28. Bündnisse


Bündnisse, wie sie andere Völker unter einander schließen, brechen und wieder erneuern, gehen sie mit keiner anderen Nation ein. Wozu dient ein solches Bündnis? sagen sie. Als ob die Natur nicht einen Menschen dem andern schon genügend durch freundliche Bande verbunden hätte? Und man glaube, dass, wenn ein Mensch diese verachtet, er die Worte eines Vertrages beachten werde? Zu dieser Meinung sind sie hauptsächlich deswegen gekommen, weil in den Länderstrichen jenes Weltteils Bündnisse und Verträge der Fürsten mit sehr geringer Treue gehalten zu werden pflegen.

Denn in Europa, insbesondere in jenen Teilen desselben, wo christlicher Glaube und Religion herrschen, ist die Majestät der Bündnisverträge überall heilig und unverletzlich, teils wegen des Gerechtigkeitssinnes und braven Charakters der Fürsten, teils aus Ehrerbietung gegen und aus Furcht vor dem päpstlichen Stuhl, der, wie seine Regenten selbst nichts begehen, was der Religion zuwiderläuft, so auch den übrigen Fürsten gebietet, dass sie ihre Versprechungen getreulich halten, und die sich Weigernden durch oberhirtliche Ermahnungen und Strenge dazu zwingt.

Mit Recht wahrlich halten sie es für eine höchst schändliche Sache, wenn den Bündnissen derjenigen nicht Treu und Glauben beizumessen ist, die mit einem speziellen Namen »die Gläubigen« genannt werden.

Aber in jenem neuentdeckten Weltteile, der weniger noch durch den Äquator von uns geschieden ist, als durch die Lebensverhältnisse, Sitten und Gebräuche, ist auf Bündnisverträge nicht zu bauen, denn mit je mehr feierlichen Ceremonien einer verknüpft ist, desto schneller wird er gebrochen, indem leicht in seinem Wortlaute eine hinterlistige Deutung gefunden werden mag, den sie absichtlich so verschmitzt gestalten, dass sie nie fest gefasst werden können, um nicht immer ein Hinterpförtchen zu finden, durch das sie zu entschlüpfen imstande sind, und dem Bündnis zusamt der geschwornen Treue sich zu entziehen vermögen. Wenn sie solche Verschlagenheit, solchen Lug und Trug in einem Privatvertrage entdeckten, so würden sie über ein solches Gebahren als über ein verruchtes, das den Galgen verdiene, mit hochgezogenen Brauen ein Zetergeschrei erheben, ja, das würden sie, ebendieselben, die sich rühmen, die Urheber solcher den Fürsten gegebenen Ratschläge zu sein.

Auf diese Weise erhält es den Anschein, als ob die Gerechtigkeit eine niedrige Tugend des gemeinen Völkes sei, die tief unter der königlichen Erhabenheit stehe, oder, dass es wenigstens eine doppelte Gerechtigkeit gebe, die eine, die dem gemeinen Volke zukomme, bescheiden zu Fuße gehend, ja demütig am Boden hinkriechend, die keine Zäune und Hecken überspringen kann, von allen Seiten geknebelt und eingeschränkt, die andere als Tugend der regierenden Fürsten, viel erhabener als jene volkstümliche, mit einem bei weitem freieren Spielraum, so dass ihr alles zu tun erlaubt ist, was ihr beliebt.

Dieses, wie gesagt treulose Gebahren der Fürsten, die dort ihre Verträge so schlecht halten, ist, glaube ich, die Ursache davon, dass die Utopier überhaupt keine eingehen, indem sie ihre Ansicht vielleicht ändern würden, wenn sie in unserem Erdteile lebten. Und wenn es ihnen auch dünkte, dass die Bündnisse noch so treu gehalten würden, so halten sie es doch für eine üble Gewohnheit, überhaupt welche einzugehen, die nur zur Folge hat, dass die Menschen sich gegenseitig als natürliche Gegner zur Feindschaft geboren betrachten (als ob ein Volk mit einem anderen Volke, von dem es nur der schmale Raum eines Hügels oder Flusses trennt, durch kein geselliges Band mehr verknüpft wäre) und mit gegenseitiger Vernichtung gegen einander wüten zu müssen glauben, wofern sie nicht Bündnisse schlössen, die sie daran verhindern sollen; doch selbst, wenn sie ein Bündnis mit einander geschlossen haben, erwächst nicht einmal eine eigentliche Freundschaft daraus, sondern es bleibt immer noch Gelegenheit zu Raub und Erbeutung, insofern durch ihre Unklugheit bei Abfassung des Bündnisses keine vorsichtige Klausel in die Verträge aufgenommen worden ist, welche eine solche Möglichkeit von vornherein ausschließt. Aber sie sind der entgegengesetzten Meinung, nämlich, dass niemand als Feind zu erklären sei, von dem uns kein feindliches Unrecht widerfahren ist. Die Bande der natürlichen Gemeinschaft ersetzten jeden Bündnisvertrag und die Menschen seien sicherer und wirksamer durch den Zug gegenseitigen Wohlwollens, als durch Verträge, mehr durch das Gemüt, als durch leere Worte miteinander verbunden.


 © textlog.de 2004 • 19.04.2024 00:19:20 •
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