XIX.3. Weltliche Schirmvogteien der Kirche

 

Ursprünglich waren die Könige deutscher Stämme und Völker erwählte Feldherren, die Vorsteher der Nation, die obersten Richter. Als Bischöfe sie salbten, wurden sie Könige nach göttlichem Recht, Schirmvögte der Kirche ihres Landes; als der Papst den römischen Kaiser krönte, bestellte er ihn gleichsam sich zum Koadjutor: er die Sonne, der Kaiser der Mond, die übrigen Könige Gestirne am Himmel der christkatholischen Kirche. Dies System, das im Dunkel angelegt war, ging nur in der Dämmerung hervor, es wurde aber sehr bald lautbar. Schon der Sohn Karls des Großen legte auf das Geheiß der Bischöfe seine Krone nieder und wollte sie nicht anders als auf ihr neues Geheiß wieder annehmen; unter seinen Nachfolgern wurde der Vertrag mehrmals wiederholet, daß die Könige ihre geist- und weltlichen Stände in Geschäften der Kirche und des Staats als Mitgehülfen ansehen sollten. Der falsche Isidor endlich machte die Grundsätze allgemein, daß vermöge der Gewalt der Schlüssel der Papst berechtigt sei, Fürsten und Könige mit dem Bann zu belegen und ihrer Regierung unfähig zu erklären. Insonderheit maßte der Papst sich viel Recht an über die römische Kaiserkrone, und man gestand es ihm zu. Heinrich von Sachsen nannte sich nur einen König von Deutschland, bis ihn der Papst zur römischen Kaiserkrone einlud; Otto und seine Nachfolger bis zu Friedrich dem Zweiten empfingen sie von ihm und glaubten damit einen Vorrang oder gar eine Art Oberherrschaft über alle Könige der Christenheit empfangen zu haben. Sie, denen ihr deutsches Reich zu verwalten oft schwer wurde, empfanden es übel, wenn ohne ihre Beleihung dem griechischen Reiche etwas entnommen wurde; sie bekriegten die Heiden und setzten Bischöfe in derselben Ländern. Wie der Papst einen christlichen König in Ungarn schuf, so wurde der erste christliche Fürst in Polen ein Lehnträger des deutschen Reichs, und viele Kriege wurden fortan dieser Lehnabhängigkeit wegen geführt. Kaiser Heinrich II. empfing vom Papst den goldenen Reichsapfel als ein Sinnbild, daß ihm die Welt zugehöre; und Friedrich II. wurde in den Bann getan, weil er den ihm aufgedrungenen Kreuzzug aufschob. Ein Konzilium entsetzte ihn; vom Papst wurde der Kaiserthron ledig erklärt und so tief heruntergebracht, daß ihn kein auswärtiger Fürst annehmen wollte. Die christliche Sonne hat also ihren Mond übel beraten: denn über der Schirmvogtei der Christenheit kamen die deutschen Kaiser zuletzt dahin, daß sie sich selbst nicht mehr zu beschirmen wußten. Sie sollten umherziehen, Reichs- und Gerichtstage halten, Lehne, Zepter und Kronen verleihen, wie ihnen der Papst es auftrug, indes er an der Tiber saß und die Welt durch Legaten, Bullen und Interdikte regierte. Kein katholisches Reich ist in Europa, das nicht dieselben Begriffe von seinem Könige als einem Schirmvogt der Kirche unter der Oberherrschaft des Papstes gehabt hätte; ja geraume Zeit war dies das allgemeine Staatsrecht Europas.286)

 Alle innere Anstalten der Reiche konnten also nicht anders als in diesem Begriffe sein; denn die Kirche war nicht im Staat, sondern der Staat in der Kirche.

 1. Da allenthalben Geist- und Weltliche die Stände des Reichs waren, so mußten die wichtigsten Staats-, Ritter- und Lehngebräuche gleichsam mit dem Siegel der Kirche bezeichnet werden. An Festen hielten die Könige ihren großen Hof; in Tempeln geschah ihre Krönung; ihr Schwur war aufs Evangelium und die Reliquien, ihre Kleidung ein geweihter Schmuck, ihre Krone und ihr Schwert heilig. Sie selbst wurden ihrer Würde wegen als Diener der Kirche betrachtet und genossen Vorzüge des geistlichen Standes. Mehr oder weniger waren alle feierliche Staatshandlungen mit Messe und Religion verbunden. Der erste Degen, den der Knappe bekam, war auf dem Altar geweiht, und als mit der Zeit die Ritterwürde in die Feierlichkeit eines Ordens trat, so waren ein Dritteil derselben Religionsgebräuche. Andacht verband sich im Orden mit Ehre und Liebe; denn für die Christenheit, wie für die gekränkte Tugend und Unschuld, das Schwert zu führen war der angebliche Zweck aller Ritterorden. Längst waren Christus und die Apostel, die Mutter Gottes und andere Heilige Schutzpatrone der Christenheit, aller Stände und Ämter, einzelner Zünfte, Kirchen, Abteien, Schlösser und Geschlechter gewesen; bald wurden ihre Bilder Heereszeichen, Fahnen, Siegel, ihre Namen das Feldgeschrei, die Losung. Man griff bei Verlesung des Evangelium ans Schwert und ging zur Schlacht mit einem Kyrie eleison. Alle Gebräuche in dieser Denkart bereiteten jene Kriege wider Ketzer, Heiden und Ungläubige dermaßen vor, daß zu rechter Zeit nur ein großer Aufruf mit heiligen Zeichen und Versprechungen erschallen dorfte, so zog Europa gegen Sarazenen, Albigenser, Slawen, Preußen und Polen. Sogar der Ritter und Mönch konnten sich zur sonderbaren Gestalt geistlicher Ritterorden vereinigen; denn in einzelnen Fällen hatten Bischöfe, Äbte, ja Päpste selbst den Bischofsstab mit dem Schwert verwechselt.

 Ein kurzes Beispiel dieser Sitten gibt uns die eben erwähnte Stiftung des Königreichs Ungarn durch die Hand des Papstes. Lange hatten Kaiser und Reich geratschlaget, wie die wilden, so oft geschlagenen Ungarn zur Ruhe zu bringen wären: die Taufe war dazu das einzige Mittel; und als dieses nach vieler Mühe gelang, da ein im Christentum erzogener König, der heilige Stephan, selbst das Werk der Bekehrung trieb, da wurde ihm eine apostolische Krone gesandt (die wahrscheinlich ein awarischer Raub war); er empfing die heilige Lanze (eine ungarische Streitkolbe) und das Stephansschwert, gegen alle Weltseilen die Kirche zu schützen und zu verbreiten, den Reichsapfel, die bischöflichen Handschuhe, das Kreuz. Er wurde zum Legat des Papstes erklärt und versäumte nicht, in Rom ein Chorherrenstift, zu Konstantinopel ein Mönchskloster, zu Ravenna und Jerusalem Hospitäler, Herbergen und Stifter anzulegen, den Zug der Pilgrime durch sein Land zu leiten, Priester, Bischöfe, Mönche aus Griechenland, Böhmen, Bayern, Sachsen, Österreich und Venedig kommen zu lassen, das Erzstift Gran samt einer Reihe anderer Bischofssitze und Klöster zu errichten und die Bischöfe, die auch zu Felde ziehen mußten, als Stände seines Reichs einzuführen. Er gab ein Gesetz, dessen geistlicher Teil aus abendländischen, besonders fränkischen Kapitularen und mainzischen Kirchenschlüssen genommen war, und hinterließ es als Grundgesetz des neuen Christenreiches. Dies war der Geist der Zeiten; Ungarns ganze Verfassung, das Verhältnis und Schicksal seiner Bewohner wurde darauf gegründet, und mit kleinen Veränderungen nach Ort und Zeiten war es in Polen, Neapel und Sizilien, in Dänemark und Schweden nicht anders. Alles schwamm im Meer der Kirche: ein Bord des Schiffes war die Lehnherrschaft, das andere die bischöfliche Gewalt, König oder Kaiser das Segel, der Papst saß am Steuerruder und lenkte.

 


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