Befreundete Mitschüler
Die leichten Erfolge, die unser Kant auf der Schule errang, verdankte er gewiß vor allem seinem Scharfsinn und seinem bis in späte Jahre fortdauernden vorzüglichen Gedächtnis, das ihn bei dem geschilderten Memorierbetrieb besonders begünstigen mußte. Dass er aber auch "fleißig im strengsten Verstande des Wortes" war, hat Borowski von Kants Mitschülern Trümmer, Cunde und Kypke bezeugt bekommen; das brachte ja schon der Geist des Elternhauses mit sich. Er braucht darum kein Duckmäuser oder Stubenhocker gewesen zu sein. Dagegen würde seine ganze spätere Art sprechen, auch wenn nicht schon einzelne Stellen seiner Schriften und Briefe darauf hinwiesen, dass er Knabenspiele wie Kreisel, Blindekuh usw. gekannt, dass er öfters am Schusterbrunnen, einem zur Zeit seiner Kindheit leeren Wasserbecken, gespielt, dass er sich, wie wir schon sahen, auf den Wiesen und an den Gräben in der Nähe des väterlichen Hauses herumgetummelt hat. Wenn er einst Borowski gestand, "in manchen Dingen" vergeßlich gewesen zu sein, so waren dies doch solche, "die den Schulfleiß nicht affizierten"; mehr ein Vorzeichen professoraler Zerstreutheit war es, wenn er einmal auf dem Schulweg seine Bücher irgendwo niedergelegt hatte und dann ohne sie in der Klasse erschien. Von seinem guten Betragen zeugt die von ihm selber seinem Schüler Jachmann erzählte Tatsache, dass er und einige Kameraden selbst einem gebrechlichen und "possierlich gestalteten" unter ihren Lehrern stets Aufmerksamkeit, Folgsamkeit und Achtung bewiesen hätten, weil sie in seinen Lektionen viel hätten lernen können. Vielleicht war es derselbe "gute" Heydenreich, der, eben als junger Hilfslehrer in das Kollegium eingetreten, Kants Lateinlehrer in Quinta und Quarta und dann wieder in den beiden letzten Jahren der Prima war, und von dem er noch später mit ganz besonderer Achtung zu sprechen pflegte: er habe durch seine Art der Erläuterung der römischen Klassiker nicht nur die Kenntnisse seiner Primaner erweitert, sondern auch für die Richtigkeit und Bestimmtheit ihrer Begriffe gesorgt.
Wie von dem jungen Lessing sein Rektor gesagt haben soll, er gleiche einem Pferd, das doppeltes Futter verlange, so tat sich auch Immanuel Kant mit gleichstrebenden Schulkameraden zusammen, um mit ihnen privatim solche lateinischen Schriftsteller zu lesen, die ihnen innerhalb der Schulwände nicht geboten wurden. Es waren dies zwei Pommern: der um 1 Jahr ältere David Ruhncke (später Ruhnken) und der 1 Jahr jüngere Johannes Cunde, Sohn eines armen Holzwärters, der 1737 gleich in Untersekunda aufgenommen worden war, da Schiffert bald seine "herrlichen Gaben" erkannt hatte. Dies Kleeblatt also trieb — seit Ostern 1739 waren sie in der lateinischen Prima vereinigt — regelmäßige Klassiker-Lektüre, wobei Ruhnken, der Wohlhabendste unter ihnen, gute Ausgaben, einmal z. B. die kostbare Livius-Ausgabe von Drakenborg, anschaffte. Sie träumten sich schon jetzt als dereinstige Gelehrte und entwarfen Pläne literarischer Arbeiten, wobei sie sich im Stile der Zeit mit den latinisierten Namen Cantius, Cundeus und Ruhnkenius bezeichnen wollten. Nur einer von ihnen hat diesen Jugendplan wirklich durchgeführt: David Ruhnken, der ein Semester später als Kant das Fridericianum verließ, aber, unbefriedigt von seinen Königsberger Universitätslehrern, schon zwei Jahre später nach Holland ging und dann Jahrzehnte hindurch als einer der größten Philologen seiner Zeit an der Leydener Hochschule glänzte. Der andere, jener begabte Armenschüler Cunde, rieb sich allzufrüh im Schuldienst auf. Das Friedrichskollegium preßte die schwachen Körperkräfte des jungen Gelehrten "wie eine Zitrone bis auf den letzten Safttropfen aus", so dass er, 1756 als Rektor an die Stadtschule des kleinen Rastenburg gekommen, dort bereits nach wenigen Jahren dahinwelkte.