Zeichner und Illustratoren


Ich möchte Ihnen gern, wenn es Sie nicht zu lange aufhält, noch einige Beispiele vorführen, die den Unterschied zwischen Genie und Talent recht deutlich beleuchten sollen. Beschränken wir uns einmal auf das Gebiet der Zeichner und Illustratoren. Zunächst einige ältere. Keinem Menschen glaube ich würde es einfallen, z. B. Chodowiecki als Genie ansprechen zu wollen. Hier steht der sorgfältige Naturbeobachter und fleißige Künstler zu sehr im Vordergrund. Anders steht es mit Hogarth, der entschieden geniale Momente besitzt, und in der Häufung allegorischer Anspielungen oft auf einem einzigen Blatt uns auf Gedanken bringt, die nur ein ursprünglicher, origineller Kopf so arrangieren konnte, und die mit Naturbeobachtung zunächst gar nichts zu tun haben. Ich erinnere Sie an jenes kostbare Blatt in der Kirche, wo jeder Zuhörer, vom Prediger herab bis zum Krüppel an der Kirchentüre, seine eigenen Gedanken plötzlich als Action dargestellt, verjüngt in schrecklicher Wahrheit auf dem Betpult vor sich aufgestellt sieht. Das ist zunächst gar keine Naturbeobachtung. Denn das kommt in der Natur nicht vor. Das ist weit mehr der seelische Drang des Künstlers der unsichtbaren Wahrheit im tiefsten Grunde des menschlichen Herzens nachzugehen, und sie um jeden Preis, und mit den gerade parat liegenden Mitteln, an's Tageslicht zu ziehen. — Wer nur die Natur nachzuahmen und wiederzugeben versteht, ohne Eigenes hinzuzutun, mag erfreuen, mag Befriedigung darin finden, und von anderen geschätzt werden, — Genie wird ihn Niemand nennen.

Wenn ich aus der Reihe der Romantiker und jener Gruppe, die aus den »Nazarenern« hervorgegangen sind, einige Namen nennen darf, so ist es vielleicht Rethel, der Komponist des »Totentanzes«, der in uns den stärksten jener Eindrücke erwirkt, den wir mit »genial« bezeichnen; während Führich, Veit, Schnorr v. Carolsfeld, Genelli, Preller, wohl mehr auf der andern Seite liegen dürften; Schwindt erweckt wieder ein Echo in uns, das ihn weit eher mit Rethel verwandt erscheinen läßt, als mit irgend einem der Genannten. Beim großen Cornelius überrascht uns oft eine erschreckliche Verstandeskälte. Und bei Kaulbach ist es wieder jene große Dosis Sarkasmus, die uns nur mit Vorsicht uns ihm anvertrauen läßt. — Soll ich aus neuester Zeit noch ein paar Namen hinzufügen, so möchte ich am liebsten auf jenen eigentümlichen Gegensatz hinweisen, wie ihn zwei Zeichner aus dem auch bei uns viel gelesenen »Journal amusant« darbieten, auf jene beiden, die mit ihrem nom de guerre Stop und Mars heißen. Ein glücklicheres Beispiel für den Unterschied zwischen Genie und Talent dürfte für die heutige Zeit auf dem Gebiete des Blei- und Kreide-Stiftes wohl kaum zu treffen sein: Mars, ein vollendeter Zeichenkünstler, liefert jene oft über-pikanten Schildereien und Situationen aus dem Pariser Boulevard-Leben, die seinen Namen auch außerhalb Frankreichs berühmt gemacht haben. Seine Mache ist bestrickend. Er ist das geborene Zeichen-Talent. Auch der größten Banalität könnte er durch seinen Stift zum Beifall verhelfen. Er geht nie über die aller-oberflächlichsten Vorwürfe hinaus. Und seine liebste Staffage bilden Kleider, Schürzen, Stöcke, Schuhe, Hüte und Modegarnituren. Aber wer dürfte sich mit ihm im Zeichnen-Können so rasch vergleichen?! — Und nun nehmen sie dagegen Stop. Einen größeren Zeichen-Stümper hat es vielleicht in diesem Metier nie gegeben. Wenn er nur ein ein bischen oberflächliches oder ihm nicht zusagendes Thema vor sich hat, so kann man keck behaupten, jeder Sonntagsschüler wird ihn im Zeichnen in wenigen Wochen erreichen. Aber welche Originalität in den Ideen! Welche burlesken Wendungen! Welche verrückte Anwandlungen! Und wie ändert er die Menschen in dem Kaleidoskop seiner Seele zu einem neuen, unerhörten Geschlecht um! So ist er denn auch der Begründer einer ganz neuen parodistischen Kunst geworden; jener nämlich, durch die Säle einer Gemälde-Ausstellung, z.B. des Pariser »Salon«, zu wandern, und wie durch ein schief-geschliffenes Augen-Glas, dessen Stop aber nicht bedarf, an den ausgestellten Bildern die unglaublichsten Verrenkungen, Verzerrungen, und komischen Situationen zu entdecken, eine Manier, die nur zu bald Nachahmer gefunden hat. — Doch weßhalb gehen wir nach Frankreich, um ein zeichnerisches Genie zu entdecken, nachdem wir in unsern Mauern ein solches, vom ausgesprochensten und stärksten Timbre besitzen? — Wer kennt nicht Oberländer?! Hier trifft sich zufällig Popularität und ungemessene Anerkennung mit genialer Veranlagung beisammen, was bei Stop gewiß nicht der Fall ist. Aber das ist gewiß kein Maaßstab. Nein, was Oberländer unbestritten als Bürger aus Genie-Land erkennen läßt, ist wieder jener unerklärliche, tiefe Untergrund der Seele, aus dem seine Entwürfe heraufsteigen, angetan mit einem Mantel, den andere nicht tragen. Wir stehen vor Oberländer's Zeichnungen oft paff, im Innersten getroffen, und vergessen ganz die komische Situation. Wer nur die heitere Seite seiner Darstellungen kennt, der hat diesen tief-ernsten Künstler nie erfaßt. Oberländer bietet uns komische Verwicklungen und Vorgänge, die aber oft nur mit einem Hauch an die Wirklichkeit, an die Möglichkeit erinnern; das brige ist sein Eigentum, gewagt konstruiert, absonderlich, grotesk, unerhört. Und von ihm gilt das Wort Schopenhauer's vom Genie: Er schaut in eine andere Welt als sie alle. —


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