XVII.3. Fortgang des Christentums in den griechischen Ländern

 

 Wir bemerkten, daß der Hellenismus, d. i. eine freiere, schon mit Begriffen anderer Völker gemischte Denkart der Juden, der Entstehung des Christentums den Weg gebahnt habe: das entstandene Christentum also ging weit auf diesem Wege fort, und in kurzer Zeit waren große Erdstriche, wo griechische Juden waren, erfüllt von der neuen Botschaft. In einer griechischen Stadt entstand der Name der Christen; in der griechischen Sprache wurden die ersten Schritten des Christentums am weitesten lautbar; denn beinahe von Indien an bis zum Atlantischen Meer, von Lybien bis gen Thule war mehr oder minder diese Sprache verbreitet. Unglücklicher- und glücklicherweise lag Judäa insonderheit eine Provinz nahe, die zu der ersten Form des Christianismus viel beitrug: Ägypten. Wenn Jerusalem die Wiege desselben war, so wurde Alexandrien seine Schule.

 Seit der Ptolemäer Zeiten waren in Ägypten, des Handels wegen, eine Menge Juden, die sich daselbst gar ein eignes Judäa erschaffen wollten, einen Tempel bauten, ihre heiligen Schriften nach und nach griechisch übersetzten und mit neuen Schriften vermehrten. Gleicherweise waren seit Ptolemäus Philadelphus' Zeiten in Alexandrien für die Wissenschaften blühende Anstalten, die sich, selbst Athen nicht ausgenommen, sonst nirgend fanden. Vierzehntausend Schüler hatten eine geraume Zeit daselbst durch öffentliche Wohltat Unterhalt und Wohnung; hier war das berühmte Museum, hier die ungeheure Bibliothek, hier der Ruhm alter Dichter und gelehrter Männer in allen Arten; hier also im Mittelpunkt des Welthandels war die große Schule der Völker. Eben durch die Zusammenkunft derselben und durch eine nach und nach geschehene Vermischung der Denkarten aller Nationen im griechischen und römischen Reich war die sogenannte neuplatonische Philosophie und überhaupt jener sonderbare Synkretismus entstanden, der die Grundsätze aller Parteien zu vereinigen suchte und in weniger Zeit Indien, Persien. Judäa, Äthiopien, Ägypten, Griechenland, Rom und die Barbaren iß ihren Vorstellungsarten zusammenrückte. Wunderbar herrschte dieser Geist fast allenthalben im römischen Reiche, weil allenthalben Philosophen aufkamen, die die Ideen ihres Geburtslandes in die große Masse der Begriffe trugen; in Alexandrien aber kam es zur Blüte. Und nun sank auch der Tropfe des Christentums in dieses Meer und zog an sich, was er mit sich organisieren zu können vermeinte. Schon in den Schriften Johannes' und Paulus' werden platonische Ideen dem Christentum assimiliert; die ältesten Kirchenväter, wenn sie sich auf Philosophie einließen, konnten der allgemein angenommenen Vorstellungsarten nicht entbehren, und einige derselben finden z.B. ihren Logos längst vor dem Christentum in allen Seelen der Weisen. Vielleicht wäre es kein Unglück gewesen, wenn das System des Christentums geblieben wäre, was es nach den Vorstellungen eines Justinus, Clemens von Alexandrien und anderer sein sollte: eine freie Philosophie, die Tugend und Wahrheitsliebe zu keiner Zeit, unter keinem Volk verdammte und von den einengenden Wortformeln, die späterhin als Gesetze galten, noch gar nichts wußte. Gewiß sind die früheren Kirchenväter, die in Alexandrien gebildet wurden, nicht die schlechtesten; der einzige Origenes hat mehr getan als zehntausend Bischöfe und Patriarchen; denn ohne den gelehrten kritischen Fleiß, den er auf die Urkunden des Christentums wandte, wäre dies in Ansehung seiner Entstehung beinahe ganz unter die unklassischen Märchen geraten. Auch auf einige seiner Schüler ging sein Geist über, und mehrere Kirchenväter aus der alexandrinischen Schule dachten und stritten wenigstens doch gewandter und feiner als so manche andere unwissende und fanatische Köpfe.

Indessen war freilich in anderm Betracht sowohl Ägypten als die damalige Modephilosophie überhaupt fürs Christentum auch eine verderbliche Schule; denn eben an diese fremden platonischen Ideen, an denen man mit griechischer Spitzfindigkeit subtilisierte, hing sich alles, was nachher fast zwei Jahrtausende lang Streitigkeiten, Zank, Aufruhr, Verfolgung, Zerrüttungen ganzer Länder erregt hat und überhaupt dem Christentum eine ihm so fremde, die sophistische Gestalt gegeben. Aus dem Wort Logos entstanden Ketzereien und Gewalttätigkeiten, vor denen noch jetzt der Logos in uns, die gesunde Vernunft, schaudert. Nur in der griechischen Sprache konnten manche dieser Zänkereien geführt werden, der sie auch auf ewig hätten eigen bleiben und nie zu allgemeinen Lehrformeln aller Sprachen erhoben werden sollen. Da ist auch keine Wahrheit, keine Erkenntnis, die dem menschlichen Wissen einen Zuwachs, dem Verstande eine neue Kraft, dem menschlichen Willen eine edle Triebfeder gegeben hätte; vielmehr kann man die ganze Polemik der Christen, die sie gegen Arianer, Photinianer, Macedonianer, Nestorianer, Eutychianer, Monophysiten, Tritheiten, Monotheliten u. f. geführt haben, geradezu vertilgen, ohne daß das Christentum oder unsere Vernunft den mindesten Schaden erhielte. Eben von ihnen allen und von ihrer Wirkung, jenen groben Dekreten so mancher Hof- und Räuberkonzilien, hat man wegsehen und sie sämtlich vergessen müssen, um nur abermals wieder zu einem reinen ersten Anblick der christlichen Urschriften und zu ihrer öffnen, einfachen Auslegung gelangen zu können; ja, noch hindern und quälen sie hier, da und dort viele furchtsame oder gar um ihretwillen verfolgte Seelen. Der ganze spekulative Kram dieser Sekten ist jener Lernäischen Schlange oder den Kettenringen eines Wurmes ähnlich, der im kleinsten Gliede wieder wächst und, unzeitig abgerissen, den Tod gewährt.

In der Geschichte füllt dies unnütze, menschenfeindliche Gewebe viele Jahrhunderte: Ströme Blutes sind darüber vergossen, unzählige, oft die würdigsten Menschen durch die unwissendsten Bösewichter um Gut und Ehre, um Freunde, Wohnung und Ruhe, um Gesundheit und Leben gebracht worden. Selbst die treuherzigen Barbaren, Burgunder, Goten, Longobarden, Franken und Sachsen, haben an diesen Mordspielen für oder gegen Arianer, Bogomilen, Katharer, Albigenser, Waldenser u. f. in frommer Rechtgläubigkeit mit eifrigem Ketzerernst Anteil genommen und als streitende Völker für die echte Taufformel ihre Klinge nicht vergebens geführt: eine wahre streitende Kirche. Vielleicht gibt es kein öderes Feld der Literatur als die Geschichte dieser christlichen Wort- und Schwertübung, die dem menschlichen Verstande seine eigne Denkkraft, den Urkunden des Christentums ihre klare Ansicht, der bürgerlichen Verfassung ihre Grundsätze und Maßregeln dergestalt geraubt hatte, daß wir zuletzt andern Barbaren und Sarazenen danken müssen, daß sie durch wilde Einbrüche die Schande der menschlichen Vernunft zerstörten. Dank sei allen den Männern265, die uns die Triebfedern solcher Streitigkeiten, die Athanase, Kyrille, Theophile, die Konstantine und Irenen in ihrer wahren Gestalt zeigen; denn solange man im Christentum den Namen der Kirchenväter und ihrer Konzilien noch mit Sklavenfurcht nennt, ist man weder der Schrift noch seines eignen Verstandes mächtig.

 Auch die christliche Sittenlehre fand in Ägypten und in andern Gegenden des griechischen Reichs keinen bessern Boden; durch einen fürchterlichen Mißbrauch erschuf sie daselbst jenes grobe Heer der Zönobiten und Mönche, das sich nicht etwa nur an Entzückungen in der thebaischen Wüste begnügte, sondern als eine gemietete Kriegsschar oft Länder durchzog, Bischofswahlen und Konzilien störte und den H. Geist derselben Aussprüche zu tun zwang, wie ihr unheiliger Geist es wünschte. Ich ehre die Einsamkeit, jene nachdenkende Schwester, oft auch die Gesetzgeberin der Gesellschaft, sie, die Erfahrungen und Leidenschaften des geschäftigen Lebens in Grundsätze und in Nahrungssaft verwandelt. Auch jener tröstenden Einsamkeit gebührt Mitleid, die, des Joches und der Verfolgung anderer Menschen müde, in sich selbst Erholung und Himmel findet. Gewiß waren viele der ersten Christen Einsame der letzten Art, die von der Tyrannei des großen militärischen Reichs oder vom Greuel der Städte in die Wüste getrieben wurden, wo bei wenigen Bedürfnissen ein milder Himmel sie freundlich aufnahm. Desto verächtlicher aber sei uns jene stolze, eigensinnige Absonderung, die, das tätige Leben verabscheuend, in Beschauung oder in Büßungen ein Verdienst setzt, sich mit Phantomen nährt und, statt Leidenschaften zu ertöten, die wildeste Leidenschaft, einen eigensinnigen, ungemessenen Stolz, in sich auffacht. Leider wurde der Christianismus hiezu ein blendender Vorwand, seitdem man Ratschläge desselben, die nur für wenige sein sollten, zu allgemeinen Gesetzen machte oder gar zu Bedingungen des Himmelreichs erhob und Christum in der Wüste suchte. Da sollten Menschen den Himmel finden, die Bürger der Erde zu sein verschmähten und damit die schätzbarsten Gaben unseres Geschlechts, Vernunft, Sitten, Fähigkeiten, Eltern-, Freundes-, Gatten- und Kindesliebe, aufgaben. Verwünscht sein die Lobsprüche, die man aus mißverstandener Schritt dem ehelosen, müßigen, beschauenden Leben oft so unvorsichtig und reichlich gab, verwünscht die falschen Eindrücke, die man mit schwärmerischer Beredsamkeit der Jugend einprägte und dadurch auf viele Zeiten hin den Menschenverstand verschob und lahmte. Woher kommt's, daß in den Schriften der Kirchenväter sich so wenig reine Moral und oft das Beste mit dem Schlechtesten, das Gold mit Unrat vermischt findet?266) Woher, daß man in diesen Zeiten auch von den vortrefflichsten Männern, die noch so viel griechische Schriftsteller zu ihrem Gebot hatten, kein Buch nennen kann, das ohne alle Rücksicht auf Komposition und Vortrag, bloß in der Moral und im durchgehenden Geiste des Werks, einer Schrift der sokratischen Schule an die Seite zu setzen wäre? Woher, daß selbst die ausgesuchten Sprüche der Väter so viel übertriebenes und Mönchisches an sich haben, wenn man sie mit der Moral der Griechen vergleicht? Durch die neue Philosophie war das Hirn der Menschen verrückt, daß sie, statt auf der Erde zu leben, in Lüften des Himmels wandeln lernten; und wie es keine größere Krankheit geben kann als diese, so ist's wahrlich ein beweinenswerter Schade, wenn sie durch Lehre, Ansehen und Institute fortgepflanzt und die läutern Quellen der Moral auf Jahrhunderte hin dadurch trübe gemacht wurden.

 


 © textlog.de 2004 • 08.12.2024 20:09:17 •
Seite zuletzt aktualisiert: 26.10.2004 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright