a. Die individuelle Selbständigkeit: Heroenzeit

 

β) Um die bestimmte Gestalt solch einer Wirklichkeit klarer hervortreten zu lassen, wollen wir einen Blick auf die entgegengesetzte Weise der Existenz werfen. aa) Sie ist da vorhanden, wo der sittliche Begriff, die Gerechtigkeit und deren vernünftige Freiheit sich bereits in Form einer gesetzlichen Ordnung hervorgearbeitet und bewährt hat, so daß sie nun auch im Äußerlichen als in sich unbewegliche Notwendigkeit da ist, ohne von der besonderen Individualität und Subjektivität des Gemüts und Charakters abzuhängen. Dies ist in dem Staatsleben, wo dasselbe dem Begriff des Staats gemäß zur Erscheinung kommt, der Fall; denn nicht jedes Zusammentreten der Individuen zu einem gesellschaftlichen Verbände, nicht jedes patriarchalische Zusammengeschlossensein ist Staat zu nennen. Im wahren Staate gelten die Gesetze, Gewohnheiten, Rechte, insofern sie die allgemeinen, vernünftigen Bestimmungen der Freiheit ausmachen, nun auch in dieser ihrer Allgemeinheit und Abstraktion und sind nicht mehr von dem Zufall des Beliebens und der partikulären Eigentümlichkeit bedingt. Wie das Bewußtsein sich die Vorschriften und Gesetze in ihrer Allgemeinheit vor sich gebracht hat, so sind sie auch äußerlich wirklich als dieses Allgemeine, das für sich seinen ordnungsmäßigen Gang geht und öffentliche Gewalt und Macht über die Individuen hat, wenn sie ihre Willkür dem Gesetz auf verletzende Weise entgegenzustellen unternehmen.

ββ) Ein solcher Zustand setzt die vorhandene Scheidung der Allgemeinheiten des gesetzgebenden Verstandes von der unmittelbaren Lebendigkeit voraus, wenn wir unter Lebendigkeit jene Einheit verstehen, in welcher alles Substantielle und Wesentliche der Sittlichkeit und Gerechtigkeit nur erst in den Individuen als Gefühl und Gesinnung Wirklichkeit gewonnen hat und durch sie allein gehandhabt wird. In dem gebildeten Zustande des Staats gehört Recht und Gerechtigkeit, ebenso Religion und Wissenschaft, oder die Sorge wenigstens für die Erziehung zur Religiosität und Wissenschaftlichkeit, der öffentlichen Macht an und wird von ihr geleitet und durchgesetzt.

γγ) Die einzelnen Individuen erhalten dadurch im Staate die Stellung, daß sie sich dieser Ordnung und deren vorhandener Festigkeit anschließen und sich ihr unterordnen müssen, da sie nicht mehr mit ihrem Charakter und Gemüt die einzige Existenz der sittlichen Mächte sind, sondern im Gegenteil, wie es in wahrhaften Staaten der Fall ist, ihre gesamte Partikularität der Sinnesweise, subjektiven Meinung und Empfindung von dieser Gesetzlichkeit regeln zu lassen und mit ihr in Einklang zu bringen haben. Dies Anschließen an die objektive Vernünftigkeit des von der subjektiven Willkür unabhängigen Staates kann entweder eine bloße Unterwerfung sein, weil die Rechte, Gesetze und Institutionen als das Mächtige und Gültige die Gewalt des Zwanges haben, oder es kann aus der freien Anerkennung und Einsicht in die Vernünftigkeit des Vorhandenen hervorgehen, so daß das Subjekt in dem Objektiven sich selber wiederfindet. Auch dann aber sind und bleiben die einzelnen Individuen immer nur das Beiläufige und haben außerhalb der Wirklichkeit des Staats in sich selbst keine Substantialität. Denn die Substantialität ist eben nicht mehr nur das besondere Eigentum dieses oder jenes Individuums, sondern für sich selbst und in allen seinen Seiten bis ins kleinste Detail hin in allgemeiner und notwendiger Weise ausgeprägt. Was daher die Einzelnen auch an rechtlichen, sittlichen, gesetzmäßigen Handlungen in dem Interesse und Verlauf des Ganzen vollbringen mögen, ihr Wollen und Ausführen bleibt dennoch wie sie selber immer nur, gegen das Ganze gehalten, unbedeutend und ein bloßes Beispiel. Denn ihre Handlungen sind stets nur eine ganz partielle Verwirklichung eines einzelnen Falles, nicht aber die Verwirklichung desselben als einer Allgemeinheit in dem Sinne, daß diese Handlung, dieser Fall dadurch zum Gesetz gemacht oder als Gesetz zur Erscheinung gebracht würde. Ebenso kommt es umgekehrt gar nicht auf die Einzelnen als Einzelne an, ob sie wollen, daß Recht und Gerechtigkeit gelte oder nicht; es gilt an und für sich, und wenn sie es auch nicht wollten, gälte es doch. Zwar hat das Allgemeine und Öffentliche das Interesse, daß alle Einzelnen demselben sich gemäß erweisen sollen, aber die einzelnen Individuen flößen nicht in der Beziehung Interesse ein, daß gerade durch das Zusammenstimmen dieses oder jenes das Rechte und Sittliche erst Geltung erhalte; dieser vereinzelten Beistimmung bedarf es nicht, die Strafe macht es auch geltend, wenn es verletzt ist.

Die untergeordnete Stellung des einzelnen Subjekts in ausgebildeten Staaten zeigt sich endlich darin, daß jedes Individuum nur einen ganz bestimmten und immer beschränkten Anteil am Ganzen erhält. Im wahren Staat nämlich ist die Arbeit für das Allgemeine, wie in der bürgerlichen Gesellschaft die Tätigkeit für Handel und Gewerbe usf., aufs allermannigfaltigste geteilt, so daß nun der gesamte Staat nicht als die konkrete Handlung eines Individuums erscheint oder überhaupt der Willkür, Kraft, dem Mute, der Tapferkeit, Macht und Einsicht desselben kann anvertraut werden, sondern die zahllosen Beschäftigungen und Tätigkeiten des Staatslebens müssen einer ebenso zahllosen Menge Handelnder zugewiesen sein. Die Bestrafung eines Verbrechens z. B. ist nicht mehr die Sache des individuellen Heldenmuts und der Tugend ein und desselben Subjekts, sondern wird in ihre verschiedenen Momente, in die Untersuchung und Beurteilung des Tatbestandes, in das Urteil und die Vollstreckung des richterlichen Ausspruchs zerschieden, ja jedes dieser Hauptmomente hat selbst wieder seine spezielleren Unterschiede, von denen die Einzelnen nur irgendeine Seite zur Betätigung erhalten. Daß die Gesetze gehandhabt werden, liegt daher nicht in einem Individuum, sondern resultiert aus vielseitigem Zusammenwirken in festgestellter Ordnung. Außerdem sind jedem Einzelnen die allgemeinen Gesichtspunkte als Richtschnur für seine Tätigkeit vorgeschrieben, und was er nach diesen Regeln vollbringt, wird wiederum dem Urteil und der Kontrolle höherer Behörden unterworfen.

 


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