§ 49. Die Notwendigkeit


Der Satz vom zureichenden Grunde, in allen seinen Gestalten, ist das alleinige Prinzip und der alleinige Träger aller und jeder Notwendigkeit. Denn Notwendigkeit hat keinen andern wahren und deutlichen Sinn, als den der Unausbleiblichkeit der Folge, wenn der Grund gesetzt ist. Demnach ist jede Notwendigkeit bedingt; absolute, d.h. unbedingte, Notwendigkeit also eine contradictio in adjecto. Denn Notwendig-sein kann nie etwas Anderes besagen, als aus einem gegebenen Grunde folgen. Will man es hingegen definiren »was nicht nichtsein kann«; so gibt man eine bloße Worterklärung und flüchtet sich, um die Sacherklärung zu vermeiden, hinter einen höchst abstrakten Begriff; von wo man jedoch sogleich herauszutreiben ist durch die Frage, wie es denn möglich, oder nur denkbar, sei, dass irgend etwas nicht nichtsein könne; da ja doch alles Dasein bloß empirisch gegeben ist? Da ergibt sich denn, dass es nur insofern möglich sei, als irgend ein Grund gesetzt oder vorhanden ist, aus dem es folgt. Notwendigsein und Aus einem gegebenen Grund folgen sind mithin Wechselbegriffe, welche als solche überall einer an die Stelle des andern gesetzt werden können. Der bei den Philosophastern beliebte Begriff vom »absolut notwendigen Wesen« enthält also einen Widerspruch: durch das Prädikat »absolut« (d.h. »von nichts Anderem abhängig«) hebt er die Bestimmung auf, durch welche allein das »Notwendige« denkbar ist und einen Sinn hat. Wir haben daran wieder ein Beispiel vom Mißbrauch abstrakter Begriffe zum Behuf metaphysischer Erschleichung, wie ich ähnliche nachgewiesen habe am Begriff »Immaterielle Substanz«, »Grund schlechthin«, »Ursache überhaupt« u.s.w.*) Ich kann es nicht genug wiederholen, dass alle abstrakte Begriffe durch die Anschauung zu kontrollieren sind.

Demnach gibt es, den vier Gestalten des Satzes vom Grunde gemäß, eine vierfache Notwendigkeit.

1) Die logische, nach dem Satz vom Erkenntnisgrunde, vermöge welcher, wenn man die Prämissen hat gelten lassen, die Konklusion unweigerlich zuzugeben ist. 2) Die physische, nach dem Gesetz der Kausalität, vermöge welcher, sobald die Ursache eingetreten ist, die Wirkung nicht ausbleiben kann. 3) Die mathematische, nach dem Satz vom Grunde des Seins, vermöge welcher jedes von einem wahren geometrischen Lehrsatze ausgesagte Verhältnis so ist, wie er es besagt, und jede richtige Rechnung unwiderleglich bleibt. 4) Die moralische, vermöge welcher jeder Mensch, auch jedes Tier, nach eingetretenem Motiv, die Handlung vollziehn muß, welche seinem angeborenen und unveränderlichen Charakter allein gemäß ist und demnach jetzt so unausbleiblich, wie jede andere Wirkung einer Ursache, erfolgt; wenn sie gleich nicht so leicht, wie jede andere, vorherzusagen ist, wegen der Schwierigkeit der Ergründung und vollständigen Kenntnis des individuellen empirischen Charakters und der ihm beigegebenen Erkenntnissphäre; als welche zu erforschen ein ander Ding ist, als die Eigenschaften eines Mittelsalzes kennen zu lernen und danach seine Reaktion vorherzusagen. Ich darf nicht müde werden, dies zu wiederholen, wegen der Ignoranten und Dummköpfe, welche die einhellige Belehrung so vieler großen Geister für nichts achtend, noch immer, zu Gunsten ihrer Rockenphilosophie, das Gegenteil zu behaupten dreist genug sind. Bin ich doch kein Philosophieprofessor, der nötig hätte, vor dem Unverstande des andern Bücklinge zu machen.

 

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*) Vergl. über »immatrielle Substanz« die Welt als Wille und Vorstellung, I. 582 fg., und über »Grund schlechthin« den § 52 des vorliegenden Werkes. Der [erste] Herausgeber [Julius Frauenstädt].


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