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II. [Freiheit als Ausprägung des Ich an den Dingen, als Besitz]

 

Man könnte sagen, das Erwerben von Besitz sei gleichsam ein Wachstum der Persönlichkeit über das Maß des Individuums hin aus - wie man die Zeugung als ein solches Wachstum bezeichnet hat. In diesem wie in jenem Falle dehnt sich die individuelle Sphäre über die Grenze hinaus, die sie ursprünglich bezeichnete, das Ich setzt sich jenseits seines unmittelbaren Umfanges fort und erstreckt sich in ein Außer-Sich, das dennoch im weiteren Sinne »sein« ist. Bei einigen malaiischen Stämmen gehören dem Vater nur diejenigen Kinder, welche nach Bezahlung des Brautpreises geboren werden, während die vorher - aber zweifellos in derselben Ehe - geborenen der Familie der Mutter gehören. Der Grund dieser Bestimmung ist natürlich der rein äußerliche: daß die Kinder Wertgegenstände darstellen, die man durch die Verheiratung der Tochter an den Mann fortgibt, an die man sich aber hält, bis der Preis für die Mutter selbst bezahlt ist. Dennoch offenbart sie jene tief gelegene Beziehung zwischen dem Besitz und der Proliferation. Der Mann hat gleichsam die Wahl, ob er seine Machtsphäre durch den Besitz seiner Kinder oder durch Einbehalten der schuldigen Vermögensstücke erweitern will. In den Veden heißt es über die frühesten brahmanischen Mönche: »Sie lassen davon ab, nach Söhnen zu trachten und nach Habe zu trachten. Denn was das Trachten nach Söhnen ist, das ist auch das Trachten nach Habe. Trachten ist das eine wie das andere.« Dies will freilich an sich noch nicht die Identität beider Bestrebungen ihrem Inhalte nach aussagen; aber das Bezeichnende ist doch, daß gerade sie als Beispiele gewählt sind, um die Identität alles Strebens zu beweisen. In der Erzeugung von Seinesgleichen setzt sich das Ich ebenso über seine ursprüngliche Beschränkung auf sich selbst fort, wie wenn es, in der Verfügung über Besitz, diesem die Form seines Willens einprägt. Dieser Begriff des Besitzes als einer bloßen Erweiterung der Persönlichkeit erfährt keine Widerlegung, sondern gerade eine tiefere Bestätigung durch die Fälle, in denen das Persönlichkeitsgefühl gleichsam den Zentralpunkt des Ich verlassen und sich auf jene umgebenden Schichten, den Besitz, übertragen hat - gerade wie die Deutung der Proliferation und Familienbildung als Expansion des Ich dadurch nicht gestört wird, daß die direkten Ichinteressen schließlich hinter die Interessen der Kinder zurücktreten können. Im mittelalterlichen England galt es als das Zeichen unfreier Stellung, wenn man nicht ohne die Einwilligung des Lords eine Tochter verheiraten und einen Ochsen verkaufen durfte. Ja, wer dazu ohne weiteres berechtigt war, wurde sogar oft als frei angesehen, auch wenn er persönliche Frohndienste zu leisten hatte. Daß das Ichgefühl so seine unmittelbaren Grenzen überschritten und sich in Objekten, die es doch nur mittelbar berühren, angesiedelt hat, beweist gerade, wie sehr der Besitz als solcher nichts anderes bedeutet, als daß die Persönlichkeit sich in jene hinein erstreckt und in der Herrschaft über sie ihre Ausdehnungssphäre gewinnt. Daher die eigentümliche Erscheinung, daß gelegentlich gerade die Totalität des Habens als Äquivalent der Totalität des Seins erscheint. Im mittelalterlichen Frankreich gab es eine bestimmte Klasse von Leibeigenen, für die die Rechtsbestimmung galt: sie durften in den Stand der Freiheit treten, wenn sie ihre gesamte Habe dem Herrn überließen.

 


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