Die wackre Schalek forcht sich nit


ging ihres Weges Schritt vor Schritt, ließ sich den Schild mit Pfeilen spicken und tat nur spöttisch um sich blicken. Die Schalek, oder wie ihr Untertitel lautet, »die erste und bisher einzige vom Kriegpressequartier als Berichterstatterin zugelassene Dame« — denn willst du wissen, was sich ziemt, so frage nur bei edlen Frauen an —, die Schalek also ist jetzt »in der Glut des Erlebens«, hat nur Spott und Hohn für das tatenlose Hinterland, verachtet die »Daheimhockenden, die aus der Zeitung den Krieg erleben«, aus der Zeitung, für welche die Schalek berichtet, bedauert jeden, »dem es nicht vergönnt ist, Tirol im Kriege zu sehen« und läßt sich von keiner Gefahr anfechten. Was auf den ersten Blick wie ein selbst in dieser großen Zeit auffallender Mangel an Schamgefühl berührt, ist nur jener frische Offensivgeist, mit dem die Schalek bis an die vorderste Front vordringt und worin sie es kecklich mit einem Roda Roda aufnimmt oder mit einem Klein, der auch schon in Schützengräben gefrühstückt hat. Sie fühlt sich zwischen Batterien zuhause, wie nur eine andere zwischen Dunstobst, stellt ihren Mann, macht sich nichts daraus, einem eben beschäftigten Offizier »die Einzelheiten förmlich aus dem herb verschlossenen Mund zu ziehen« und hat auch schon tirolerisch gelernt, denn sie will gehört haben, wie ein Landesschütze gesagt hat: »Schaugts, jetzt trauen sie siach.« Es ist aber immerhin möglich, dass der diesbezügliche Landesschütze kein Tiroler, sondern eigentlich ein Ischler war, den die Schalek noch aus einem Wiener Wohltätigkeitskomitee, also aus dem verächtlichsten Hinterland persönlich kennt. Aber wenn man von solchen Zufälligkeiten ab- und näher hinsieht, ist natürlich jeder Landesschütze eine Überraschung und gar jeder Standschütze ein echter Defregger oder wenn man will ein Egger-Lienz. Wie gemalt sitzen sie da, noch mehr für die Kunstkritik als für die Kriegsberichterstattung geschaffen. »Erst wenn sie ausspucken und ›Grüaß Gott!‹ sagen und plötzlich ein schlau verstohlenes Zwinkern ins Auge hängen«, dann fühlt man, dass sie lebendig sind. Mindestens dürfte ein Beweis für ihre Lebendigkeit sein, dass sie schlau verstohlen zwinkern, wenn sie unter den Rezensenten ihrer Tätigkeit jetzt auch ein weibliches Mitglied des Pressequartiers zu Gesicht bekommen müssen. Denn das Ausspucken und Grüaß Gott!-sagen hätte im Verkehr mit den männlichen Angehörigen dieser Institution auch ein Ölgemälde lernen müssen. Es versteht sich aber schon von selbst, dass die Gewehrsmänner im Verkehr mit den Gewährsmännern überaus zuvorkommend sind, nun gar gegenüber einer Frau, die diesen schönen Beruf ergriffen hat, und wenn diese Gäste »auf einer Höhe von mehr als dritthalbtausend Meter« einen Stützpunkt zu inspizieren wünschen, so wird ihnen dort nicht nur etwas vorgeschossen, sondern sie finden auch einen gedeckten Tisch. »Man hat feierliche Vorbereitungen zu unserem Empfange getroffen«, und der Tisch ist mit Blumen, sogar mit Trophäen geschmückt, wobei wohl erstere eine zarte Aufmerksamkeit für die männlichen Schapseln, letztere einen Willkommgruß für die Schalek bedeuten. Wie kühn die Schalek vorgeht, erfahren wir aus ihrer eigenen Schilderung:

Einen Stützpunkt darf ich ersteigen, nachdem der Kommandant des Talabschnittes eigens in unser Quartier herübergekommen ist, um unsere Wünsche zu erfahren. Männer auf solchen Posten verfügen niemals über leere Viertelstunden —

Aber um der Presse entgegenzukommen, bringen sie's immer noch zuwege und dann werden sogar leere Stunden daraus.

Meinen großen Wunsch, einen exponierten Punkt besuchen zu dürfen, kann er freilich nicht erfüllen, weil jede unnötige Regung, die den Feind veranlassen könnte, einen Punkt, auf den er eingeschossen ist, unter Feuer zu nehmen, unsere Soldaten in Gefahr bringen kann.

Wohlgemerkt, die Soldaten — die Mitglieder des Pressequartiers und zumal die Schalek würde es nicht tuschieren.

Hingegen bekommen wir die Erlaubnis, bis zu einem Stützpunkt vorzustoßen, und da dies einen starken Fußmarsch bedingt, teilt sich das Kriegspressequartier in zwei Gruppen ...

Ein Standschütze, der der Gruppe, welcher sich die Schalek anschloß, ansichtig wurde, hatte noch die Geistesgegenwart, ein schlau verstohlenes Zwinkern ins Auge zu hängen und den Ausruf zu tun: »Schaugts, jetzt traut sie siach!« Ein anderer Standschütze, der der anderen Gruppe ansichtig wurde, spuckte nur aus und sagte Grüaß Gott! Ich schließe mich der Meinung dieses zweiten Standschützen im ersten Punkte an. Ich bitte aber Gott ausdrücklich und inständig, nicht zu grüßen, sondern Blitz und Hagel bereit zu halten und die Tiroler Landes- und Standschützen davor zu bewahren, dass ihre Leistung zum Schauspiel für Individuen werde, die statt über Operettenpremieren und Blumenkorsos zu referieren, jetzt auf einer Höhe von dritthalbtausend Meter ihr niedriges Metier ausüben. Und die irdischen Gewalten, die jetzt mehr als Gott selbst vermögen, bitte ich, auch in diesem Punkte Ernst zu machen. Den dort nicht Beschäftigten den Eintritt nach Südtirol zu verbieten. Wenn sie vorstoßen wollen, sie zurückzustoßen. Und von der vorgeschriebenen »Marschroute«, mit der sich unsere braven Feuilletonisten brüsten, höchstens mit Hintansetzung des Anfangsbuchstaben Gebrauch zu machen!

 

 

Oktober, 1915.


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