Vorwort

 

Aber nur erübrigte noch eins: diesen Papieren einen Titel mitzugeben. Sollte ich sie bloß als »hinterlassene«, als »gefundene«, als »verloren gegangene« Papiere bezeichnen, und bekanntlich gibt's der Varian-ten noch mehr; aber keiner von diesen Titeln sagte mir zu. So habe ich mir denn eine Freiheit, einen Betrug gestattet, von welchem ich suchen werde, Rechenschaft zu geben. Unter der unausgesetzten Beschäftigung mit diesen Papieren ging mir ein Licht auf: man könnte ihnen eine neue Seite abgewinnen, wenn man sie als einem und demselben Menschen angehörig betrachte. Ich weiß recht wohl, was sich alles dagegen einwenden läßt: es sei ungeschichtlich, es sei unwahrscheinlich, ja ungereimt, dass derselbe Mensch beide Hälften verfaßt haben sollte, auch wenn der Leser sich zu dem Wortspiele versucht fühlen sollte, daß, wer A. gesagt, auch B. sagen müsse. Indessen habe ich meinen Gedanken nicht aufgeben mögen. Der Verfasser würde also dann ein Mensch sein, der in seinem eignen Leben beide Richtungen durchgemacht oder doch in beide sich hineingedacht hätte.

A.s Papiere zeigen uns nämlich eine Reihe von Ansätzen und Anläufen zu einer Lebensanschauung, bloß vom ästhetischen Gesichtspunkte aus. Eine in sich zusammenhängende ästhetische Lebensanschauung läßt sich schwerlich vortragen. B.s Papiere enthalten eine durchgeführte ethische Lebensanschauung. - Je länger ich jenem Gedanken nachsann, desto klarer ward es mir, dass er sich wohl dazu eigne, den Titel zu bestimmen. Der Titel, den ich gewählt habe, drückt eben das Gesagte aus. Was der Leser etwa dadurch verliert, kann nicht von Belag sein. Er mag bei der Lektüre immerhin den Titel vergessen. Ist er mit der Lektüre fertig, alsdann kann er vielleicht an den Titel denken. Dieser wird ihn dann erlösen von Fragen, wie sie ihm zuletzt aufsteigen mochten: ist A. wirklich eines Besseren belehrt? hat er bereut? hat B. gesiegt? oder ist das Ende vom Liede etwa gewesen, dass B. zuletzt überging zu A.s Ansichten? In dieser Hinsicht haben nämlich diese Papiere keinen Abschluß. Findet man das nicht in Ordnung, so ist man doch nicht berechtigt zu sagen: Es ist ein Fehler! Man muß es eher ein Unglück nenne. Ich für mein Teil halte es für ein Glück.

Findet man nicht zuweilen Novellen, in denen gewisse Personen sich einander entgegengesetzte Lebensansichten vorgetragen? Das Finale pflegt zu sein, dass eine den andern überzeugt. Während die entwickelte Anschauung für sich selbst sprechen sollte, wird der Leser mit dem geschichtlichen Resultate bereichert, dass der andre sich habe überzeugen lassen. Ich muß es für ein Glück halten, dass diese Papiere in jener Hinsicht keinen Aufschluß geben. Ob A. seine ästhetische Abhandlungen geschrieben hat, nachdem er B.s Briefe empfangen, ob seine Seele, auch nach dieser Zeit, nicht abgelassen hat, sich in wilder Zuchtlosigkeit umherzutummeln, oder ob sie sich hat beruhigen lassen, darüber vermag ich gar keinen Aufschluß zu geben, da die Papiere keinen solchen enthalten. Auch findet sich nicht die leiseste Andeutung, wie's dem B. ergangen, ob er die Kraft besessen, seine höhere Anschauung festzuhalten, oder nicht. Hat man das Buch gelesen, so sind beide, A. sowohl als B., vergessen; nur die verschiedene Anschauungen stehen einander gegenüber und erwarten keine schließliche Entscheidung in der einen oder andern bestimmten Persönlichkeit.

Weiter habe ich nichts zu bemerken; nur fällt mir ein, dass die geehrten Verfasser, wenn sie von meinem Vorhabenden wüßten, vielleicht den Wunsch haben würden, ihre Papiere mit einigen Worten an den Leser zu begleiten. Daher will ich ein paar Worte mit möglichst zurückhaltender Feder hinzufügen. A. würde wohl gegen die Herausgeber seine Papiere nichts einzuwenden haben; dem Leser würde er vermutlich zurufen: »Lies sie, oder lies sie nicht; du wirst beides bereuen.« Was B. sagen würde, möchte schwer anzugeben sein. Vielleicht würde er mir den einen oder andern Vorwurf machen, namentlich wegen der Veröffentlichung von A.s Papieren; er würde mich fühlen lassen, dass er seine Hände in Unschuld waschen könne. Nachdem er dies getan, würde er vielleicht diese Worte an das Buch richten: »So gehe denn in die Welt hinaus; entziehe dich womöglich der Aufmerksamkeit der Kritik; besuche einen einsamen Leser zu guter Stunde; und solltest du auf eine Leserin stoßen, so möchte ich ihr sagen: Meine liebenswürdige Leserin, du wirst in diesem Buche einiges finden, was du vielleicht besser nicht wüßtest, anderes, was zu wissen dir wohl frommen dürfte. So lies denn jenes so, daß, nachdem du's gelesen, du sein könntest wie eine, die es nicht gelesen, das andre aber so, daß, nachdem du's gelesen, du sein könntest wie eine, die das Gelesene nicht wieder vergessen hat.« Ich als Herausgeber will nur den Wunsch hinzufügen, dass der Leser das Buch in einer guten Stunde vornehmen möge, und dass es der liebenswürdigen Leserin gelinge, den wohlgemeinten Rat B.s streng zu befolgen.

 

(Kopenhagen)

Im November 1842.

 

Der Herausgeber.

 


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