Vorwort

 

Der Sekretär wurde also auf mein Zimmer gesetzt; und sowie ich während der ersten Zeit der Verliebtheit meine Freude daran hatte, von der Straße her zu betrachten, so wandelte ich jetzt zu Hause an ihm vorüber. Nach und nach lernte ich sein ganzen reichen Inhalt kennen, seine vielen Schubläden und Versteckte; und in jeder Hinsicht freute ich mich an meinem Schreibtisch. Doch sollte es nicht so fortgehen. Im Sommer 1836 erlaubten mir meine Berufsarbeiten, auf acht Tage eine kleine Landpartie zu machen. Der Postillion war zu Schlag 5 Uhr früh bestellt. Was ich an Effekten mitzunehmen hatte, war am Abend vorher eigepackt: alles war in Ordnung. Schon um 4 Uhr erwachte ich; aber das Bild der schönen Landschaften, die ich besuchen sollte, wirkte auf mich so berauschend, dass ich wieder in Schlummer oder ins Träumen versank. Mein Diener mochte mir vermutlich gern allen Schlaf gönnen, den ich bekommen könne, denn erst um 6 1/2 Uhr ruft er mich. Der Postillion bläst schon; und obgleich sonst gerade nicht geneigt, den Befehlen andrer zu gehorchen, habe ich doch immer mit einem Postillion und seinen so poetisch klingenden Weise eine Ausnahme gemacht. Schnell war ich in meinen Kleidern; ich stand schon in der Tür, als mir einfiel: Hast du auch Geld genug in deinem Taschenbuch? Hierin fand sich nicht viel. Ich schließe den Sekretär auf, um meine Geldschublade herauszuziehen, und mitzunehmen, was der Haus-stand vermag. Siehe, da will die Schublade sich nicht rühren. Vergeblich ist jedes angewandte Mittel. Wie fatal! gerade in dem Augenblicke, als in meinen Ohren noch die lockenden Klänge des Posthorns widerhallen, auf solche Hindernisse zu stoßen! Das Blut stieg mir zu Kopfe; ich wurde erbittert. Sowie Xerxes das Meer peitschen ließ, so beschloß auch ich jetzt eine schreckliche Rache. Ein Handbeil wurde herbeigeholt. Mit diesem brachte ich dem Sekretär einen Hieb bei, der zum Entsetzen war. Schlug ich fehl in meinem Jähzorn, oder war die Schublade ebenso starrsinnig, wie ich, genug, die beabsichtigte Wirkung blieb aus. Dagegen geschah etwas anders. Hatte mein Hieb gerade auf die Stelle getroffen, oder tat es die Erschütterung in der ganzen Architektur des Sekretärs? ich weiß es nicht; aber so viel weiß ich, dass eine geheime Tür aufsprang, welche ich bisher nie bemerkt hatte. Diese gehörte zu einem Verschluß, dessen ich natürlich ebensowenig je gewahr geworden war. Hier fand ich nun zu meiner großen Überraschung eine Masse Papiere - eben die Papiere, die den Inhalt gegenwärtiger Schrift ausmachen. Mein Plan blieb derselbe. Auf der ersten Station wollte ich eine Anleihe machen. In größter Eile wurde ein Mahagonikasten, in welchem sonst ein Paar Pistolen zu liegen pflegte, ausgeleert, und die Papiere hier deponiert. Die fröhliche Stimmung hatte gesiegt, und einen unerwarteten Zuwachs erhalten. In meinem Herzen bat ich den Sekretär und Verzeihung ob der unsanften Verhandlung, während ich in meinem vorigen Zweifel und in der Ansicht bestärkt wurde, dass das Äußere doch nicht das Innere sei, und mein Erfahrungssatz bekräftigt, dass Glück dazu gehört, solche Entdeckungen zu machen.

In der Mitte des Vormittags erreichte ich Hilleröd, das zwischen Meer und Wald gelegene, brachte meine Finanzen in Ordnung und ließ mich von der herrlichen Gegend hinnehmen. Schon am folgenden Morgen trat ich meine Exkursionen an, welche jetzt einen ganz andern Charakter annahmen, als ich ursprünglich gedacht hatte. Mein Diener folgte mir mit dem Mahagonikasten. Ich suchte mir eine romantische Stelle im Walde aus, wo ich gegen eine Überraschung so geschützt wie möglich lag. Hier holte ich denn meine Dokumente hervor. Mein Wirt, welcher auf diese häufigen Wanderungen in Gesellschaft des Mahagonikastens aufmerksam geworden war, meinte: ich übte mich vielleicht im Pistolenschießen. Für diese Äußerung war ich ihm verbunden und ließ ihn in seinem Glauben.

Ein flüchtiger Blick in die entdeckten Papiere ließ mich ohne Mühe erkennen, dass sie zweierlei Schichten bildeten, deren Verschiedenheit auch in ihrem Aussehen ausprägt war. Die eine Hälfte war auf eine Art Postvelin geschrieben, in Quatro, mit ziemlich breitem Rand. Die Handschrift war leserlich, zuweilen sogar etwas zierlich, an einzelnen Stellen etwas beschmutzt. Die andere war auf ganzen Bogen Amtsstuben-Papiers mit gespalteten Kolumnen geschrieben, so wie gerichtliche Aktenstücke und anders der Art geschrieben wird. Die Handschrift war deutlich, etwas langgezogen, einförmig und gleichmäßig; sie schien von einem Geschäftsmanne herzurühren. Auch dem Inhalte nach erscheinen die Abteilungen verschiedenartig. Die erste enthielt eine große Anzahl größerer und kleinerer ästhetischer Abhandlungen; die zweite bestand aus zwei längeren Untersuchungen und einer kürzeren, sämtlich von ethischem Inhalte, wie es mir vorkam, und zwar in Briefform. Bei genauerer Durchsicht fand ich diese Verschiedenheit vollkommen bestätigt. Die zweite Schicht Papiere besteht nämlich aus Briefen, geschrieben an den Verfasser der ersten Hälfte.

Es wird jedoch nötig, einen kürzeren Ausdruck zur Verzeichnung der zwei Verfasser zu finden. Zu diesem Zwecke habe ich die Papiere sehr sorgfältig durchmustert, aber nichts, oder so gut wie nichts, oder so gut wie nichts gefunden. Was den ersten von den beiden Verfassern, den Ästhetiker, betrifft, so findet sich über seine Person gar keine Auskunft. Hinsichtlich des andern, des Briefschreibers, erfährt man, dass er Wilhelm gehießen hat und Gerichtsassessor war, ohne dass jedoch angegeben wird, an welchem Gericht. Wollte ich mich nun genau dem Gegebenen anschließen und ihn Wilhelm nenne, so würde mir doch für den ersten eine dem entsprechende Beziehung fehlen: ich müßte ihm willkürlich irgend einen Namen beilegen. So habe ich's denn für das beste gehalten, den ersteren A. zu nennen, den zweiten aber B.

Außer den im ersten Konvolut befindlichen Abhandlungen fand sich, zwischen die Papiere eingestreut, eine Menge Zettel oder Papierschnitzel, auf welchen Aphriorismen, lyrische Ergüsse, Reflexionen geschrieben standen. Schon die Handschrift bewies, dass sie jenem A. gehörten, und der Inhalt bestätigte das.

 


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