Stellung der Kunst im Verhältnis zur endlichen Wirklichkeit und zur Religion und Philosophie

 

Wie nun aber die Kunst in der Natur und den endlichen Gebieten des Lebens ihr Vor hat, ebenso hat sie auch ein Nach, d. h. einen Kreis, der wiederum ihre Auffassungs- und Darstellungsweise des Absoluten überschreitet. Denn die Kunst hat noch in sich selbst eine Schranke und geht deshalb in höhere Formen des Bewußtseins über. Diese Beschränkung bestimmt denn auch die Stellung, welche wir jetzt in unserem heutigen Leben der Kunst anzuweisen gewohnt sind. Uns gilt die Kunst nicht mehr als die höchste Weise, in welcher die Wahrheit sich Existenz verschafft. Im ganzen hat sich der Gedanke früh schon gegen die Kunst als versinnlichende Vorstellung des Göttlichen gerichtet, bei den Juden und Mohammedanern z. B., ja selbst bei den Griechen, wie schon Platon sich stark genug gegen die Götter des Homer und Hesiod opponierte. Bei fortgehender Bildung tritt überhaupt bei jedem Volke eine Zeit ein, in welcher die Kunst über sich selbst hinausweist. So haben z. B. die historischen Elemente des Christentums, Christi Erscheinen, sein Leben und Sterben, der Kunst als Malerei vornehmlich mannigfaltige Gelegenheit sich auszubilden gegeben, und die Kirche selbst hat die Kunst großgezogen oder gewähren lassen; als aber der Trieb des Wissens und Forschens und das Bedürfnis innerer Geistigkeit die Reformation hervortrieben, ward auch die religiöse Vorstellung von dem sinnlichen Elemente abgerufen und auf die Innerlichkeit des Gemüts und Denkens zurückgeführt. In dieser Weise besteht das Nach der Kunst darin, daß dem Geist das Bedürfnis einwohnt, sich nur in seinem eigenen Innern als der wahren Form für die Wahrheit zu befriedigen. Die Kunst in ihren Anfängen läßt noch Mysteriöses, ein geheimnisvolles Ahnen und eine Sehnsucht übrig, weil ihre Gebilde noch ihren vollen Gehalt nicht vollendet für die bildliche Anschauung herausgestellt haben. Ist aber der vollkommene Inhalt vollkommen in Kunstgestalten hervorgetreten, so wendet sich der weiterblickende Geist von dieser Objektivität in sein Inneres zurück und stößt sie von sich fort. Solch eine Zeit ist die unsrige. Man kann wohl hoffen, daß die Kunst immer mehr steigen und sich vollenden werde, aber ihre Form hat aufgehört, das höchste Bedürfnis des Geistes zu sein. Mögen wir die griechischen Götterbilder noch so vortrefflich finden und Gottvater, Christus, Maria noch so würdig und vollendet dargestellt sehen - es hilft nichts, unser Knie beugen wir doch nicht mehr.

 2. Das nächste Gebiet nun, welches das Reich der Kunst überragt, ist die Religion. Die Religion hat die Vorstellung zur Form ihres Bewußtseins, indem das Absolute aus der Gegenständlichkeit der Kunst in die Innerlichkeit des Subjekts hineinverlegt und nun für die Vorstellung auf subjektive Weise gegeben ist, so daß Herz und Gemüt, überhaupt die innere Subjektivität, ein Hauptmoment werden. Diesen Fortschritt von der Kunst zur Religion kann man so bezeichnen, daß man sagt, die Kunst sei für das religiöse Bewußtsein nur die eine Seite. Wenn nämlich das Kunstwerk die Wahrheit, den Geist als Objekt in sinnlicher Weise hinstellt und diese Form des Absoluten als die gemäße ergreift, so bringt die Religion die Andacht des zu dem absoluten Gegenstande sich verhaltenden Inneren hinzu. Denn der Kunst als solcher gehört die Andacht nicht an. Sie kommt erst dadurch hervor, daß nun das Subjekt eben dasjenige, was die Kunst als äußere Sinnlichkeit objektiv macht, in das Gemüt eindringen läßt und sich so damit identifiziert, daß diese innere Gegenwart in Vorstellung und Innigkeit der Empfindung das wesentliche Element für das Dasein des Absoluten wird. Die Andacht ist dieser Kultus der Gemeinde in seiner reinsten, innerlichsten, subjektivsten Form; ein Kultus, in welchem die Objektivität gleichsam verzehrt und verdaut und deren Inhalt nun ohne diese Objektivität zum Eigentum des Herzens und Gemüts geworden ist.

3. Die dritte Form endlich des absoluten Geistes ist die Philosophie. Denn die Religion, in welcher Gott zunächst dem Bewußtsein ein äußerer Gegenstand ist, indem erst gelehrt werden muß, was Gott sei und wie er sich geoffenbart habe und offenbare, versiert sodann zwar im Elemente des Inneren, treibt und erfüllt die Gemeinde; aber die Innerlichkeit der Andacht des Gemüts und der Vorstellung ist nicht die höchste Form der Innerlichkeit. Als diese reinste Form des Wissens ist das freie Denken anzuerkennen, in welchem die Wissenschaft sich den gleichen Inhalt zum Bewußtsein bringt und dadurch zu jenem geistigen Kultus wird, der sich durch systematisches Denken dasjenige aneignet und das begreift, was sonst nur Inhalt subjektiver Empfindung oder Vorstellung ist. In solcher Weise sind in der Philosophie die beiden Seiten der Kunst und Religion vereinigt: die Objektivität der Kunst, welche hier zwar die äußere Sinnlichkeit verloren, aber deshalb mit der höchsten Form des Objektiven, mit der Form des Gedankens vertauscht hat, und die Subjektivität der Religion, welche zur Subjektivität des Denkens gereinigt ist. Denn das Denken einerseits ist die innerste, eigenste Subjektivität, und der wahre Gedanke, die Idee, [ist] zugleich die sachlichste und objektivste Allgemeinheit, welche erst im Denken sich in der Form ihrer selbst erfassen kann.

Mit dieser Andeutung des Unterschiedes von Kunst, Religion und Wissenschaft müssen wir uns hier begnügen.

Die sinnliche Weise des Bewußtseins ist die frühere für den Menschen, und so waren denn auch die früheren Stufen der Religion eine Religion der Kunst und ihrer sinnlichen Darstellung. Erst in der Religion des Geistes ist Gott als Geist nun auch auf höhere, dem Gedanken entsprechendere Weise gewußt, womit sich zugleich hervorgetan, daß die Manifestation der Wahrheit in sinnlicher Form dem Geiste nicht wahrhaft angemessen sei.

Nachdem wir jetzt die Stellung kennen, welche die Kunst im Gebiete des Geistes und welche die Philosophie der Kunst unter den besonderen philosophischen Disziplinen einnimmt, haben wir in diesem allgemeinen Teil zuerst die allgemeine Idee des Kunstschönen zu betrachten.

Um jedoch zur Idee des Kunstschönen ihrer Totalität nach zu gelangen, müssen wir selbst wieder drei Stufen durchlaufen:

Die erste nämlich beschäftigt sich mit dem Begriff des Schönen überhaupt;

die zweite mit dem Naturschönen, dessen Mängel die Notwendigkeit des Ideals als des Kunstschönen dartun werden;

die dritte Stufe hat das Ideal in seiner Verwirklichung als die Kunstdarstellung desselben im Kunstwerke zum Gegenstande der Betrachtung.

 


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