmigkeit gekommen, jedenfalls aber ebenso sekundär wie alles, was es an eigentlicher Mystik besitzt. Über die letztere ist hier nicht zu reden, da weder ihre kabbalistische noch ihre chassidistische noch andere Formen typische Motive für das praktische Verhalten der Juden zur Wirtschaft abgegeben haben, so symptomatisch wichtig die beiden genannten religiösen Erzeugnisse sind. Die »asketische« Abwendung von allem Künstlerischen hat, neben dem zweiten Gebot, welches in der Tat das Umschlagen der s. Zt. weit entwickelten Angelologie in künstlerische Formung hinderte, vor allem in dem reinen Lehrund Gebotscharakter des typischen synagogalen Gottesdienstes (in der Diaspora schon lange vor der Zerstörung des Tempelkults) seinen Grund: schon die Prophetie hatte gerade die plastischen Elemente des Kults herabgesetzt, die orgiastischen und orchestrischen im Erfolg so gut wie gänzlich ausgemerzt. Das Römertum und der Puritanismus sind (aber aus sehr verschiedenen Motiven) darin im Effekt ähnliche Wege gegangen. Plastik, Malerei, Drama entbehrten also der überall normalen religiösen Anknüpfungspunkte, und das starke Zurückebben alles (weltlich) Lyrischen und speziell der erotischen Sublimierung des Sexuellen gegenüber dem noch ganz derben sinnlichen Höhepunkt, welchen das Hohelied darstellt, hat in dem Naturalismus der ethischen Behandlung dieser Sphäre seinen Anlaß. Für alle diese Ausfälle im ganzen aber gilt: daß die stumme, glaubende und fragende Erwartung einer Erlösung aus der Hölle dieser Existenz eines doch von Gott erwählten Volks sich immer wieder nur auf das Gesetz und die alten Verheißungen hingewiesen fand und daß demgegenüber, auch wenn entsprechende Aussprüche der Rabbinen nicht überliefert wären, in der Tat alle unbefangene Hingabe an die künstlerische und poetische Verklärung einer Welt, deren Schöpfungszweck schon den Zeitgenossen des späteren Makkabäerreichs gelegentlich recht problematisch geworden war, als höchst eitel und von den Wegen und Zielen des Herrn abführend erscheinen mußte. Aber gerade, was der »innerweltlichen Askese« ihren entscheidenden Zug verleiht: die einheitliche Beziehung zur »Welt« aus dem Gesichtspunkt der certitudo salutis als Zentrum, aus welchem alles gespeist wird, fehlt. Der Pariacharakter der Religiosität und die Verheißungen Jahves sind auch hier der letzte entscheidende Grund. Eine innerweltlich asketische Behandlung der Welt – dieser jetzt, infolge der Sünden Israels, so grundverkehrten, aber eben nur durch ein von Menschen nicht zu erzwingendes und nicht zu beschleunigendes freies Wunder Gottes zurechtzurückenden Welt – als einer »Aufgabe« und als des Schauplatzes eines religiösen »Berufs«, der diese Welt, gerade auch die Sünde in ihr, unter die rationalen Normen des geoffenbarten göttlichen Willens zwingen will, zu Gottes Ruhm und zum Wahrzeichen der eigenen Erwählung, – diese calvinistische Stellungnahme war natürlich das Allerletzte, was einem traditionell frommen Juden je hätte in den Sinn kommen können. Er hatte ein weit schwereres inneres Schicksal zu überwinden als der seiner »Erwählung« für das Jenseits sichere Puritaner. Der Einzelne muß sich mit der Tatsache der Verheißungswidrigkeit der bestehenden Welt, solange Gott sie zuläßt, eben abfinden und sich genügen lassen, wenn Gott ihm Gnade und Erfolg schenkt im Verkehr mit den Feinden seines Volks, denen er, wenn er den Ansprüchen seiner Rabbinen genügen will, legal und nüchtern rechnend, ohne Liebe und ohne Haß, »sachlich« gegenübertritt und sie so behandelt, wie es ihm Gott erlaubt hat. Unrichtig ist es, wenn gesagt wird: nur die Äußerlichkeit der Gesetzesbefolgung sei religiöses Erfordernis gewesen. Das ist der naturgemäße Durchschnitt. Aber das Postulat stand höher.
Allerdings aber ist es die einzelne Handlung, welche als einzelne mit anderen einzelnen verglichen und aufgerechnet wird. Und wenn auch die Auffassung der Beziehung zu Gott als eines Kontokorrentes (sie findet sich übrigens gelegentlich auch bei Puritanern) der einzelnen guten und bösen Werke mit ungewissem Gesamtergebnis nicht die offiziell herrschende war, so ist allerdings die zentrale methodisch-asketische Orientiertheit der Lebensführung, wie sie den Puritanismus kennzeichnet, von den schon erwähnten Gründen abgesehen, einmal infolge der doppelten Moral eine unvermeidlich ungleich schwächere als dort. Dann aber deshalb: weil hier in der Tat, wie im Katholizismus, das Tun des einzelnen Gesetzmäßigen ein Produzieren der eigenen Heilschancen ist, mag auch (hier wie dort) Gottes Gnade die menschliche Unzulänglichkeit – die übrigens (wie im Katholizismus) durchaus nicht universell anerkannt war – ergänzen müssen. Die kirchliche Anstaltsgnade war, seit dem Verfall der alten palästinensischen Beichte (theschuba) weit unentwickelter als im Katholizismus, und diese Selbstverantwortlichkeit und Mittlerlosigkeit gab der jüdischen Lebensführung in der Tat notwendig etwas wesentlich Eigenmethodischeres, Systematischeres als der durchschnittlichen katholischen. Aber das Fehlen der spezifisch puritanischen asketischen Motive und der im Prinzip ungebrochene Traditionalismus der jüdischen Binnenmoral setzte auch da der Methodisierung eine Grenze. Es sind also zahlreiche nach Art der Asketen wirkende Einzelmotive da, nur fehlt gerade das religionseinigende Band des asketischen Grundmotivs. Denn die höchste Form der Frömmigkeit des Juden liegt nach der Seite der »Stimmung« und nicht des aktiven Handelns: wie sollte er sich in dieser grundverkehrten und – wie er seit der Zeit Hadrians weiß – nicht durch menschliche Tat zu ändernden, ihm feindlichen Welt jemals als Vollstrecker von Gottes Willen durch deren rationale Neuordnung fühlen?