§ 29. Satz vom zureichenden Grunde des Erkennens


Aber auch das Denken im engern Sinne besteht nicht in der bloßen Gegenwart abstrakter Begriffe im Bewußtsein, sondern in einem Verbinden, oder Trennen zweier, oder mehrerer derselben, unter mancherlei Restriktionen und Modifikationen, welche die Logik, in der Lehre von den Urteilen, angibt. Ein solches deutlich gedachtes und ausgesprochenes Begriffsverhältnis heißt nämlich ein Urteil. In Beziehung auf diese Urteile nun macht sich hier der Satz vom Grunde abermals geltend, jedoch in einer von der im vorigen Kapitel dargelegten sehr verschiedenen Gestalt, nämlich als Satz vom Grunde des Erkennens, principium rationis sufficientis cognoscendi. Als solcher besagt er, dass wenn ein Urteil eine Erkenntnis ausdrücken soll, es einen zureichenden Grund haben muß: wegen dieser Eigenschaft erhält es sodann das Prädikat wahr. Die Wahrheit ist also die Beziehung eines Unheils auf etwas von ihm Verschiedenes, das sein Grund genannt wird und, wie wir sogleich sehn werden, selbst eine bedeutende Varietät der Arten zuläßt. Da es jedoch immer etwas ist, darauf das Urteil sich stützt, oder beruht; so ist der deutsche Name Grund passend gewählt. Im Lateinischen und allen von ihm abzuleitenden Sprachen fällt der Name des Erkenntnisgrundes mit dem der Vernunft selbst zusammen: also heißen Beide ratio, la ragione, la razon, la raison, the reason. Dies zeugt davon, dass man im Erkennen der Gründe der Urteile die vornehmste Funktion der Vernunft, ihr Geschäft kat'exochên, erkannte. Diese Gründe nun, worauf ein Unheil beruhen kann, lassen sich in vier Arten abteilen, nach jeder von welchen dann auch die Wahrheit, die es erhält, eine verschiedene ist. Diese sind in den nächsten vier Paragraphen aufgestellt.


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