Der seelische Aufschwung


auf einer Fahrt der Elektrischen Baden-Wien. Personen: Ein Schwerbetrunkener, der im zivilen Leben ein Möbelpacker sein dürfte, Riesenfigur, buschiger Schnurrbart, Pepitahosen, welche die Spuren von übermäßigem Weingenuß und einer eben überstandenen gewaltsamen Entfernung vom Tatort zeigen. Er hat einen Sack neben sich, aus dem er hin und wieder eine Flasche hervorzieht. Er gerät mit einem Paar in Streit, weil er an das Mädchen angestoßen ist, bedroht den Begleiter, und brüllt die ganze Fahrt hindurch: »A so a Binkel - wüll sich da aufbrausnen - wos hom denn So fürs Votterland geleistet? Legitimiern S' Ihna! Vur mir! — Schaun S' mi an — solchene Söhne wie So hob i im Föld — die wos mehr Bart ham als wie So — die leisten wos — fürs Votterland — wissen S' von wo i kumm — von Boden kumm i — vom Spitol — durt is mein Sohn — So Binkel — legitimiern solln S' Ihna — was glauben denn So — so aner — wüll sich da aufbrausnen — vielleicht weils Ihner Muckerl bei Ihna hobn — was ham denn So fürs Votterland geleistet? — Schaun S' mi an — i leist was — fürs Votterland — a jeder soll aufbrausnen als wia der — So Binkel — i leist wos — legitimiern S' Ihna — do schaun S' her — wissen S' wos dös is — a Földpostkarten von mein Neffen — fürs Votterland — So Binkel — legitimiern soll er sich — der Binkel — vur mir soll er sich legitimiern — hot nix geleistet — für's Votterland —.« Nachdem er sich über Zureden des schwächlich aussehenden Kondukteurs ein wenig beruhigt hat, bietet er den Umsitzenden, auf die er abwechselnd fällt, die Flasche: »G'fällig, Herr Nachbar — weil mer Österreicher san!« Ein so angesprochenes galizisches Flüchtlingsehepaar lehnt dankend ab und flieht auf andere Plätze, läßt aber an der alten Stelle den Schirm zurück. Der Kondukteur sucht den Gast, der wieder laut wird, zu beruhigen. Man hört nur noch die Worte: Binkel, Votterland und legitimieren, und hat die Empfindung, dass namentlich die beiden letzteren im Gehirn des Mannes bereits eine unauflösliche Verbindung eingegangen sind. Der Verzehrungssteuerbeamte erscheint, sichtlich erfreut, und wünscht zu wissen, was der Mann im Binkel habe. »Der Binkel — fürs Votterland — legitimiern —« grollt dieser dumpf. Er wird nach langem Zureden dazu gebracht, zu öffnen und eine Steuer von 20 Heller zu erlegen. Während dessen hält der Zug. Ein Wiener, der inzwischen den Platz eingenommen hat, wo das galizische Paar gesessen war, beginnt unzufrieden zu werden: »Da müssen mir halt alle warten, wegen so einer Lappalie! Immer gibts auf dera Strecken solche Unannehmlichkeiten!« Der unzufriedene Wiener verläßt den Zug. In der nächsten Station verläßt auch der Besoffene den Zug und ruft von außen noch, wieder lebhafter werdend: »Fürs Votterland — soll er si legitimiern — der Binkel — hat nix geleistet fürs Votterland —.« Das galizische Paar bezieht, nachdem die Gefahr beseitigt ist, wieder die alten Plätze. »Wo ist der Schirm, Herr Kondukteur wo ist der Schirm?« Den hat der unzufriedene Wiener mitgenommen, weil es draußen regnet. Aber auch das Wageninnere ist ganz naß. Sonst hat sich nichts verändert, in all der Zeit. Wir sind in Wien.

 

 

Oktober, 1915.


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