Vorwort

 

Ich suchte nun die Papiere aufs beste zu ordnen.

Mit B.s Handschrift war dies leicht geschehen. Ein Brief weist auf den andern zurück. Indem zweiten Briefe begegnet einem ein Citat aus dem ersten; der dritte Brief setzt zwei frühere voraus.

A.s Papiere zu ordnen, war nicht so leicht. Daher habe ich die Ordnung vom Zufalle bestimmen lassen; das will sagen: ich habe sie in Ordnung, in der ich sie vorstand, belassen, natürlich ohne entscheiden zu können, ob diese Ordnung chronologischen Wert, oder doch eine ideelle Bedeutung habe. Die Papierschnitzel lagen lose in dem Verschluß; ihnen mußte ich daher einen Platz anweisen. Und zwar ließ ich sie voranstehen, weil es mir vorkam, sie ließen sich am besten als die vorläufigen, sprühenden Funken dessen ansehen, was in den großen Aufsätzen mehr zusammenhängend entwickelt wird. Ich habe sie Diapsalma überschrieben und als eine Art Motto hinzufügt: ad se ipsum (d. h. zu sich selbst). Dieser Titel und dieses Motto sind gewissermaßen von mir, und doch nicht von mir. Von mir sind sie, sofern sie auf die ganze Sammlung angewandt sind; dagegen gehören sie eigentlich A. selbst: denn auf einem der Zettel stand das Wort: Diapsalma geschrieben und auf zweien die Worte: ad se ipsum. Auch einen kleinen französischen Vers, welcher über einem jener Aphorismen geschrieben stand, habe ich auf der Innenseit des Titelblattes abdrucken lassen, ähnlich wie A. selbst es öfter gemacht hat. Da nun die meisten Aphorismen einen lyrischen Zuschnitt haben, so hielt ich es für ganz angemessen, das Wort Diapsalma1) als Haupttitel zu verwenden. Sollte der Leser die Wahl eine unglückliche nennen, so bin ich der Wahrheit schuldig zu bekennen, dass sie mein Einfall ist, dass aber A. selbst das Wort von dem einzelnen Aphorism, über dem es zu lesen war, mit Geschmack gebraucht hat. Was die Aufeinanderfolge der Aphriorismen betrifft, so ließ ich den Zufall walten. Daß die einzelnen Äußerungen oft einander widersprechen, fand ich völlig in der Ordnung: denn das rührt von der wechselnden Stimmung her. Sie so zusammenzustellen, dass die Widersprüche weniger in die Augen fielen, schien mir der Mühe nicht wert. Ich folgte dem Zufalle; und ein Zufall ist es auch, welcher aber meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, dass der erste und der letzte Aphorismen einander einigermaßen entsprechen. Der eine ist gleichsam durchdrungen von der Empfindungen des Schmerzlichen, das darin liegt, ein Dichter zu sein; der andere genießt die Befriedigung, die es gewährt, die Lacher immer auf seiner Seite zu haben.

Was die ästhetische Abhandlungen von A. angeht, so habe ich nichts Besondres in bezug auf sie hervorzuheben. Sie lagen alle druckfertig da; und soweit sie die eine und andere Schwierigkeit enthalten, muß ich sie für sich selbst reden lassen. Für meine Person habe ich zu bemerken, dass ich den griechischen Zitaten, die sich hin und wider vorfinden, eine Übersetzung hinzugefügt habe, die ich dem einen oder andern der besseren deutschen Übersetzer entlehnt habe.

Das letzte der A.-Papiere ist eine Erzählung, betitelt: »Des Verführers Tagebuch.« Hier stoßen wir auf neue Schwierigkeiten, sofern A. sich als Verfasser angibt, sondern nur als Herausgeber. Das ist ein alter Novellistenkniff, gegen welchen ich nichts weiter einzuwenden hätte, würde nur nicht meine Stellung zur Sache dadurch so verwickelt: denn nun liegt der eine Autor hier in dem andern, gerade wie die Schachteln in dem chinesischen Schachtelspiel. Näher zu erörtern, was mich in meiner Meinung bestärkt, ist hier nicht am Orte; nur so viel will ich bemerken, dass die in A.s Vorwort herrschende Stimmung einigermaßen den Dichter verrät. In der Tat scheint dem A. von seiner einigen Dichtung bange geworden zu sein, so dass sie, einem unruhigen Traume gleich, ihn zu ängstigen fortfährt, auch während sie erzählt wird. War es eine wirkliche Begebenheit, deren Mitwisser er gewesen, nun, so ist es mir auffallend, dass jene Vorrede nichts von einer Freude merken läßt, nämlich darüber, die Idee, welche ihm öfter vorgeschwebt hatte, hier realisiert zu sehen. Angedeutet findet sich die Idee des Verführers sowohl in dem Aufsatze über das Unmittelbar-Erotische, wie auch in »den Schattenrissen«, jene Idee nämlich, dass der Gestalt des Don Juan ein solcher reflektierter Verführer entspreche, wie er in die Kategorie des »Interessanten« gehöre, wonach also nicht in Frage komme, wie viele er verführt, sondern wie er's anfängt. Von einer derartigen Freude finde ich in der Vorrede keine Spur, wohl aber, wie bemerkt, ein Zittern, einen Schauder, welcher gar wohl seine Ursache in dem dichterischen Verhältnis zu jener Idee haben kann. Und dass es dem A. so ergangen ist, wundert mich nicht: denn auch mir, der doch mit dieser Erzählung gar nicht zu tun hat, ja von dem ursprünglichen Verfasser durch zwei Glieder entfernt ist, auch mir selbst ward zuweilen ganz seltsam zu Mute, wenn ich in der Stille der Nacht mich mit diesen Papieren beschäftigt hatte. Es war mir, als wandle der Verführer einem Schatten gleich durch mein Zimmer, als hefte er auf mich einen dämonischen Blick und spreche: »Nun, Sie wollen meine Papiere herausgeben! Das ist übrigens von Ihnen unverantwortlich: Sie jagen ja alle lieben Mädchen Angst ein. Indessen, wie sich von selbst versteht, dafür machen Sie mich und meinesgleichen unschädlich. Darin, mein Herr, irren Sie sich jedoch: denn ich verändere nur die Methode: dadurch werden meine Chancen nur verbessert. Wie laufen einem die kleinen Fräulein scharenweis in die Arme, sobald sie den verführerischen Namen: ein Verführer! zu hören bekommen. Geben Sie mir ein Halbjahr: und ich bringe eine Geschichte zuwege, die interessanter sein soll, als alles, was bisher erlebt habe. Ich stelle mir ein junges, entschlossenes, geniales Mädchen vor, wie sie die ungewöhnliche Idee faßt, ihr ganzes Geschlecht an mir zu rächen. Sie meint, sie werde mich zwingen können, werde mich die Schmerzen unglücklicher Liebe kosten lassen. Sehen Sie, das ist gerade ein Mädchen für mich. Geht sie etwa selbst nicht genug auf ihre Idee ein, ich werde ihr schon zu Hilfe kommen. Ich werde mich winden wie ein Aal. Und habe ich sie auf den Punkt gebracht, wo ich sie haben will: dann gehört sie mir.«

Jedoch, vielleicht habe ich schon meine Stellung als Herausgeber gemißbracht, indem ich den Lesern meine persönlichen Betrachtungen aufdringe. Die Veranlassung muß zu meiner Entschuldigung dienen. Ich ließ mich eben hinreißen durch das Mißliche meiner Stellung, was darin liegt, dass A. sich nur als Herausgeber, nicht als Verfasser jener Erzählung bezeichnet.

Übrigens habe ich, jedoch nur in meiner Qualität als Herausgeber, über diese Erzählung etwas hinzuzufügen. Ich glaube nämlich eine Zeitbestimmung in ihr zu entdecken. Im Tagebuch findet sich hin und wieder ein Datum; was dagegen fehlt, ist eine Jahreszahl. Danach scheint's, dass nicht weiter zu kommen sei.

Indem ich aber die einzelnen Datums mir genauer ansah, glaubte ich einen Wink zu gewahren. Freilich ist es ausgemacht, dass jedes Jahr einen 7. April, einen 3. Juli, einen 2. August etc. hat; aber nicht jeder 7. April fällt auf einen Montag. Ich habe nun nachgerechnet und gefunden, dass dieses Jahre 1834 zutrifft. Ob A. an dieses Jahr gedacht hat, kann ich nicht entscheiden, ich sollte es kaum glauben. »Also war Montag,« beginnt ein Stück der Erzählung, womit denn eine Zeitbestimmung gegeben wird. Dagegen ist jeder Versuch, den ich bisher anstellte, mit Hilfe derselben die Zeit der übrigen Abhandlungen zu bestimmen, mißlungen.

 


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