1. Die Idee


Wir nannten das Schöne die Idee des Schönen. Dies ist so zu verstehen, daß das Schöne selber als Idee, und zwar als Idee in einer bestimmten Form, als Ideal, gefaßt werden müsse. Idee nun überhaupt ist nichts anderes als der Begriff, die Realität des Begriffs und die Einheit beider. Denn der Begriff als solcher ist noch nicht die Idee, obschon Begriff und Idee oft promiscue gebraucht werden; sondern nur der in seiner Realität gegenwärtige und mit derselben in Einheit gesetzte Begriff ist Idee. Diese Einheit jedoch darf nicht etwa als bloße Neutralisation von Begriff und Realität vorgestellt werden, so daß beide ihre Eigentümlichkeit und Qualität verlören, wie Kali und Säure sich im Salz, insofern sie aneinander ihren Gegensatz abgestumpft haben, neutralisieren. Im Gegenteil bleibt in dieser Einheit der Begriff das Herrschende. Denn er ist an sich schon seiner eigenen Natur nach diese Identität und erzeugt deshalb aus sich selbst die Realität als die seinige, in welcher er daher, indem sie seine Selbstentwicklung ist, nichts von sich aufgibt, sondern darin nur sich selbst, den Begriff, realisiert und darum mit sich in seiner Objektivität in Einheit bleibt. Solche Einheit des Begriffs und der Realität ist die abstrakte Definition der Idee.

Wie häufig nun auch in Kunsttheorien von dem Worte Idee ist Gebrauch gemacht worden, so haben sich umgekehrt dennoch höchst ausgezeichnete Kunstkenner diesem Ausdruck besonders feindselig bewiesen. Das Neueste und Interessanteste dieser Art ist die Polemik des Herrn von Rumohr in seinen Italienischen Forschungenu). Sie geht aus von dem praktischen Interesse für die Kunst und trifft das, was wir Idee nennen, in keiner Weise. Denn Herr von Rumohr, unbekannt mit dem, was die neuere Philosophie Idee nennt, verwechselt die Idee mit unbestimmter Vorstellung und dem abstrakten, individualitätslosen Ideal bekannter Theorien und Kunstschulen, im Gegensatz der ihrer Wahrheit nach bestimmt und vollendet ausgeprägten Naturformen, welche er der Idee und dem abstrakten Ideal, das der Künstler sich aus sich selbst mache, entgegenstellt. Nach solchen Abstraktionen künstlerisch zu produzieren ist allerdings unrecht und ebenso ungenügend, als wenn der Denker nach unbestimmten Vorstellungen denkt und in seinem Denken bei bloß unbestimmtem Inhalt stehenbleibt. Von solchem Vorwurf aber ist, was wir mit dem Ausdruck Idee bezeichnen, in jeder Beziehung frei, denn die Idee ist schlechthin in sich konkret, eine Totalität von Bestimmungen und schön nur als unmittelbar eins mit der ihr gemäßen Objektivität.  Herr von Rumohr, nach dem, was er in seinen Italienischen Forschungen (Bd. l, S. 145 f.) sagt, hat gefunden, »daß Schönheit im allgemeinsten und, wenn man so will, im modernen Verstande alle Eigenschaften der Dinge begreift, welche entweder den Gesichtssinn befriedigend anregen oder durch ihn die Seele stimmen und den Geist erfreuen«.

Diese Eigenschaften sollen wiederum in drei Arten zerfallen, »deren eine nur auf das sinnliche Auge, deren andere nur auf den eigenen, voraussetzlich dem Menschen eingeborenen Sinn für räumliche Verhältnisse, deren dritte zunächst auf den Verstand wirkt, dann erst durch die Erkenntnis auf das Gefühl«. Diese dritte wichtigste Bestimmung soll (S. 144) auf Formen beruhen, welche »ganz unabhängig sowohl vom sinnlich Wohlgefälligen als von der Schönheit des Maßes ein gewisses sittlich-geistiges Wohlgefallen erwecken, welches teils aus der Erfreulichkeit der eben angeregten« (doch wohl der sittlich-geistigen?) »Vorstellungen hervorgeht, teils auch geradehin aus dem Vergnügen, welches schon die bloße Tätigkeit eines deutlichen Erkennens unfehlbar nach sich

Dies sind die Hauptbestimmungen, welche dieser gründliche Kenner seinerseits in Beziehung auf das Schöne hinstellt. Für eine gewisse Stufe der Bildung mögen sie ausreichen, philosophisch jedoch können sie in keiner Weise befriedigen. Denn dem Wesentlichen nach kommt diese Betrachtung nur darauf hinaus, daß der Gesichtssinn oder Geist, auch der Verstand erfreut, das Gefühl erregt, daß ein Wohlgefallen erweckt werde. Um solch erfreuliches Erwecken dreht sich das Ganze. Dieser Reduktion aber der Wirkung des Schönen auf das Gefühl, das Annehmliche, Wohlgefällige hat schon Kant ein Ende gemacht, indem er über die Empfindung des Schönen bereits hinausgeht.

Wenden wir uns von dieser Polemik zur Betrachtung der dadurch unangefochtenen Idee zurück, so liegt in ihr, wie wir sahen, die konkrete Einheit des Begriffs und der Objektivität.

 a) Was nun die Natur des Begriffs als solchen anbetrifft, so ist er an sich selbst nicht etwa die abstrakte Einheit den Unterschieden der Realität gegenüber, sondern als Begriff schon die Einheit unterschiedener Bestimmtheiten und damit konkrete Totalität. So sind die Vorstellungen Mensch, blau usf. zunächst nicht Begriffe, sondern abstrakt-allgemeine Vorstellungen zu nennen, die erst zum Begriff werden, wenn in ihnen dargetan ist, daß sie unterschiedene Seiten in Einheit enthalten, indem diese in sich selbst bestimmte Einheit den Begriff ausmacht; wie z. B. die Vorstellung »blau« als Farbe die Einheit, und zwar spezifische Einheit, von Hell und Dunkel zu ihrem Begriffe hat und die Vorstellung »Mensch« die Gegensätze von Sinnlichkeit und Vernunft, Körper und Geist befaßt, der Mensch jedoch nicht nur aus diesen Seiten als gleichgültigen Bestandstücken zusammengesetzt ist, sondern dem Begriff nach dieselben in konkreter, vermittelter Einheit enthält. Der Begriff aber ist so sehr absolute Einheit seiner Bestimmtheiten, daß dieselben nichts für sich selber bleiben und zu selbständiger Vereinzelung, wodurch sie aus ihrer Einheit heraustreten würden, sich nicht entfremden können. Dadurch enthält der Begriff alle seine Bestimmtheiten in Form dieser ihrer ideellen Einheit und Allgemeinheit, die seine Subjektivität im Unterschiede des Realen und Objektiven ausmacht. So ist z. B. das Gold von spezifischer Schwere, bestimmter Farbe, besonderem Verhältnis zu verschiedenartigen Säuren. Dies sind unterschiedene Bestimmtheiten und dennoch schlechthin in Einem. Denn jedes feinste Teilchen Gold enthält sie in untrennbarer Einheit. Für uns treten sie auseinander, an sich aber, ihrem Begriffe nach sind sie in ungetrennter Einheit. Von gleicher selbständigkeitsloser Identität sind die Unterschiede, welche der wahre Begriff in sich hat. Ein näheres Beispiel bietet uns die eigene Vorstellung, das selbstbewußte Ich überhaupt. Denn was wir Seele und näher Ich heißen, ist der Begriff selbst in seiner freien Existenz. Das Ich enthält eine Menge der unterschiedensten Vorstellungen und Gedanken in sich, es ist eine Welt der Vorstellungen; doch dieser unendlich mannigfaltige Inhalt, insofern er im Ich ist, bleibt ganz körperlos und immateriell und gleichsam zusammengepreßt in dieser ideellen Einheit, als das reine, vollkommen durchsichtige Scheinen des Ich in sich selbst. Dies ist die Weise, in welcher der Begriff seine unterschiedenen Bestimmungen in ideeller Einheit enthält.

Die näheren Begriffsbestimmungen nun, welche dem Begriff seiner eigenen Natur nach zugehören, sind das Allgemeine, Besondere und Einzelne. Jede dieser Bestimmungen für sich genommen wäre eine bloße einseitige Abstraktion. In dieser Einseitigkeit jedoch sind sie nicht im Begriffe vorhanden, da er ihre ideelle Einheit ausmacht. Der Begriff ist deshalb das Allgemeine, das sich einerseits durch sich selbst zur Bestimmtheit und Besonderung negiert, andererseits aber diese Besonderheit, als Negation des Allgemeinen, ebensosehr wieder aufhebt. Denn das Allgemeine kommt in dem Besonderen, welches nur die besonderen Seiten des Allgemeinen selber ist, zu keinem absolut Anderen und stellt deshalb im Besonderen seine Einheit mit sich als Allgemeinem wieder her. In dieser Rückkehr zu sich ist der Begriff unendliche Negation; Negation nicht gegen Anderes, sondern Selbstbestimmung, in welcher er sich nur auf sich beziehende affirmative Einheit bleibt. So ist er die wahrhafte Einzelheit als die in ihren Besonderheiten sich nur mit sich selber zusammenschließende Allgemeinheit. Als höchstes Beispiel dieser Natur des Begriffs kann das gelten, was oben über das Wesen des Geistes kurz ist berührt worden.

Durch diese Unendlichkeit in sich ist der Begriff an sich selbst schon Totalität. Denn er ist die Einheit mit sich im Anderssein und dadurch das Freie, das alle Negation nur als Selbstbestimmung und nicht als fremdartige Beschränkung durch Anderes hat. Als diese Totalität aber enthält der Begriff bereits alles, was die Realität als solche zur Erscheinung bringt und die Idee zur vermittelten Einheit zurückführt. Die da meinen, sie hätten an der Idee etwas ganz Anderes, Besonderes gegen den Begriff, kennen weder die Natur der Idee noch des Begriffes. Zugleich aber unterscheidet sich der Begriff von der Idee dadurch, daß er die Besonderung nur in abstracto ist, denn die Bestimmtheit, als im Begriff, bleibt in der Einheit und ideellen Allgemeinheit, welche das Element des Begriffs ist, gehalten.

Dann aber bleibt der Begriff selbst noch in der Einseitigkeit stehen und ist von dem Mangel behaftet, daß er, obschon an sich selbst die Totalität, dennoch nur der Seite der Einheit und Allgemeinheit das Recht freier Entwicklung vergönnt. Weil diese Einseitigkeit nun aber dem eigenen Wesen des Begriffs unangemessen ist, hebt der Begriff dieselbe seinem eigenen Begriff nach auf. Er negiert sich als diese ideelle Einheit und Allgemeinheit und entläßt nun, was dieselbe in ideeller Subjektivität in sich schloß, zu realer selbständiger Objektivität. Der Begriff durch eigene Tätigkeit setzt sich als die Objektivität.

b) Die Objektivität, für sich betrachtet, ist daher selber nichts anderes als die Realität des Begriffs, aber der Begriff in Form selbständiger Besonderung und realer Unterscheidung aller Momente, deren ideelle Einheit der Begriff als subjektiver war.

Da es nun aber nur der Begriff ist, der in der Objektivität sich Dasein und Realität zu geben hat, so wird die Objektivität an ihr selber den Begriff zur Wirklichkeit bringen müssen. Der Begriff jedoch ist die vermittelte ideelle Einheit seiner besonderen Momente. Innerhalb ihres realen Unterschiedes hat sich deshalb die ideelle, begriffsmäßige Einheit der Besonderheiten an ihnen selber ebensosehr wiederherzustellen. Wie die reale Besonderheit hat auch deren zur Idealität vermittelte Einheit an ihnen zu existieren. Dies ist die Macht des Begriffs, der seine Allgemeinheit nicht in der zerstreuten Objektivität aufgibt oder verliert, sondern diese seine Einheit gerade durch die Realität und in derselben offenbar macht. Denn es ist sein eigener Begriff, sich in seinem Anderen die Einheit mit sich zu bewahren. Nur so ist er die wirkliche und wahrhaftige Totalität.

c) Diese Totalität ist die Idee. Sie nämlich ist nicht nur die ideelle Einheit und Subjektivität des Begriffs, sondern in gleicher Weise die Objektivität desselben, aber die Objektivität, welche dem Begriffe nicht als ein nur Entgegengesetztes gegenübersteht, sondern in welcher der Begriff sich als auf sich selbst bezieht. Nach beiden Seiten des subjektiven und objektiven Begriffs ist die Idee ein Ganzes, zugleich aber die sich ewig vollbringende und vollbrachte Übereinstimmung und vermittelte Einheit dieser Totalitäten. Nur so ist die Idee die Wahrheit und alle Wahrheit.


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