Zwischen Zermützel- und Tornowsee


Mein Bier und Wein ist frisch und klar,

Mein Töchterlein liegt auf der Totenbahr.

Uhland


Bald hinter der »Stendenitz« liegt Dorf und See Zermützel.

Der auf der Höhe laufende Weg schlängelt sich in einiger Entfernung am Ufer hin und berührt dabei mehrere Hügel und Vorsprünge, die die verschiedensten Bezeichnungen führen. Einer heißt der »Totenberg« und macht seinem Namen Ehre, trotzdem er seine Gruselwirkung mit den einfachsten Mitteln erzielt. Ackerfurchen überall, und nur den »Totenberg« umkreisen sie wie Parallelen eine gefürchtete Festung. Eine dieser Linien, vielleicht von einem dörfischen Freigeist gezogen, rührt schon an den Zauberkreis, aber auch nur, um plötzlich wieder abzuhrechen. Eine alte Kiefer hält Wacht, und soweit ihre Nadeln fallen, ist verbotener Grund. Schädel liegt da an Schädel, so heißt es. Natürlich aus der Schwedenzeit. Wo das Dunkel beginnt, fangen Torstensson und Wrangel an.

Vom »Totenberg« sind nur noch wenig hundert Schritt bis zu Dorf Zermützel und seinem See. Wir fahren aber an beiden vorüber und halten uns nordwärts auf eine dritte Wasserfläche zu, die den Namen führt: der Tornowsee.

Da wo der Weg den See trifft, trifft er auch ein von Birken und Obstbäumen überschattetes Haus, das jetzt still und glücklich daliegt, als strecke ihm der segenspendende Herbst seine vollste Hand entgegen.

Aber ich entsinne mich eines anderen Tages hier.

Im Januar war es. Alles, was einen Pelz und eine Büchse hatte, war auf den Beinen, und seit Tagesgrauen knallte es im Wald und an den drei Rhinseen hin: am Tornow-, Molchow- und Zermützelsee. Zu zehn Uhr war hier unter diesem Dache, das Frühstück angesagt, und keiner fehlte. Da waren die Förster und Oberförster: Berger von Alt-Ruppin, Conrad von Rottstiel, Kuse von Pfefferteich, dazu der Grafschaftsadel mitsamt den Offizieren der Garnison, und nicht zum letzten die städtischen Nimrods, die nie genug haben an Billard und Kegelspiel und denen nur wohl ist, wenn sie zu Füßen eines Sechzehnenders schlafen.

Das Frühstück war kalte Küche; desto heißer aber war der Grog. Über dem Herdfeuer hing ein Kessel, brodelnd und dampfend, und die Büdnersleute gingen auf und ab, um überall, wo man es begehrte, mit ihrem kochenden Wasser auszuhelfen. Der Mischung besserer Teil aber floß aus den eigenen Flaschen. Und siehe da, Pelze, Grog und Tabak schufen alsbald eine wunderlich dicke Luft, eine Wolke, darauf die Göttin der Jagdanekdote saß und orakelte. Nein, nicht orakelte – ihren klassischen Aussprüchen fehlte jedes Dunkel.

Aber sonderbar, die Büdnersleute waren heute so still und ernst, und pflegten doch sonst bei jeder Derbheit, die laut wurde, mit einzustimmen. Endlich trat ich an die Alte heran und fragte leise: »Wo ist Hannah?« Erst schüttelte sie den Kopf, aber sich besinnend, nahm sie mich rasch bei der Hand und führte mich über den Flur weg in eine Kammer, die gerade hinter dem Zimmer gelegen war, in dem die Jäger ihren Imbiß nahmen. Einen Augenblick sah ich nichts, empfing doch die Kammer all ihr Licht von einer kaum zweihandbreiten Öffnung her, durch die der Schnee, vom Winde getrieben, eben in kleinen Flocken hineinstiebte. Die Frau, während ich mich noch zurechtzufinden suchte, war inzwischen an ein Strohlager dicht unterm Fenster getreten und schlug ein Laken zurück, das über das Stroh hin ausgebreitet war. Da lag Hannah, die Augen geschlossen, in keinem anderen Schmuck, als dem ihres langen Haares. Dann deckte die Alte das Laken wieder über und schlich aus der Kammer und ließ mich allein. Und der Schnee trieb immer heftiger durch das Fenster und schüttete vor der Zeit einen Hügel über der Toten auf.

In zehn Minuten war alles wie verändert. Einer hatte geplaudert. »Warum hielt er nicht den Mund?« »Ich fahre nach Haus.« »Ich auch.« So ging es hin und her. Die meisten aber nahmen's leicht oder gaben sich doch das Ansehn davon, und eine Stunde später knallten die Büchsen wieder an allen drei Seen hin. Aber das Bild Hannahs stand zwischen dem Schuß und seinem Ziel, und kein Hirsch wurde mehr getroffen. Oberförster Berger stieß mit dem Fuß an den Stecher, und die Kugel pfiff ihm am Ohr hin, während das Feuer seinen Bart versengte.

Es war eine »wehvolle Jagd«, wie es in alten Balladen heißt.




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 © textlog.de 2004 • 06.12.2024 14:30:28 •
Seite zuletzt aktualisiert: 08.10.2007 
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