Widerlegung

Widerlegung. (Beredsamkeit) Man widerlegt einen anderen, wenn man die Falschheit dessen, was er gesagt oder behauptet hat, zeigt. Eigentlich ist jeder Beweis und jede Verteidigung eine Wiederlegung. Wir betrachten aber hier die Sache nicht in diesem allgemeinen Gesichtspunkt, noch ist unsere Absicht hier ausführlich zu zeigen, wie eine förmliche Verteidigungsrede, beschaffen sein müsse. Wir nehmen das Wort in dem eigentlichern Sinn und sprechen von der Widerlegung als einem besonderen Teil einer Rede, der gegen einen besonderen Teil einer anderen Rede gerichtet ist. Diese Bedeutung geben die Lehrer der Redner dem Worte.1 Es wird durchgehends für schwerer gehalten, etwas zu wiederlegen als einen Satz, gerade zu beweisen. Quintilian sagt, es sei eben so viel leichter, einen anzuklagen, denn zu verteidigen als es leichter ist zu verwunden, denn zu heilen. Wir haben bereits anderswo2 angemerkt, dass es sehr leichte sei, die Menschen von etwas zu überreden, wenn sie gänzlich unparteiisch oder uneingenommen sind. Bei der Widerlegung wird immer vorausgesetzt, dass man schon ein Vorurteil gegen sich habe. Dieses muss durch die Wiederlegung völlig vernichtet werden, ehe der Zweck der Wiederlegung kann erreicht werden.

Es ist aber unsere Absicht hier gar nicht, den sophistischen Rednern zu zeigen, wie eine wirkliche Wahrheit könne verdächtig gemacht oder so verdräht werden, dass der Beifall, den andere ihr gegeben, ihr genommen werde. Nichts macht einen Redner bei Verständigen verächtlicher als wenn er offenbaren Wahrheiten falsche Vernunftschlüsse entgegen setzt oder sie durch ein schimmerndes Wortgepräng verdächtig zu machen sucht. Wir setzen voraus, dass bloß der Irrtum widerlegt und das ungegründete Vorurteil soll gehoben werden.

  Cicero setzt drei Arten der Wiederlegung. 1. Entweder, sagt er, verwirft man das Fundament, worauf der zu wiederlegende Satz gegründet ist; 2. oder man zeigt, dass das was daraus geschlossen worden, nicht daraus folge; 3. oder man setzt dem Vorgeben oder dem Satz etwas entgegen, das noch mehr oder doch eben so viel Schein hat. Hernach merkt er an, dass oft der Scherz ungemein viel zur Wiederlegung beitrage.3

 Die beiden ersten Fälle der Wiederlegung haben statt, wenn das, was man wiederlegen will, den wirklichen Schein der Wahrheit oder einen scheinbaren Beweis für sich hat. In diesem Fall ist entweder das Fundament, worauf der vermeinte Beweis sich gründet oder der Schluss, der daraus gezogen wird, unrichtig; folglich muss die Wiederlegung auf eine der zwei ersten Arten geschehen. Ist aber das, was man widerlegen soll, ein bloßes Vorgeben, eine Behauptung, die durch keinen Beweis unterstützt ist; so kann es auch nicht wohl anders als auf die dritte Art wiederlegt werden. So wiederlegt Hektor den Polydamas, der wegen eines bösen Zeichens die Fortsetzung des Streits abratet, durch zwei Worte: Das beste Zeichen für uns ist, dass wir für das Vaterland streiten.4 Zu dieser Art der Wiederlegung sind die Machtsprüche vortreflich;5 die mehr wirken als weitläufige Gegenbeweise. Was Cicero von der guten Wirkung des Scherzes anmerkt, bezieht sich hauptsächlich auf diese Art der Wiederlegung. Denn wenn man eine Meinung lächerlich machen kann, so getraut sich nicht leicht jemand, ihr beizupflichten. Als ein gutes Beispiel hiervon kann die Antwort angeführt werden, die Hannibal dem Gisko gegeben, der eine fürchterliche Beschreibung von dem römischen Heer gemacht hatte. »Das ist freilich merkwürdig, sagte der Heerführer; aber das sonderbareste dabei ist dieses, dass unter so viel tausend Römern keiner Gisko heißt!« Freilich macht der Spott oder Scherz allein keine Wiederlegung und muss auch nirgend gebraucht werden als wo völlig ungegründete zugleich ungereimte Meinungen oder Behauptungen, die schädliche Wirkungen haben könnten, abzuweisen sind.

Bei jeder Wiederlegung hat man sorgfältig zu bedenken, worauf eigentlich die Wahrscheinlichkeit, oder Glaubwürdigkeit dessen, was man wiederlegen will, beruhe. Denn dieses ist der eigentliche Punkt, worauf es bei der Wiederlegung ankommt. Man ist geneigt etwas falsches für wahr oder etwas unwichtiges für wichtig zu halten, entweder; weil scheinbare Gründe dafür vorhanden sind; oder weil die Sache mit unseren Vorurteilen oder Neigungen übereinstimmt; oder endlich, weil man für die Person, die die Sache behauptet, eingenommen ist. Hat man entdeckt, aus welcher dieser drei Quellen die Glaubwürdigkeit entspringt; so weiß man auch wogegen man bei der Wiederlegung zu arbeiten hat.

 

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1 Refutatio dupliciter accipi potest. Nam et pars defensoris tota est posita in resutatione: et quœ dicta sunt ex diverso, debent utrimque dissolvi: et hœc est proprie, cui in causis quartus assignatur locus. Quint. Inst. L. V. c. 13.

2 S. Überredung.

3 Resistendum - aut iis quæ comprobandi ejus causa sumuntur reprehendendis; aut demonstrando id quod cencludere illi velint non effici ex propositis, nec esse consequens; aut afferendum in contrariam partem quod sit aut gravius, aut æque grave. – Vehementer sæpe utilis jocus, et facetiæ. In Orat.

4 Il. XII. vs. 243.

5 S. Machtspruch.


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