12. Handel und Zahlungsausgleich


Bei solcher Lebensführung muß Überfluss in allen Dingen im Volke vorhanden sein, und durch die gleichmäßige Verteilung kommt es, dass es keine Armen und keine Bettler gibt.

Sobald im Senat von Amaurotum (wohin, wie schon bemerkt, jährlich drei Abgeordnete aus jeder Stadt entsendet werden) festgestellt ist, was etwa an einem Orte in Überfluss vorhanden ist und woran es andernorts mangelt, so wird der Mangel alsbald ausgeglichen durch die Überfülle des ersten Orts und das geschieht ohne Entgelt, indem die in dieser Weise Beschenkten nichts dafür zu entrichten brauchen. Was eine Stadt der andern schenkweise überläßt, stellt sie dieser nicht in Rechnung: andererseits erhält sie selbst wieder von einer anderen Stadt geliefert, was ihr fehlt, wofür sie ebenfalls keine Entschädigung leistet. So bildet die ganze Insel gleichsam eine Familie.

Wenn sie sich selbst genügend versehen haben (was sie aber nicht für geschehen erachten, wenn sie nicht für zwei Jahre, wegen des ungewissen Ausfalles der Ernte des nächsten Jahres, vorgesorgt haben) exportieren sie den Überschuß in großen Mengen, als da ist Getreide, Honig, Wolle, Flachs, Holz, Färberwaid und Purpurschnecken, Felle, Wachs, Talg, Leder und auch Tiere, in die Fremde, von welchen Dingen allen sie den siebenten Teil den Armen jener Gegenden schenken, das Übrige zu mäßigem Preise verkaufen.

Infolge dieses Handels führen sie auch jene Waren bei sich ein, deren sie in der Heimat entbehren (obwohl es derartiges außer Eisen fast nicht gibt), insbesondere eine große Menge Gold und Silber.

Da sie dies schon lange so halten, haben sie an solchen Sachen einen so bedeutenden Überfluss aufgehäuft, dass man es kaum glauben möchte. Darum ist es ihnen ziemlich gleichgültig, ob sie gegen baar Geld verkaufen, oder auf Kredit, daher sie auch das Meiste auf Schuldscheine ausstehen haben; dabei gelten solche von Privatleuten nichts: es müssen rechtsgültig ausgestellte Dokumente sein, mittels derer eine ganze Stadt sich offiziell verbürgt.

Sobald der Zahlungstag gekommen ist, fordert die Stadt die Schulden von den Privatschuldnern ein und behält deren Betrag im Ärar und hat von diesem Gelde den Nutzgenuß solange, bis es die Utopier zurückfordern. Sie tun dies aber mit dem größten Teile desselben nicht. Denn einem Anderen das zu nehmen, was für sie keinen Wert hat, diesem aber zum Nutzen gereicht, würden sie nicht für billig halten.

Übrigens, wenn es gerade einmal erforderlich ist und sie jenes Geld teilweise einem anderen Volke leihen wollen, oder im Kriegsfalle, fordern sie es doch voll zurück; zu diesem einen Zweck behalten sie ihren ganzen Schatz zu Hause zurück, damit er ihnen in äußersten oder plötzlichen Gefahren zum Schutze diene; hauptsächlich um fremde Soldaten (welche sie lieber der Gefahr preisgeben als die eigenen Bürger) durch hohen Sold zu werben, indem sie wohl wissen, dass für hohe Geldsummen auch die Feinde gar häufig käuflich sind, sei's nun durch Verrat, sei's, dass sie sich untereinander selbst wieder feindlich entzweien.

Aus diesem Grunde bewahren sie stets einen unermeßlichen Schatz auf, doch nicht eigentlich als solchen, sondern sie halten es so damit, dass ich mich wahrhaftig schäme, es zu erzählen, indem ich befürchten muß, dass meine Rede keinen Glauben finden werde, was ich um so ernstlicher besorge, als ich nur zu wohl weiß, dass, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, ich nur überaus schwer hätte bewogen werden können, es einem andern zu glauben, der es mir erzählt hätte.

Denn es ist durchaus natürlich und notwendig, dass, je fremder und unerhörter etwas den Sitten und Gebräuchen der Zuhörer ist, es auch um so weniger Glauben bei ihnen findet, obwohl ein vernünftiger Beurteiler sich eigentlich nicht eben so sehr darüber wundern dürfte, da ja auch ihre sämmtlichen übrigen Einrichtungen so bedeutend von den unsrigen abweichen — wenn daher auch der Gebrauch, den sie von Gold und Silber machen, mehr ein ihren als unsern Sitten entsprechender ist.


 © textlog.de 2004 • 20.04.2024 04:19:29 •
Seite zuletzt aktualisiert: 08.11.2006 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright