VII.2. Das eine Menschengeschlecht hat sich allenthalben auf der Erde klimatisiert

 

Zuerst erhellt, warum alle ihrem Lande zugebildete sinnliche Völker dem Boden desselben so treu sind und sich von ihm unabtrennlich fühlen. Die Beschaffenheit ihres Körpers und ihrer Lebensweise, alle Freuden und Geschäfte, an die sie von Kindheit auf gewöhnt wurden, der ganze Gesichtskreis ihrer Seele ist klimatisch. Raubt man ihnen ihr Land, so hat man ihnen alles geraubt.

»Von dem betrübten Schicksal der sechs Grönländer«, erzählt Cranz111), »die man auf der ersten Reise nach Dänemark brachte, hat man angemerkt, daß sie, ohnerachtet aller freundlichen Behandlung und guten Versorgung mit Stockfisch und Tran, dennoch oft mit betrübten Blicken und unter jämmerlichem Seufzen gen Norden nach ihrem Vaterlande gesehen und endlich in ihren Kajaken die Flucht ergriffen haben. Durch einen starken Wind wurden sie an das Ufer von Schonen geworfen und nach Kopenhagen zurückgebracht, worauf zween von ihnen vor Betrübnis starben. Von den übrigen sind ihrer zween nochmals entflohen, und ist nur der eine wieder eingeholt worden, welcher, sooft er ein kleines Kind an der Mutter Halse gesehen, bitterlich geweinet (woraus man geschlossen, daß er Frau und Kinder haben müsse; denn man konnte nicht mit ihnen sprechen, noch sie zur Taufe präparieren). Die zween letzten haben zehn bis zwölf Jahre in Dänemark gelebt und sind bei Koldingen zum Perlenfischen gebraucht, aber im Winter so stark angestrengt worden, daß der eine darüber gestorben, der letzte nochmals entflohen und erst dreißig bis vierzig Meilen weit vom Lande eingeholt worden, worauf er ebenfalls aus Betrübnis sein Leben geendet.«

Alle Zeugen von menschlicher Empfindung können die verzweifelnde Wehmut nicht ausdrücken, mit welcher ein erkaufter oder erstohlner Negersklave die Küste seines Vaterlandes verläßt, um sie nie wieder zu erblicken in seinem Leben. »Man muß genaue Aufsicht haben«, sagt Römer112), »daß die Sklaven weder im Fort noch auf dem Schiff Messer in die Hände bekommen; bei der Überfahrt nach Westindien hat man genug zu tun, sie bei guter Laune zu erhalten. Deshalb ist man mit europäischen Leiern versehen; man nimmt auch Trummeln und Pfeifen mit und läßt sie tanzen, versichert sie, daß sie nach einem schönen Lande geführt werden, wo sie viel Frauen, gute Speisen erhalten sollen und dergleichen. Und dennoch hat man betrübte Beispiele erlebt, daß die Schiffleute von ihnen überfallen und ermordet worden, da sie denn nachher das Schiff ans Land treiben lassen.« - Und wieviel traurigere Beispiele hat man erlebt vom verzweifelnden Selbstmorde dieser unglücklichen Geraubten! Sparrmann erzählt113) aus dem Munde eines Besitzers solcher Sklaven, daß sie des Nachts in eine Art von Raserei verfallen, die sie antreibt, an irgend jemand oder gar an sich selbst einen Mord zu begehen; »denn das schwermütige Andenken an den schmerzhaften Verlust ihres Vaterlandes und ihrer Freiheit erwacht am meisten des Nachts, wenn das Geräusch des Tages es nicht zu zerstreuen vermag.« -

Und was für Recht hattet ihr Unmenschen, euch dem Lande dieser Unglücklichen nur zu nahen, geschweige es ihnen und sie dem Lande durch Diebstahl, List und Grausamkeit zu entreißen? Seit Jahrtausenden ist dieser Weltteil der ihre, so wie sie ihm zugehören; ihre Väter hatten ihn um den höchsten und schwersten Preis erkauft, um ihre Negergestalt und Negerfarbe. Bildend hatte die afrikanische Sonne sie zu Kindern angenommen und ihr Siegel auf sie geprägt; wohin ihr sie führt, zeiht euch dieses als Menschendiebe, als Räuber.

Zweitens. Grausam also sind die Kriege der Wilden um ihr Land und um die ihnen entrissenen oder beschimpften und gequälten Söhne desselben, ihre Mitbrüder. Daher z. B. der verhaltne Haß der Amerikaner gegen die Europäer, auch wenn diese leidlich mit ihnen umgehn; sie fühlen's unvertilgbar: »Ihr gehört nicht hieher! Das Land ist unser.« Daher die Verrätereien aller sogenannten Wilden, auch wenn sie von der Höflichkeit der Europäer ganz besänftigt schienen. Im ersten Augenblick, da sie zu ihrem angeerbten Nationalgefühl erwachten, brach die Flamme aus, die sich mit Mühe so lang unter der Asche gehalten hatte; grausam wütete sie umher und ruhte oft nicht eher, bis die Zähne der Eingebornen der Ausländer Fleisch fraßen. Uns scheint dieses abscheulich, worüber auch wohl kein Zweifel bleibt; indessen waren die Europäer die ersten, die sie zu dieser Untat zwangen; denn warum kamen sie zu ihrem Lande? Warum führten sie sich in demselben als fodernde, gewalttätige, übermächtige Despoten auf?114) Jahrtausende waren sich die Einwohner desselben das Universum; von ihren Vätern hatten sie es geerbt und von ihnen zugleich die grausame Sitte geerbt, was ihnen ihr Land, was sie dem Lande entreißen oder darin beeinträchtigen will, auf die grausamste Weise zu vernichten. Feind und Fremder ist ihnen also eins; sie sind wie die Muscipula, die, in ihren Boden gewurzelt, jedes Insekt ergreift, das sich ihr naht; das Recht, ungebetene oder beleidigende Gäste zu verzehren, ist die Akzise ihres Landes, ein so zyklopisches Regal als irgend eines in Europa.

Endlich erinnere ich noch an jene freudigen Szenen, wenn ein also entfremdeter Sohn der Natur etwa wieder die Küste seines Vaterlandes erblickte und dem Schoß seiner Mutter Erde wiedergeschenkt wurde. Als der foleiische edle Priester Job-Ben-Salomon115) wieder nach Afrika kam, empfing ihn jeder Fuli mit brüderlicher Inbrunst, »ihn, den zweiten Menschen ihres Landes, der je aus der Sklaverei zurückgekehrt wäre« Und wie sehnte sich dieser dahin! Wie wenig füllten alle Freundschaften und Ehrenbezeugungen Englands, die er als ein aufgeklärter, wohldenkender Mann dankbar erkannte, sein Herz aus! Er war nicht eher ruhig, als bis er des Schiffes gewiß war, das ihn zurückführen sollte. Und diese Sehnsucht hängt nicht am Stande noch an den Bequemlichkeiten des Geburtslandes. Der Hottentotte Koree legte seinen metallnen Harnisch und alle seine europäische Vorzüge ab, zurückkehrend zur harten Lebensart der Seinen.116) Fast aus jedem Erdstrich sind Proben der Art vorhanden, und die unfreundlichsten Länder ziehen ihre Eingebornen mit den stärksten Banden. Eben die überwundnen Beschwerlichkeiten, zu denen Körper und Seele von Jugend auf gebildet worden, sind's, die den Eingebornen die klimatische Vaterlandsliebe einflößen, von welcher der Bewohner einer völkerbedrängten fruchtbaren Ebene schon weniger und der Einwohner einer europäischen Hauptstadt beinahe nichts mehr empfindet. -

Doch es ist Zeit, das Wort Klima näher zu untersuchen; und da einige in der Philosophie der Menschengeschichte so viel darauf gebaut, andere hingegen seinen Einfluß beinah ganz bestritten haben, so wollen auch wir nur Probleme geben.

 


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