2. Das Verhältnis des Ideals zur Natur

 

Die bildliche und äußerliche Seite nun, welche dem Ideal ebenso notwendig ist als der in sich gediegene Inhalt, und die Art der Durchdringung beider führt uns auf das Verhältnis der idealen Darstellung der Kunst zur Natur. Denn dies äußerliche Element und dessen Gestaltung hat einen Zusammenhang mit dem, was wir überhaupt Natur heißen. In dieser Beziehung ist der alte, immerfort sich erneuernde Zwist, ob die Kunst natürlich im Sinne des vorhandenen Äußeren darstellen oder die Naturerscheinungen verherrlichen und verklären solle, noch nicht beigelegt. Recht der Natur und Recht des Schönen, Ideal und Naturwahrheit in solchen zunächst unbestimmten Wörtern kann man ohne Aufhören gegeneinanderreden. Denn das Kunstwerk soll allerdings natürlich sein, aber es gibt auch eine gemeine, häßliche Natur, diese soll nun wiederum nicht nachgebildet werden, andererseits aber - und so geht es ohne Ende und festes Resultat fort.

In neuerer Zeit ist der Gegensatz von Ideal und Natur vornehmlich durch Winckelmann wieder angeregt und von Wichtigkeit geworden. Winckelmanns Begeisterung hat sich, wie ich früher bereits andeutete, an den Werken der Alten und ihrer idealen Formen entzündet, und er ruhte nicht eher, bis er die Einsicht in deren Vortrefflichkeit gewonnen und die Anerkennung und das Studium dieser Meisterwerke der Kunst wieder in die Welt eingeführt hatte. Aus dieser Anerkennung nun aber ist eine Sucht nach idealischer Darstellung hervorgegangen, in der man die Schönheit gefunden zu haben glaubte, doch in Fadheit, Unlebendigkeit und charakterlose Oberflächlichkeit verfiel. Solche Leerheit des Ideals hauptsächlich in der Malerei hat Herr von Rumohr in seiner erwähnten Polemik gegen die Idee und das Ideal vor Augen.

Es ist nun die Sache der Theorie, diesen Gegensatz aufzulösen; das praktische Interesse dagegen für die Kunst selbst können wir auch hier wiederum ganz beiseite lassen, denn man mag der Mittelmäßigkeit und ihren Talenten Grundsätze einflößen, welche man will, es ist und bleibt dasselbe: sie produziert, ob nach einer schiefen oder nach der besten Theorie, doch immer nur Mittelmäßiges und Schwächliches. Außerdem ist die Kunst überhaupt und insbesondere die Malerei bereits durch andere Anregungen von dieser Sucht nach sogenannten Idealen abgekommen und hat auf ihrem Wege durch Auffrischung des Interesses für die ältere italienische und deutsche wie für die spätere holländische Malerei Gehaltvolleres und Lebendigeres in Formen und Inhalt zu erlangen wenigstens den Versuch gemacht.

Wie jener abstrakten Ideale ist man aber auf der anderen Seite der beliebten Natürlichkeit in der Kunst ebensosehr satt geworden. Auf dem Theater z. B. ist jedermann der alltäglichen Haushaltungsgeschichten und ihrer naturgetreuen Darstellung von Herzen müde. Den Jammer der Väter mit der Frau, den Söhnen und Töchtern, mit der Besoldung, dem Auskommen, mit der Abhängigkeit von Ministern und Intrigen der Kammerdiener und Sekretäre und ebenso die Not der Frau mit den Mägden in der Küche und den verliebten empfindsamen Dingern von Töchtern in dem Wohnzimmer - alle diese Sorge und Plage findet jeder getreuer und besser im eigenen Hause. Bei diesem Gegensatze des Ideals und der Natur hat man nun also die eine Kunst mehr als die andere im Sinne gehabt, hauptsächlich aber die Malerei, deren Sphäre gerade die anschauliche Besonderheit ist. Wir wollen deshalb die Frage in betreff dieses Gegensatzes allgemeiner so stellen: soll die Kunst Poesie oder Prosa sein? Denn das echt Poetische in der Kunst ist eben das, was wir Ideal nannten. Kommt es auf den bloßen Namen Ideal an, so ließe sich derselbe leicht aufgeben. Dann entsteht aber die Frage, was ist denn Poesie und was ist Prosa in der Kunst? Obschon auch das Festhalten des an sich selbst Poetischen in bezug auf bestimmte Künste zu Abirrungen führen kann und bereits geführt hat: insofern, was der Poesie ausdrücklich und näher der lyrischen etwa angehört, auch durch die Malerei dargestellt worden ist, weil solch ein Inhalt denn doch gewiß poetischer Art sei. Die jetzige Kunstausstellung (1828) z. B. enthält mehrere Gemälde, alle aus ein und derselben (der sogenannten Düsseldorfer) Schule, welche sämtlich Sujets aus der Poesie, und zwar aus der nur als Empfindung darstellbaren Seite der Poesie entlehnt haben. Sieht man diese Gemälde öfter und genauer an, so erscheinen sie bald genug als süß und fade. In jenem Gegensatze nun liegen folgende allgemeine Bestimmungen:

a) Die ganz formelle Idealität des Kunstwerks, indem die Poesie überhaupt, wie schon der Name andeutet, ein Gemachtes, vom Menschen Hervorgebrachtes ist, das er in seine Vorstellung aufgenommen, verarbeitet und aus derselben durch seine eigene Tätigkeit herausgestellt hat.

a) Der Inhalt kann dabei ganz gleichgültig sein oder uns außerhalb der Kunstdarstellung im gewöhnlichen Leben nur nebenher etwa äugenblicklich interessieren. In dieser Weise hat z. B. die holländische Malerei die vorhandenen flüchtigen Scheine der Natur als vom Menschen neu erzeugte zu tausend und aber tausend Effekten umzuschaffen gewußt. Samt, Metallglanz, Licht, Pferde, Knechte, alte Weiber, Bauern, aus Pfeifenstummeln den Rauch herausblasend, das Blinken des Weins im durchsichtigen Glase, Kerle in schmutzigen Jacken, mit alten Karten spielend: solche und hunderterlei andere Gegenstände, um welche wir uns im alltäglichen Leben kaum bekümmern - da uns selbst, wenn auch wir Karten spielen, trinken und von diesem und jenem schwatzen, noch ganz andere Interessen ausfüllen -, werden uns in diesen Gemälden vors Auge gebracht. Was uns aber bei dergleichen Inhalt, insofern ihn die Kunst uns darbietet, sogleich in Anspruch nimmt, ist eben dies Scheinen und Erscheinen der Gegenstände als durch den Geist produziert, welcher das Äußere und Sinnliche der ganzen Materiatur im Innersten verwandelt. Denn statt existierender Wolle, Seide, statt des wirklichen Haares, Glases, Fleisches und Metalls sehen wir bloße Farben, statt der totalen Dimensionen, deren das Natürliche zu seiner Erscheinung bedarf, eine bloße Fläche, und dennoch haben wir denselben Anblick, den das Wirkliche gibt.

ß) Gegen die vorhandene prosaische Realität ist daher dieser durch den Geist produzierte Schein das Wunder der Idealität, ein Spott, wenn man will, und eine Ironie über das äußerliche natürliche Dasein. Denn welche Anstalten muß die Natur und der Mensch im gewöhnlichen Leben machen, welcher unzähligen Mittel der verschiedensten Art müssen sie sich bedienen, um dergleichen hervorzubringen; welch einen Widerstand leistet hier das Material, wie das Metall z. B., wenn es bearbeitet werden soll. Die Vorstellung dagegen, aus welcher die Kunst schöpft, ist ein weiches, einfaches Element, das alles, was die Natur und der Mensch in seinem natürlichen Dasein sich müssen sauer werden lassen, leicht und gefügig seinem Innern entnimmt. Ebenso sind die dargestellten Gegenstände und der Mensch der Alltäglichkeit nicht von unerschöpflichem Reichtum, sondern beschränkt; Edelsteine, Gold, Pflanzen, Tiere usf. sind für sich nur dieses begrenzte Dasein. Der Mensch aber als künstlerisch schaffend ist eine ganze Welt von Inhalt, den er der Natur entwendet und in dem umfassenden Bereich der Vorstellung und Anschauung zu einem Schatze zusammengehäuft hat, welchen er nun auf einfache Weise ohne die weitläufigen Bedingungen und Veranstaltungen der Realität frei aus sich herausgibt.

Die Kunst in dieser Idealität ist die Mitte zwischen dem bloß objektiven bedürftigen Dasein und der bloß inneren Vorstellung. Sie liefert uns die Gegenstände selbst, aber aus dem Innern her; sie gibt sie nicht zum sonstigen Gebrauch, sondern beschränkt das Interesse auf die Abstraktion des ideellen Scheines für den bloß theoretischen Anblick.

Y) Dadurch nun erhebt sie durch diese Idealität zugleich die sonst wertlosen Objekte, welche sie ihres unbedeutenden Inhalts unerachtet für sich fixiert und zum Zweck macht und auf das unsere Teilnahme richtet, woran wir sonst rücksichtslos vorübergehen würden. Dasselbe vollbringt die Kunst in Rücksicht auf die Zeit und ist auch hierin ideell. Was in der Natur vorübereilt, befestigt die Kunst zur Dauer; ein schnell verschwindendes Lächeln, einen plötzlichen schalkhaften Zug um den Mund, einen Blick, einen  flüchtigen Lichtschein, ebenso geistige Züge im Leben der Menschen, Vorfälle, Begebenheiten, welche kommen und gehen, da sind und wieder vergessen werden - alles und jedes entreißt sie dem augenblicklichen Dasein und überwindet auch in dieser Beziehung die Natur.

In dieser formellen Idealität nun aber der Kunst ist es nicht der Inhalt selbst, was uns vornehmlich in Anspruch nimmt, sondern die Satisfaktion des geistigen Hervorbringens. Die Darstellung muß hier natürlich erscheinen, doch nicht das Natürliche daran als solches, sondern jenes Machen, das Vertilgtwerden gerade der sinnlichen Materialität und der äußerlichen Bedingungen ist das Poetische und Ideale in formellem Sinne. Wir erfreuen uns an einer Manifestation, welche erscheinen muß, als hätte die Natur sie hervorgebracht, während sie doch ohne deren Mittel eine Produktion des Geistes ist; die Gegenstände ergötzen uns nicht, weil sie so natürlich, sondern weil sie so natürlich gemacht sind.

 


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