a. Die individuelle Selbständigkeit: Heroenzeit

 

Überhaupt nun aber sind von dem Ideal das Üble und Böse, Krieg, Schlachten, Rache nicht ausgeschlossen, sondern werden häufig der Inhalt und Boden der heroischen, mythischen Zeit, der in um so härterer und wilderer Gestalt hervortritt, je weiter diese Zeiten von gesetzlicher und sittlicher Durchbildung abliegen. In den Abenteuern des Rittertums z. B., in welchen die fahrenden Ritter ausziehen, um dem Übel und Unrecht abzuhelfen, geraten die Helden oft genug selber in Wildheit und Unbändigkeit hinein, und in der ähnlichen Weise setzt auch die religiöse Heldenschaft der Märtyrer einen solchen Zustand der Barbarei und Grausamkeit voraus. Im ganzen jedoch ist das christliche Ideal, das in der Innigkeit und Tiefe des Innern seinen Platz hat, gleichgültiger gegen die Verhältnisse der Äußerlichkeit.

Wie nun der idealere Weltzustand bestimmten Zeitaltern vorzugsweise entspricht, so wählt die Kunst auch für die Gestalten, welche sie in demselben auftreten läßt, vorzugsweise einen bestimmten Stand - den Stand der Fürsten. Und nicht etwa aus Aristokratie und Liebe für das Vornehme, sondern der vollkommenen Freiheit des Willens und Hervorbringens wegen, welche sich in der Vorstellung der Fürstlichkeit realisiert findet. So sehen wir z. B. in der alten Tragödie den Chor als den individualitätslosen allgemeinen Boden der Gesinnungen, Vorstellungen und Empfindungsweisen, auf dem die bestimmte Handlung vor sich gehen soll. Aus diesem Boden erheben sich sodann die individuellen Charaktere der handelnden Personen, welche den Beherrschern des Volks, den Königsfamilien angehören. Den Figuren aus untergeordneten Ständen dagegen, wenn sie innerhalb ihrer beschränkten Verhältnisse zu handeln unternehmen, sehen wir überall die Gedrücktheit an; denn in ausgebildeten Zuständen sind sie in der Tat nach allen Seiten hin abhängig, eingeengt und kommen mit ihren Leidenschaften und Interessen durchweg ins Gedränge und in die Not der ihnen äußeren Notwendigkeit, da hinter ihnen gleich die unüberwindliche Macht der bürgerlichen Ordnung steht, gegen welche sie nicht ankommen können und selbst der Willkür der Höheren, wo diese gesetzlich berechtigt ist, ausgesetzt bleiben. An dieser Beschränkung durch bestehende Verhältnisse wird alle Unabhängigkeit zuschanden. Deshalb sind die Zustände und Charaktere aus diesen Kreisen geeigneter für das Lustspiel und das Komische überhaupt. Denn im Komischen haben die Individuen das Recht, sich, wie sie wollen und mögen, aufzuspreizen; sie dürfen sich in ihrem Wollen und Meinen und in ihrer Vorstellung von sich selber eine Selbständigkeit anmaßen, die ihnen unmittelbar durch sie selber und ihre innere und äußere Abhängigkeit wieder vernichtet wird. Hauptsächlich aber geht solch erborgtes Beruhen auf sich an den äußeren Verhältnissen und der schiefen Stellung der Individuen zu ihnen zugrunde. Die Macht dieser Verhältnisse ist für die niederen Stände in einem ganz anderen Grade als für Herrscher und Fürsten vorhanden. Don Cesar dagegen in Schillers Braut von Messina kann mit Recht ausrufen: »Es steht kein höhrer Richter über mir«, und wenn er gestraft sein will, so muß er sich selber das Urteil sprechen und vollstrecken. Denn er ist keiner äußeren Notwendigkeit des Rechts und Gesetzes unterworfen und auch in Ansehung der Strafe nur abhängig von sich selber. Die Shakespeareschen Gestalten gehören zwar nicht alle dem fürstlichen Stande an und stehen zum Teil auf einem historischen und nicht mehr mythischen Boden, aber sie sind dafür in Zeiten bürgerlicher Kriege versetzt, in denen die Bande der Ordnung und Gesetze sich auflockern oder brechen, und erhalten dadurch die geforderte Unabhängigkeit und Selbständigkeit wieder.

 


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