Home  Impressum  Copyright

II. [Anwendung auf die Bindung durch das ökonomische Interesse]

 

Ich zeige nun weiter, wie das Geld die technische Möglichkeit für die Herstellung dieser Korrelation auch weiterhin in sozialen Grundverhältnissen gewährt. Ich hatte mehrfach die mittelalterliche Theorie hervorgehoben, die jeder Ware einen gerechten, d.h. sachlich angemessenen, in der arithmetischen Gleichheit von Geldwert und Sachwert bestehenden Preis zusprach und denselben gegen Erhöhungen wie Herabdrückungen gesetzlich festzulegen suchte. Was dabei herauskam, mußte doch im schlechten Sinne subjektiv sein: willkürliche, unzulängliche, die momentane Konstellation zu Fesseln künftiger Bewegung festschmiedende Wertsetzungen. Statt durch so unmittelbare Gleichsetzung näherte man sich vielmehr der inhaltlich gerechten Angemessenheit der Preise erst, als man die Gesamtlage der Wirtschaft, die mannigfaltigen Kräfte von Angebot und Nachfrage, die fluktuierende Produktivität der Menschen und der Dinge als Bestimmungsgründe der Preise anerkannte. Obgleich dies nun eine die Individuen bindende Festlegung der Preise ausschloß und die Berechnung der immerfort wechselnden Situation den Einzelnen überlassen mußte, so wurde doch hiermit die Preisgestaltung durch viel mehr tatsächlich wirksame Momente bestimmt und war seitdem eine objektiv angemessenere und gerechtere. Diese Entwicklung läßt sich nun noch vervollkommnet denken. Ein weitergehendes Gerechtigkeitsideal würde die Preise gestalten, wenn nicht nur die Komplikationen und Wandlungen der überindividuellen Momente, sondern auch die persönliche Vermögenslage des Konsumenten ihre Höhe mitbestimmten. Die Verhältnisse der Individuen sind doch auch objektive Tatsachen, die für den einzelnen Kaufvollzug sehr bedeutsam sind, aber jetzt in der Preisgestaltung prinzipiell gar nicht zum Ausdruck kommen. Daß man es dennoch gelegentlich beobachten kann, nimmt der Idee ihre erste Paradoxität. Unter den Erscheinungen, die ich früher als das Superadditum des Reichtums zusammenfaßte, begegnete es uns in einer freilich sehr outrierten Weise: der Arme bezahlte die gleiche Ware teurer als der Reiche. Allein vielfach liegt es doch auch umgekehrt: oft versteht der Unbemittelte allerdings seine Bedürfnisse billiger und doch nicht schlechter zu befriedigen als jener. Mit einer gewissen Betonung tritt die Preisregulierung nach den Verhältnissen des Konsumenten bei dem Ärztehonorar auf; es ist innerhalb bestimmter Grenzen legitim, daß der Patient den Arzt »nach seinen Verhältnissen« bezahlt. Dies ist freilich dadurch besonders gerechtfertigt, daß der Kranke sich in einer Zwangslage befindet; er muß den Arzt haben und dieser muß sich deshalb von vornherein auf ungleiche Entgelte für gleiche Leistungen einrichten. In solcher Zwangslage aber befindet sich auch der Bürger dem Staate gegenüber, dessen Dienste er nicht entbehren, ja selbst, wenn er wollte, nicht abweisen kann. Deshalb ist es in der Ordnung, daß der Staat von dem Armen ein geringeres Entgelt für seine Dienste, geringere Steuern nimmt, und zwar nicht nur, weil er dem Reicheren größeren Nutzen gewährt als diesem. Diese äußerliche Objektivität in der Ausgleichung von Dienst und Gegendienst ist längst als unzutreffend erkannt und an ihre Stelle das Prinzip der Leistungsfähigkeit getreten. Die neue Gleichung ist nicht weniger objektiv als die alte, nur daß sie die personalen Verhältnisse als ihre Elemente in sich aufgenommen hat; ja, sie hat eine viel angemessenere Objektivität, weil das Ausschalten der wirtschaftlichen Gesamtlage des Individuums aus der Preisgestaltung - insbesondere wo es sich um Unentbehrlichkeiten handelt - dieser letzteren etwas Willkürliches und die Sachlage nicht genau Treffendes verleiht. In dieser Richtung liegt auch schon die Honorierung des Rechtsanwalts nach der Höhe des Streitobjekts. Wer um 20 Mark prozessieren muß, darf von dem Rechtsanwalt dieselbe Bemühung für wenige Mark verlangen, wie wer in der Lage ist, Prozesse um das Tausendfache zu führen. So wird auch der Rechtsanwalt »nach den Verhältnissen« bezahlt, wenn dieselben sich auch an etwas Objektiverem äußern, wie gegenüber dem Arzte. Dies Prinzip liegt nun weiteren Vorschlägen zugrunde: so dem noch später zu behandelnden, daß das Gesetz Geldstrafen nicht nach absoluten Höhen, sondern nach Einkommensquoten fixiere; oder daß die Höhe des Streitobjekts, von der an die Anrufung der höchsten Gerichtsinstanz zulässig ist, nicht mehr, wie bisher, eine absolute Summe, sondern ein bestimmter Teil vom Jahreseinkommen des Beschwerdeführers sei. Ja, man hat neuerdings das System der ungleichen, den Kaufmitteln der Konsumenten entsprechenden Preise zum Allheilmittel der Sozialpolitik erklärt, das die Vorteile des Sozialismus ohne seine Nachteile gewähren würde. Hier interessiert uns nicht die Richtigkeit, sondern nur die Tatsache dieses Vorschlags, der einen eigenartigen Abschluß der wirtschaftlichen Verkehrsentwicklung markiert. Mit rein subjektiv- personalen Besitzwechseln sahen wir diese beginnen: mit dem Geschenk und dem Raub. Der Tausch, der statt der Menschen die Dinge untereinander in Relation setzt, schafft damit die Stufe der Objektivität. Diese ist zunächst eine formalistisch-starre, indem sie entweder durch feststehende naturalistische Tauschquanten oder gesetzliche Preistaxen verwirklicht und so bei aller objektiven Form doch inhaltlich ganz subjektiv-zufällig ist. Der freiere Handelsverkehr der Neuzeit erweiterte diese Sachlichkeit, indem er alle variabeln und der zufälligen Sachlage entspringenden Momente in die Preisbestimmung aufnahm: die Objektivität des Verkehrs wurde elastischer und dadurch ausgreifender. Jener Vorschlag endlich sucht auch noch die individuellsten Momente zu objektivieren: die wirtschaftliche Lage des einzelnen Käufers soll den Preis des Gegenstandes modifizieren können, dessen er bedarf. Das wäre das Gegenstück oder wenigstens die Ergänzung zur Kostentheorie; diese behauptet: der Preis hängt von den Bedingungen der Produktion ab; jene: er soll von den Bedingungen der Konsumtion abhängen oder wenigstens diesen gemäß variiert werden. Blieben bei einem Zustand der letzteren Art die Interessen des Produzenten gewahrt - was logisch nicht ausgeschlossen, wenn auch utopisch ist -, so würde nun wirklich der Preis bei jedem Kauf alle individuellen Verhältnisse, die ihm zugrunde liegen, adäquat ausdrücken; alles Subjektive wäre zu einem objektiv-legalen Moment der Preisgestaltung geworden. Diese Entwicklung ginge etwa der eines philosophischen Weltbildes parallel, das alle ursprünglichen objektiven Gegebenheiten als subjektive Gebilde erkennte: aber eben durch diese absolute Zurückführung auf das Ich verliehe es ihnen erst die Einheit, Zusammenhang, Greifbarkeit, die den eigentlichen Sinn und Wert dessen, was wir die Objektivität nennen, ausmacht. Wie hier das Subjekt über seinen Gegensatz zum Objekt hinaus wäre, weil es dieses völlig in sich aufgenommen und aufgehoben hat, so ist er in jenem Falle dadurch überwunden, daß das objektive Verhalten alles Subjektive in sich eingezogen hat, ohne einen Rückstand zu lassen, an dem der Gegensatz noch weiter leben könnte.

 


 © textlog.de 2004 • 29.03.2024 09:10:26 •
Seite zuletzt aktualisiert: 27.09.2004