Der Utopia erstes Buch.
1. Die Gesandtschaft nach Flandern
Als der unbesiegbare König Heinrich von England, seines Namens der achte, geschmückt mit allen Tugenden eines ausgezeichneten Fürsten, vor Kurzem einen nicht geringfügigen Streit mit Karl, dem durchlauchtigsten Fürsten von Kastilien, hatte, ordnete er, diesen beizulegen, mich als Sprecher nach Flandern ab und gab mir den unvergesslichen Cuthbert Tunstall als Begleiter mit, den er unter dem größten allgemeinen Beifall zum Großarchivar ernannt hatte, zu dessen Lobe von mir nichts gesagt werden soll, nicht weil ich befürchtete, dass das Zeugnis meiner Freundschaft wenig Glauben verdiente, sondern weil sein Charakter und seine Gelehrsamkeit über mein Lob erhaben sind und seine Berühmtheit so groß ist, dass sie erhöhen wollen, die Sonne mit der Laterne beleuchten hieße, wie das Sprichwort lautet.
In Brügge trafen wir, der Verabredung gemäß, die Abgesandten des Fürsten, sämmtlich ausgezeichnete Männer, darunter der Präfekt von Brügge, als Haupt derselben, als ihr Mund und ihre Seele aber der Propst Georg Temsicius von Cassileta, der neben seiner natürlichen Beredsamkeit zugleich ein durchgebildeter Redner war, zugleich ein hochbegabter, wohlbeschlagener Staatsrechtsgelehrter. Nach zweimaliger Zusammenkunft nahmen jene, da wir in einigen Punkten nicht übereinstimmten, Abschied von uns, und reisten nach Brüssel, das Orakel des Fürsten einzuholen.
Ich begab mich unterdessen nach Antwerpen. Während ich mich dort aufhielt, sah ich oft Besuch, doch niemand lieber als Petrus Ägidius, einen geborenen Antwerpener von großer Biederkeit, in ehrenvoller Stellung, der die ehrenvollste verdiente, da es kaum einen gelehrteren und ehrbareren jungen Mann gab, herzensgut und belesen sondergleichen. Von ehrlicher Aufrichtigkeit gegen jedermann, hat er ein so liebevolles, treues, hingebendes Gemüt gegen seine Freunde, dass kaum jemand zu finden sein dürfte, der es in erprobter Freundschaft mit ihm aufnähme. Seltene Bescheidenheit eignet ihn, jede heuchlerische Verstellung ist ihm fremd, bei aller Schlichtheit des Wesens ist er sehr klug. Seine Rede ist gewandt und zierlich, seine Scherze sind liebenswürdig harmlos, so dass meine Sehnsucht nach der Heimat und nach dem häuslichen Herde, nach der Gattin und den Kindern gemildert wurde, um die ich bei einer bereits mehr als viermonatlichen Abwesenheit ängstlich besorgt war. Solches besorgte die liebe Gewöhnung des Beisammenseins und das höchst angenehme Gespräch mit ihm.