b. Mangel systematischer Gliederung


Dieser Art der Individualität wegen kann nun aber der griechische Polytheismus keine an sich systematisch gegliederte Totalität ausmachen. Beim ersten Blick zwar scheint es unabweislich, an den Olymp der Götter die Forderung zu stellen, die vielen Götter, welche in ihm versammelt sind, müßten in ihrer Gesamtheit, wenn deren Besonderung Wahrheit haben und ihr Inhalt klassisch sein soll, nun auch die Totalität der Idee in sich ausdrücken, den ganzen Kreis der notwendigen Mächte der Natur und des Geistes erschöpfen und sich daher auch konstruieren, d. h. als notwendig aufzeigen lassen. Dieser Forderung wäre dann aber sogleich die Einschränkung beizufügen, daß diejenigen Mächte des Gemüts und der geistigen absoluten Innerlichkeit überhaupt, welche erst in der späteren höheren Religion wirksam werden, von dem Gebiet der klassischen Götter ausgeschlossen blieben, so daß sich der Umfang des Inhalts, dessen besondere Seiten in der griechischen Mythologie zur Anschauung gelangen könnten, schon dadurch verringern würde. Außerdem aber kommt einerseits durch die in sich mannigfache Individualität notwendig auch die Zufälligkeit der Bestimmtheit herein, die sich der strengen Gliederung der Begriffsunterschiede entzieht, indem sie den Göttern nicht erlaubt, bei der Abstraktion einer Bestimmtheit zu verharren; andererseits hebt die Allgemeinheit, in deren Elemente die Götterindividuen ihr seliges Dasein haben, die feste Besonderheit auf, und die Hoheit der ewigen Mächte erhebt sich heiter über den kalten Ernst des Endlichen, worein, wenn diese Inkonsequenz fehlte, die göttlichen Gestalten durch ihre Beschränktheit würden verwickelt werden.

Wie sehr deshalb auch die Hauptmächte der Welt, als Totalität der Natur und des Geistes, in der griechischen Mythologie dargestellt sind, so kann diese Gesamtheit sowohl um der allgemeinen Göttlichkeit als auch der Individualität der Götter willen dennoch nicht als ein systematisches Ganzes auftreten. Statt individueller Charaktere würden die Götter sonst mehr nur allegorische Wesen und statt göttlicher Individuen endlich beschränkte, abstrakte Charaktere sein.


 © textlog.de 2004 • 16.04.2024 12:24:46 •
Seite zuletzt aktualisiert: 14.09.2004 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright