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III. [Die Objektivität der Wahrheit wie die des Wertes als Relation subjektiver Elemente]

 

Von anderer Seite herauf dasselbe Ziel zuschreitend, kann man den Relativismus in Hinsicht der Erkenntnisprinzipien so formulieren: daß die konstitutiven, das Wesen der Dinge ein- für allemal ausdrückenden Grundsätze in regulative übergehen, die nur Augenpunkte für das fortschreitende Erkennen sind. Gerade die letzten und höchsten Abstraktionen, Vereinfachungen oder Zusammenfassungen des Denkens müssen den dogmatischen Anspruch aufgeben, das Erkennen abzuschließen. An die Stelle der Behauptung: so und so verhalten sich die Dinge - hat in Hinsicht der äußersten und allgemeinsten Ansichten vielmehr die zu treten: unser Erkennen hat so zu verfahren, als ob sich die Dinge so und so verhielten. Damit ist die Möglichkeit gegeben, Art und Weg unseres Erkennens sein wirkliches Verhältnis zur Welt sehr adäquat ausdrücken zu lassen. Der Vielheit unserer Wesensseiten sowie der abhilfesuchenden Einseitigkeit jedes einzelnen begrifflichen Ausdrucks für unsere Beziehung zu den Dingen entspricht und entspringt es, daß kein derartiger Ausdruck allgemein und auf die Dauer befriedigt, vielmehr historisch seine Ergänzung durch eine gegenteilige Behauptung zu finden pflegt; wodurch in unzähligen Einzelnen ein unsicheres Hin- und Herpendeln, ein widerspruchsvolles Gemenge oder eine Abneigung gegen umfassende Grundsätze überhaupt erzeugt wird. Wenn nun die konstitutiven Behauptungen, die das Wesen der Dinge festlegen wollen, in heuristische verwandelt werden, die nur unsere Erkenntniswege durch Feststellung idealer Zielpunkte bestimmen wollen, so gestattet dies offenbar eine gleichzeitige Gültigkeit entgegengesetzter Prinzipien; jetzt, wo ihre Bedeutung nur in den Wegen zu ihnen liegt, kann man diese abwechselnd begehen, und sich dabei doch so wenig widersprechen, wie man sich etwa mit dem Wechsel zwischen induktiver und deduktiver Methode widerspricht. Erst durch diese Auflösung dogmatischer Starrheiten in die lebendigen, fließenden Prozesse des Erkennens wird die wirkliche Einheit desselben hergestellt, indem seine letzten Prinzipien nicht mehr in der Form des gegenseitigen Sich-Ausschließens, sondern des Aufeinander - Angewiesenseins, gegenseitigen Sich - Hervorrufens und Sich-Ergänzens praktisch werden. So bewegt sich z.B. die Entwicklung des metaphysischen Weltbildes zwischen der Einheit und der Vielheit der absoluten, alle Einzelanschauung begründenden Wirklichkeit. Unser Denken ist so angelegt, daß es nach jedem von beiden wie nach einem definitiven Abschluß streben muß, ohne doch mit einem von beiden abschließen zu können. Erst wenn alle Differenzen und Vielheiten der Dinge in einen Inbegriff versöhnt sind, findet der intellektuell- gefühlsmäßige Einheitstrieb seine Ruhe. Allein sobald diese Einheit erreicht ist, wie in der Substanz Spinozas, zeigt sich, daß man mit ihr für das Verständnis der Welt nichts anfangen kann, daß sie mindestens eines zweiten Prinzips bedarf, um gefruchtet zu werden. Der Monismus treibt über sich hinaus zum Dualismus oder Pluralismus, nach dessen Setzung aber wieder das Bedürfnis nach Einheit zu wirken beginnt; so daß die Entwicklung der Philosophie wie die des individuellen Denkens von der Vielheit an die Einheit und von der Einheit an die Vielheit gewiesen wird. Die Geschichte des Denkens zeigt es als vergeblich, einen dieser Standpunkte als den definitiven gewinnen zu wollen; die Struktur unserer Vernunft in ihrem Verhältnis zum Objekt beansprucht vielmehr die Gleichberechtigung beider und erreicht sie, indem sie die monistische Forderung in das Prinzip gestaltet: jede Vielheit soweit wie möglich zu vereinheitlichen, d.h. so, als ob wir am absoluten Monismus endigen sollten, - und die pluralistische: bei keiner Einheit Halt zu machen, sondern jeder gegenüber nach noch einfacheren Elementen und erzeugenden Kräftepaaren zu forschen, d.h. so, als ob das Endergebnis ein pluralistisches sein sollte. - Ebenso liegt es, wenn man den Pluralismus in seiner qualitativen Bedeutung: in die individuelle Differenziertheit der Dinge und Schicksale, ihre Sonderung nach Wesen und Wert verfolgt. Zwischen dieser Sonderung und der Zusammengehörigkeit unserer Daseinsmomente pendelt unser intimstes Lebensgefühl: bald scheint einem das Leben nur so erträglich, daß man sein Glück und seine Höhen in reiner Absonderung von allem Leid und allem Stumpfen genießt, wenigstens diese spärlichen Momente von jeder Berührung mit dem Darunter- oder Gegenüberliegenden frei hält. Und dann wieder erscheint es einem als die Größe, ja die eigentliche Aufgabe, Lust und Leid, Kraft und Schwäche, Tugend und Sünde als eine Lebenseinheit zu fühlen, eines die Bedingung des anderen, jedes weihend und geweiht. In ihrer reinen Prinzipienmäßigkeit mögen diese Gegentendenzen selten bewußt werden; aber in Ansätzen, Zielen, fragmentarischen Betätigungen bestimmen sie fortwährend unsere Attitüde zum Leben. Auch wenn ein Charakter ganz nach der einen dieser Richtungen hin orientiert scheint, wird sie dennoch dauernd von der anderen gekreuzt, als Ablenkung, Hintergrund, Versuchung. Der Gegensatz zwischen der Individualisierung und der Vereinheitlichung der Lebensinhalte teilt nicht die Menschen unter sich auf, sondern den Menschen - obgleich sich seine persönlich-innerliche Form ersichtlich in Wechselwirkung mit seiner sozialen, die sich zwischen dem individualistischen und dem Sozialisierungsprinzip bewegt, entwickelt. Das hier Wesentliche ist nicht die Mischung des Lebens aus diesen beiden Richtungen, sondern ihr Aufeinander- Angewiesensein in der Form der Heuristik. Es scheint, als ob unser Leben eine einheitliche Grundfunktion übte oder in ihr bestände, die wir in ihrer Einheit nicht erfassen, sondern in Analyse und Synthese zerlegen müssen, die die allgemeinste Form auch jenes Gegensatzes bilden und deren Zusammenwirken die Einheit des Lebens gleichsam nachträglich wiederherstellt. Indem nun aber das Einzelne in seiner Sonderung und Fürsichsein ein absolutes Recht an uns und in uns beansprucht und die Einheit, die alles Einzelne in sich zusammenführt, eben dieselbe kompromißlose Forderung erhebt, entsteht ein Widerspruch, unter dem das Leben freilich oft genug leidet, und der dadurch zu einem logischen wird, daß jede der Seiten zu ihrem Bestande die andere voraussetzt: keine von beiden würde einen sachlich ausdenkbaren Sinn oder ein seelisches Interesse besitzen, wenn nicht die andere ihr als ihr »Gegenwurf« gegenüberstände. So entsteht hier - und ebenso in unzähligen anderen Gegensatzpaaren - die eigentümliche Schwierigkeit: daß ein Unbedingtes bedingt wird, und zwar durch ein anderes Unbedingtes, das seinerseits wieder von jenem abhängt. Daß so das als absolut Empfundene dennoch relativ ist, scheint mir keine andere prinzipielle Lösung zu gestatten, als daß das Absolute einen Weg bedeutet, dessen Richtung, ins Unendliche fortlaufend, festgelegt bleibt, gleichviel wie weit die endliche Strecke ist, auf die hin er tatsächlich begangen wird. Die Bewegung innerhalb jedes Teilstückes, solange sie eben dauert, verläuft so, als ob sie in den absoluten, im Unendlichen liegenden Endpunkt münden sollte, und dieser Richtungssinn bleibt, was er ist, auch wenn die Bewegung von irgendeinem Punkte an in eine andere Richtungslinie alterniert, die derselben Norm unterliegt.

 


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