XVIII.4. Reiche der Sachsen, Normänner und Dänen

 

Die Geschichte der deutschen Völker mitten im festen Lande hat etwas Einförmiges und Unbehülfliches an sich. Wir kommen jetzt zu den deutschen Seenationen, deren Anfälle schneller, deren Verwüstungen grausamer, deren Besitztümer Ungewisser waren; dafür werden wir aber auch, wie unter Meeresstürmen, Männer vom höchsten Mut, Unternehmungen der glücklichsten Art und Reiche erblicken, deren Genius noch jetzt frische Meeresluft atmet.

 Schon in der Mitte des fünften Jahrhunderts zogen von der nördlichen Küste Deutschlands die Angelsachen, die zur See und zu Lande lange das Kriegs- und Räuberhandwerk getrieben hatten, den Briten zu Hülfe. Hengist und Horsa (Hengst und Stute) waren ihre Anführer; und da sie mit den Feinden der Briten, den Pikten und Kaledoniern, ein leichtes Spiel hatten und ihnen das Land gefiel, zogen sie mehrere ihrer Brüder hinüber; sie ruhten auch nicht, bis nach 150 Jahren, voll der wildesten Kriege und der abscheulichsten Verwüstung, Britannien bis an die Ecken des Landes, Cornwallis und Wales ausgenommen, das ihrige war. Nie ist den Kymren, die in diese Länder gedrängt wurden, das gelungen, was den Westgoten in Spanien gelang, aus ihren Gebirgen hervorzugehn und ihr altes Land zu erobern; denn die Sachsen, ein wildes Volk, wurden als katholische Christen in ihrem geraubten Besitztum gar bald gesichert und gefirmelt.

 Nicht lange nämlich nach Anrichtung des ersten sächsischen Königreichs Kent hatte die Tochter eines rechtgläubigen Königes zu Paris ihren heidnischen Gemahl Ethelbert (Adelbert) zum Christentum bereitet, und der Mönch Augustin führte solches mit dem silbernen Kreuz in der Hand feierlich in England ein. Gregor der Große, damals auf dem Römischen Stuhl, der vor Begierde brannte, das Christentum insonderheit durch Gemahlinnen mit allen Thronen zu vermählen, sandte ihn dahin, entschied seine Gewissensfragen und machte ihn zum ersten Erzbischof dieser glücklichen Insel, die vom Könige Ina an dem heil. Petrus seinen evangelischen Zinsgroschen reichlich ersetzt hat. Kaum ist ein anderes Land in Europa mit so vielen Klöstern und Stiftungen bedeckt worden als England, und doch ist aus ihnen für die Literatur weniger geschehen, als man erwarten möchte. Das Christentum dieser Gegenden nämlich sprosste nicht, wie in Spanien, Frankreich, Italien, ja selbst in Irland, aus der Wurzel einer altapostolischen Kirche; neurömische Ankömmlinge waren es, die den rohen Sachsen das Evangelium in einer neueren Gestalt brachten. Desto mehr Verdienst hatten diese englische Mönche nachher in auswärtigen Bekehrungen und würden solche auch, wenigstens in Klosternachrichten, zur Geschichte ihres Landes haben, wenn diese den Verwüstungen der Dänen entronnen wären.

 Sieben Königreiche sächsischer Barbaren, die auf einer mäßig großen Halbinsel in ungleichen Grenzen neben- und miteinander heidnisch und christlich kämpfen, sind kein erfreulicher Anblick. Und doch dauerte mehr als 300 Jahre dieser chaotische Zustand, aus welchem nur hie und da Stiftungen und Satzungen der Kirche oder die Anfänge einer geschriebenen Gesetzgebung, wie z.B. Adelberts und Inas, hervorschimmern. Endlich kamen unter König Egbert die sieben Königreiche zusammen; und mehr als ein Fürst derselben würde. Mut und Kraft gehabt haben, ihre Verfassung blühend zu machen, hätten nicht die Streitereien der Normänner und Dänen, die mit neuer Raubbegierde auf die See gejagt waren, sowohl an Frankreichs als Englands Küsten über zwei Jahrhunderte lang alles daurende Gute gehindert. Unsäglich ist der Schade, der durch sie gestiftet, unaussprechlich die Greuel, die durch sie verübt wurden; und wenn sich Karl an den Sachsen, wenn sich die Angeln an den Briten und Kymren grausam vergangen hatten, so ist das Unrecht, das sie diesen Völkern taten, an ihren Nachkommen so lange gerächt worden, bis gleichsam die ganze Wut des kriegerischen Nordens erschöpft war. Wie aber eben im heftigsten Sturme der Not sich die größesten Seelen zeigen, so ging England unter andern sein Alfred auf, ein Muster der Könige in einem bedrängten Zeitraum, ein Sternbild in der Geschichte der Menschheit.

 Vom Papst Leo IV. schon als Kind zum Könige gesalbet, war er unerzogen geblieben, bis die Begierde, sächsische Heldenlieder lesen zu können, seinen Fleiß dergestalt erweckte, daß er von ihnen zum Lesen lateinischer Schriftsteller fortschritt, unter denen er noch ruhig wohnte, als im 22. Jahr ihn der Tod seines Bruders zum Thron und zu allen Gefahren rief, die je einen Thron umringt haben. Die Dänen hatten das Land inne, und als sie das Glück und den Mut des jungen Königes merkten, nahmen sie in vermehrten Anfällen ihre Kräfte dergestalt zusammen, daß Alfred, der ihnen in einem Jahr acht Treffen geliefert, der sie mehrmals den Frieden auf heilige Reliquien hatte beschwören lassen und als Überwinder ebenso gütig und gerecht wie vorsichtig und tapfer in der Schlacht war, sich dennoch endlich dahin gebracht sah, daß er in Bauerkleidern seine Sicherheit suchen mußte und dem Weibe eines Kuhhirten unbekannt diente. Doch auch jetzt verließ ihn sein Mut nicht; mit wenigen Anhängern baute er sich in der Mitte eines Sumpfs eine Wohnung, die er die Insel der Edeln nannte und die jetzt sein Königreich war. über ein Jahr lang lag er hier, ebensowenig müßig als entkräftet. Wie aus einem unsichtbaren Schloß tat er Ausfälle auf die Feinde und nährte sich und die Seinen von ihrer Beute, bis einer seiner Treuen in einem Gefecht mit ihnen den Zauberraben erbeutet halle, die Fahne, die er als das Zeichen seines Glücks ansah. Als Harfenspieler gekleidet, ging er jetzt ins Lager der Dänen und bezauberte sie mit seinem lustigen Gesänge; man führte ihn in das Zelt des Prinzen, wo er allenthalben ihre tiefe Sicherheit und räuberische Verschwendung sah. Jetzt kehrte er zurück, tat durch geheime Boten seinen Freunden kund, daß er lebe, und lud sie an die Ecke eines Waldes zur Versammlung ein. Es kam ein kleines Heer zusammen, das ihn mit Freudengeschrei empfing, und schnell rückte er mit demselben auf die sorglosen, jetzt erschrockenen Dänen, schlug sie, schloß sie ein und machte aus Kriegsgefangenen seine Bundsgenossen und Kolonisten im verödeten Northumberlande und Ostangeln. Ihr König wurde getauft, von Alfred zum Sohne angenommen und der erste Schimmer von Ruhe gleich darauf gewandt, daß er Platz gegen andere Feinde gewinnen möchte, die in zahlreichen Schwärmen das Land aussogen.

Unglaublich schnell brachte Alfred den zerrütteten Staat in Ordnung, stellte die zerstörten Städte wieder her, schuf sich eine Macht zu Lande, bald auch zur See, so daß in weniger Zeit 120 Schiffe die Küsten umher bewachten. Beim ersten Gerücht eines Überfalls eilte er hülfreich herbei, und das ganze Land glich im Augenblick der Not einem Heerlager, wo jedweder seinen Platz wußte. So vereitelte er bis ans Ende seines Lebens jede räuberische Mühe des Feindes und gab dem Staat eine Land- und Seemacht, Wissenschaften und Künste, Städte, Gesetze und Ordnung. Er schrieb Bücher und wurde der Lehrer der Nation, die er beschützte. Ebenso groß in seinem häuslichen als öffentlichen Leben, teilte er die Stunden des Tages wie die Geschäfte und Einkünfte ein und behielt ebensoviel Raum zur Erholung als zur königlichen Milde. Hundert Jahre nach Karl dem Großen war er in einem glücklicherweise beschränkteren Kreise vielleicht größer als er; und obgleich unter seinen Nachfolgern die Streifereien der Dänen, nicht minder aber die Unruhen der Geistlichkeit mancherlei Unheil verursachten, weil unter ihnen im ganzen kein zweiter Alfred aufstand, so hat es England doch, bei der guten Grundlage seiner Einrichtung von frühen Zeiten, an trefflichen Königen nicht gefehlt; selbst die Anfälle ihrer Seefeinde hielten sie munter und gerüstet. Adelstan, Edgar, Edmund Eisenseite gehören unter dieselbe, und nur der Untreue der Großen war's zuzuschreiben, daß England unter dem letzten den Dänen lehnpflichtig wurde. Knut der Große wurde zwar als König erkannt, aber nur zwei Nachfolger hatte dieser nordische Sieger. England machte sich los, und es war vielleicht zu dessen Unglück, daß dem friedfertigen Eduard die Dänen Ruhe ließen. Er sammelte Gesetze, ließ andere regieren; die Sitten der Normänner kamen von der französischen Küste nach England hinüber, und Wilhelm der Eroberer ersah seine Zeit. Eine einzige Schlacht hob ihn auf den Thron und gab dem Lande eine neue Verfassung. Wir müssen also die Normänner näher kennenlernen: denn ihren Sitten ist nicht nur England, sondern ein großer Teil von Europa den Glanz seines Rittergeistes schuldig.

 


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