Ligny, 16. Juni


Napoleon stand bei Fleurus mit vier Korps: Grouchy, Gérard, Vandamme und den Garden, Blücher eine Meile weiter nördlich, hart links an der von Fleurus auf die Chaussee Brüssel-Namur führenden Straße. Er hatte nur drei Korps zur Hand; das vierte Korps (Bülow) war noch zurück. Im Vertrauen auf die Unterstützung Wellingtons – die später, nach Lage der Sache, ausbleiben mußte – nahm er die Schlacht an. Diese hat man sich einigermaßen ähnlich vorzustellen wie die Schlacht bei Vionville: drei an einer Chaussee liegende stark besetzte Dörfer, gegen die sich von Süden her drei Angriffskolonnen richten. Was am 16. August 1870 die Dörfer Mars la Tour, Vionville und Rezonville waren, das waren am 16. Juni 1815 die Dörfer St. Amand, Ligny und Sombreffe. Gegen die rechten Flügeldörfer geschah an beiden Tagen nichts Erhebliches; wie sich der eine Tag bei Mars la Tour und Vionville entschied, so der andere bei St. Amand und Ligny.

St. Amand, Ligny, Sombreffe – so folgten die Dörfer einander von West nach Ost. Da wir mit Front gegen Süden standen, von wo Napoleon angriff, so war St. Amand unser rechter, Sombreffe unser linker Flügel; Ligny Zentrum.

St. Amand war durch das Zietensche, Ligny durch das zweite, Sombreffe durch das Thielemannsche Korps besetzt.

Um zwei Uhr ging Napoleon vor. Vandamme, französischer linker Flügel, gegen St. Amand, Gérard, Zentrum, gegen Ligny, Grouchy, französischer rechter Flügel, gegen Sombreffe. Nach mehrstündigem Hin- und Herschwanken entschied sich der Kampf dadurch, daß Napoleon, die Garden zur Unterstützung Gérards vorziehend, mit diesen unser Zentrum bei Ligny durchbrach. Blücher, sich an die Spitze einiger Kavallerieregimenter setzend, suchte die Schlacht wieder herzustellen. Aber vergeblich. Geworfen, entging er nur wie durch ein Wunder der Gefangennahme.

Soviel über den Gang der Schlacht überhaupt.

Unser Regiment stand am diesseitigen rechten Flügel (Zietensches Korps) teils bei St. Amand, teils tausend Schritt weiter nördlich bei dem Dorfe St. Amand la Haye. Hier nahm es an den erbitterten Kämpfen dieses Nachmittags teil. Wir geben nur einige Details.

»Um einundeinhalb Uhr durchschritt der greise Feldmarschall das Biwak der 1. Brigade: 12. und 24. Infanterieregiment und ermunterte die Soldaten mit ein paar kräftigen Worten: ›Seht dort bei Fleurus, da zieht sich's zusammen. Nun gilt es, Kinder.‹

Um dieselbe Stunde erhielt unser Füsilierbataillon, Major von Blücher, Order, in St. Amand einzurücken. Bis dahin hatte das Bataillon in einem Garten in Front des Dorfes gelegen. In Gemäßheit dieser Order war man eben damit beschäftigt, die südwestliche Lisiere von St. Amand mit Tirailleurs zu besetzen, als der Gegenbefehl eintraf, statt in das Dorf, in die Reserve zu rücken. Das Bataillon verließ St. Amand und marschierte bis St. Amand la Haye, wo es östlich neben dem Dorfe Stellung nahm. Hier befand sich ein Backofen, von dessen Höhe aus, über St. Amand hinweg nach Fleurus zu, unsere Offiziere die Einleitungen zum Gefecht, wie sie auf französischer Seite stattfanden, deutlich verfolgen konnten.

Inzwischen sahen unsere auf einem Höhenzuge unmittelbar nördlich von St. Amand stehenden Musketierbataillone ebenfalls über dies Dorf hinweg und nahmen gleicherweise das Vorrücken der Vandammeschen Kolonnen wahr, die sich von Fleurus aus gegen St. Amand dirigierten. Dieses war nach Abzug unseres Füsilierbataillons durch das 29. Regiment besetzt worden. Vandamme griff mit Übermacht an, bemächtigte sich des Dorfes und warf die Neunundzwanziger hinaus. Als er indessen von der nordöstlichen Lisiere her in Kolonnen debouchieren wollte, ging ihm unsere 1. Brigade, rechts das 12., links das 24. Regiment, entgegen und drang mit einer glücklichen Attacke in das Dorf ein. Kaum war dieser Erfolg errungen, als frische feindliche Streitkräfte St. Amand wieder zu nehmen trachteten. Dies versagte jedoch. Unsere Musketiere gewannen sogar Terrain, nachdem sie dem Feinde, der sich mit der größten Erbitterung schlug, Gehöft nach Gehöft und Hecke nach Hecke hatten abringen müssen.

Aber der Feind führte jetzt abermals neue Bataillone gegen St. Amand vor. Unser Regiment mußte die südwestliche Lisiere wieder aufgeben, da es an Patronen zu mangeln begann, und das Gefecht im Dorfe selbst erneuerte sich nunmehr. Endlich traf unsererseits die 2. Brigade Pirch zur Ablösung ein. Schwierig war es, die in lauter Trupps zerstreuten Mannschaften aus dem wütenden Kampfe herauszuziehen. Endlich gelang es. Laurens bestimmte als Sammelplatz einen tief gelegenen Punkt zwischen Ligny und St. Amand la Haye. Leider sicherte diese Vertiefung nicht ausreichend gegen das Einschlagen von Geschossen, und beide Musketierbataillone erlitten hier noch erhebliche Verluste. Dem Leutnant von Wulffen riß eine Granate den Kopf weg, eine andere rasierte fünf Mann vom rechten Flügel der 5. Kompanie, eine dritte traf Laurens Pferd und schleuderte diesen aus dem Sattel.

Was nun noch folgte, war, soweit unser Regiment in Betracht kommt, ein Hin- und Hermarschieren. Es ging nach Sombreffe und wieder zurück.

Auf diesem Rückmarsch indes war es unsern Vierundzwanzigern noch beschieden, an dem in gewissem Sinne wichtigsten Moment des Tages teilzunehmen. Blücher selbst, um Ligny wiederzugewinnen, führte zum Schluß des Tages, wie schon erwähnt, ein paar Kavallerieattacken aus. Aber sie mißglückten, Blücher stürzte und lag unterm Pferde. Die französischen Reiterungewitter donnerten über das Feld hin. In diesem Augenblicke trafen wie durch glücklichen Zufall unsere Musketierbataillone an dem Wasserlauf ein, der hart an Mont Potriaux vorüberfließt. Laurens ließ Karree schließen und kommandierte: »Zweites Glied, Feuer!« Dies wechselte darauf mit dem dritten Glied die Gewehre und eine zweite Salve folgte. Beide hatten ihre Wirkung, die Reitermasse stob seitwärts und wurde von dem Punkt abgedrängt, wo Blücher unterm Pferde lag. Vielleicht wandten diese Salven eine Gefangennahme ab, die, nach allgemeiner Annahme, verhängnisvoll gewesen wäre.

Der Rückzug – Gneisenaus unsterbliches Verdienst – ging auf Wavre, das heißt den Engländern entgegen. Der Gesamtverlust, den unser Regiment an diesem Tage erlitt, belief sich auf 14 Offiziere und 340 Mann, die zur Hälfte auf das 2. Bataillon entfielen.




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