32. Kritik der bestehenden Staaten


Da möchte ich doch sehen, ob sich einer erdreistet, mit diesem hohen Billigkeitssinne die Gerechtigkeit anderer Völker zu vergleichen, und ich will gleich des Todes sein, wenn bei ihnen überhaupt eine Spur von Gerechtigkeit oder Billigkeit zu finden ist.

Denn was ist das für eine Gerechtigkeit, dass irgend ein Adeliger oder Goldschmied oder ein Wucherer oder ein beliebiger andere r, die rein nichts tun und leisten, oder, wenn sie etwas tun, nur Derartiges, was für das Gemeinwohl nicht erforderlich ist, ein glänzendes, üppiges Leben führt, das ihm der Müssiggang oder ein ganz überflüssiges Geschäft ermöglicht, während hingegen ein Tagelöhner, ein Fuhrmann, ein Schmied, ein Landmann, die so viel und so hart und emsig arbeiten müssen, wie es kaum die Zugtiere auszuhalten imstande sind, deren Arbeiten überwies so unentbehrlich sind, dass kein Staatswesen auch nur ein Jahr ohne dieselben bestehen könnte, einen so erbärmlichen Lebensunterhalt erwerben, ein so elendes Leben führen, dass die Lebensbedingungen der Zug- und Lasttiere als bei weitem günstiger erscheinen könnten, denn sie werden nicht so zu endloser Arbeit angehalten, und ihre Kost ist kaum eine schlechtere, aber ihr Leben ist dadurch angenehmer dass sie für die Zukunft nicht zu fürchten brauchen.

Die genannten Personen hingegen hetzt unfruchtbare, öde Arbeit in der Gegenwart ab, und der Gedanke an ein hilfeentblößtes Alter martert sie zu Tode, denn ihr täglicher Lohn ist so gering, dass er unmöglich für den Tag ausreichen kann, geschweige denn, dass auch nur das Geringste davon erübrigte, was zur Verwendung im Alter zurückgelegt werden könnte.

Ist das nicht ein ungerechter und undankbarer Staat, der den Adeligen, wie sie heißen, und den Goldschmieden, und den übrigen Leuten ähnlichen Schlages, oder Müßiggängern oder bloßen schmarotzenden Fuchsschwänzern, oder denen, die nur für Herstellung nichtiger Vergnügungen tätig sind, das beste Wohlleben verschafft, den Bauern, Köhlern, Tagelöhnern, Fuhrleuten und Schmieden dagegen, ohne welche ein Staat überhaupt nicht existieren konnte, gar nichts Gutes zuteil wird?

Aber nachdem ein solcher Staat die Arbeitskräfte im blühendsten Lebensalter mißbraucht hat, belohnt er die von der Last der Jahre und Krankheit Gebeugten, von allen Hilfsmitteln Entblößten, so vieler durchwachter Nächte, so vieler und so großer Dienste uneingedenk in schnödester Undankbarkeit mit einem jammervollen Tode, dem man die Leute überläßt.

Und an diesem spärlich zugemessenen Lohne der Armen knappsen die Reichen täglich noch ein klein wenig ab, nicht nur durch private List und Trug der Einzelnen, sondern auch durch öffentliche Gesetze, so dass, was früher Unrecht schien, den um den Staat so wohlverdienten Arbeitern mit Undank zu lohnen, sie jetzt aus dem Wege der Gesetzgebung sogar zu einem rechtlichen Zustande gemacht haben.

Wenn ich daher alle die Staaten, welche heutzutage in Blüte stehen, durchnehme und betrachte, so sehe ich, so wahr mir Gott helfe, in ihnen nichts Anderes, als eine Art Verschwörung der Reichen, die unter dem Deckmantel und Vorwande des Staatsinteresses lediglich für ihren eigenen Vorteil sorgen, und sie denken alle möglichen Arten und Weisen und Kniffe aus, wie sie das, was sie mit üblen Künsten zusammen gerafft haben, erstens ohne Furcht es zu verlieren, behalten, sodann wie sie die Arbeit aller Armen um so wenig Entgelt als möglich sich verschaffen mögen, um sie auszunutzen.

Diese Anschläge, welche die Reichen im Namen der Gesamtheit, also auch der Armen aufgestellt und durchzuführen beschlossen haben, wurden dann zu Gesetzen erhoben. Aber wenn diese grundschlechten Menschen alle Besitztümer, die für Alle hingereicht hätten, unter sich geteilt haben — wie weit sind sie dann noch von dem Glückseligkeitszustande des utopischen Staatswesens entfernt!

Aus diesem ist zugleich mit dem gebrauche des Geldes aller Geiz und alle Gier verbannt, eine Last — und welcher — von Verdrießlichkeiten abgeschnitten und welche üppige Saat aller Laster mit der Wurzel ausgereutet! Denn, wer weiß nicht, dass Betrug, Diebstahl, Raub, Aufruhr, Zank und Streit, Aufstände, Mord, Verrat, Giftmischerei, die durch tägliche Strafen mehr geahndet als verhindert werden, mit der Beseitigung des Geldes verschwinden und dazu Furcht, Angst, Sorgen, Plagen, Nachtwachen, die alle mit dem Gelbe zugleich aus der Welt gehen; ja, die Armut selbst die man doch allein für des Geldes bedürftig hält, würde von Stund' an, wo das Geld hinweggenommen wäre, ebenfalls abnehmen.

Am dir das ganz klar zu machen, so stelle dir einmal ein unfruchtbares Jahr, ein Jahr des Mißwachses vor, in dem eine Hungersnot kaufende von Menschen dahingerafft hätte, — da behaupte ich nun geradezu, dass zu Ende dieser Hungersnot so viel Getreide in den Kornspeichern der Reichen, wenn sie ausgeleert würden, gefunden werden könne, dass es, unter die Notleidenden verteilt, welche Auszehrung und schleichender Fieber weggerafft haben, überhaupt kein Gefühl von der Ungunst des Himmels und des Bodens hätte aufkommen lassen; so leicht wäre der Lebensunterhalt zu beschaffen, wenn nicht das gesegnete Geld, welches insbesondere dazu erfunden ist, dass es uns ja eben die Pforten zu den Hallen des Lebensgenusses öffne, dieselben umgekehrt gerade verschlösse.

Das fühlen, wie ich nicht zweifle, auch die Reichen, und sie wissen auch sehr wohl wie viel besser die Verhältnisse wären, in denen man keine notwendige Sache entbehrte, als dass man Überfluss an vielen überflüssigen Dingen hat, Verhältnisse, in denen man lieber zahlreichen Übeln entrückt wäre, statt von Bergen von Reichtürmern gleichsam belagert zu sein.

Ich lasse mir auch nicht beifallen, einen Zweifel zu hegen, dass entweder die vernünftige Erwägung des eigenen Vorteils, oder die Autorität unseres Heilands Christus (der bei seiner holten Weisheit wohl wissen mußte, was das Beste ist, und bei seiner unendlichen Güte das anraten, was er als das Beste erkannte) unseren ganzen Weltteil schon längst zu der Gesetzgebung dieses (des utopischen) Staatswesens geführt haben würde wenn nicht ein gräuliches Untier, Ursprung und Zeugerin alles Fluches und Verderbens, die Hoffart, aus aller Macht widerstrebte, die das Wohlsein nicht nach dem eigenen Vorteil, sondern nach dem Schaden der Andern bemisst.

Sie würde sogar auf den Rang einer Göttin verzichten, wenn es keine Armen gäbe, über die sie herrschen, und die sie hochfahrend behandeln könnte. Durch Kontrast mit dem Elend strahlt erst recht das Glück der Reichen, das seine Schätze auskramt und die entbehrende Not peinigt und aufreizt.

Diese höllische Schlange kriecht und wühlt in den Herzen der Menschen und hält sie davon ab, einen besseren Lebensweg einzuschlagen, wie der Fisch, Schiffshalter genannt, das Schiff zurückhält. Sie nistet so tief in der Menschen Brust, dass sie nicht leicht herausgerissen werden kann.

Ich freue mich, dass diese Form des Staatswesens, die ich allen Menschen wünschen würde, wenigstens den Utopiern zuteil geworden ist, die solche Einrichtungen für ihr Leben getroffen haben, mit denen sie das glücklichste Fundament zu ihrem Staate gelegt haben, aber nicht nur das, sondern, so viel menschliche Voraussicht zu weissagen imstande ist, zu einem Staate, der von ewiger Dauer sein wird.

Denn, nachdem die Wurzeln des Ehrgeizes und der Parteiungen mit den übrigen Lastern im Innern ausgerottet sind, droht keine Gefahr mehr, dass ein Bürgerzwist ausbreche, welcher den ausgezeichnet fundirten Wohlstand vieler Gemeinden und Städte dem Ruin entgegenführen könne.

Und da die innere Eintracht nicht zu zerstören ist, und die Staatlichen Einrichtungen das Heil Utopiens verbürgen, so ist der Neid aller benachbarten Fürsten (der es Schon gar oft versucht hat, dessen Versuche aber stets zurückgeschlagen worden sind) ohnmächtig, dieses Reich zu erschüttern oder in Aufruhr zu versetzen.


 © textlog.de 2004 • 20.04.2024 12:45:34 •
Seite zuletzt aktualisiert: 08.11.2006 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright