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I. [Durch die Geldwirtschaft vermitteltes Übergewicht der intellektuellen über die Gefühlsfunktionen; Charakterlosigkeit und Objektivität des Lebensstiles]

 

Gegen derartige Züge der Geldwirtschaft ist die Heftigkeit der modernen Wirtschaftskämpfe, in denen kein Pardon gegeben wird, doch nur eine scheinbare Gegeninstanz, da sie durch das unmittelbare Interesse am Gelde selbst entfesselt werden. Denn nicht nur, daß diese in einer objektiven Sphäre vor sich gehen, in der die Persönlichkeit nicht sowohl als Charakter, sondern als Träger einer bestimmten sachlichen Wirtschaftspotenz wichtig ist und wo der todfeindliche Konkurrent von heute der Kartellgenosse von morgen ist; sondern vor allem: die Bestimmungen, die ein Gebiet innerhalb seiner erzeugt, können durchaus denen heterogen sein, die es außerhalb seiner gelegenen, aber von ihm beeinflußten, mitteilt. So kann eine Religion innerhalb ihrer Anhänger und ihrer Lehre die Friedfertigkeit selbst und doch sowohl den Ketzern wie den ihr benachbarten Lebensmächten gegenüber äußerst streitbar und grausam sein; so kann ein Mensch in Anderen Gefühle und Gedanken hervorrufen, die seinen eigenen Lebensinhalten völlig heterogen sind, so daß er gibt, was er selbst nicht hat; so mag eine Kunstrichtung ihrer eigenen Überzeugung und artistischen Idee nach völlig naturalistisch sein, in dem Verhältnis der Unmittelbarkeit und bloßen Reproduktion zur Natur stehend, während die Tatsache, daß es überhaupt eine so treue Hingabe an die Erscheinung des Wirklichen und eine künstlerische Bemühung um ihre Abspiegelung gibt, im System des Lebens ein absolut ideales Moment ist und sich, im Vergleich zu dessen anderen Bestandteilen, weit über alle naturalistische Wirklichkeit hinaushebt. So wenig die Schärfe theoretisch-logischer Kontroversen hindert, daß die Intellektualität doch ein Prinzip der Versöhnlichkeit ist - denn sobald der Streit aus dem Gegensatz der Gefühle oder der Wollungen oder der unbeweisbaren, nur gefühlsmäßig anerkennbaren Axiome in die theoretische Diskussion übergegangen ist, muß er prinzipiell beigelegt werden können -, so wenig hindern die Interessenkämpfe in der Geldwirtschaft, daß diese doch ein Prinzip der Indifferenz ist, die Gegnerschaften aus dem eigentlich Persönlichen heraushebt und ihnen einen Boden bietet, auf dem schließlich immer eine Verständigung möglich ist. Gewiß hat die rein verstandesmäßige Behandlung der Menschen und Dinge etwas Grausames; aber sie hat dies nicht als positiven Impuls, sondern als einfache Unberührtheit ihrer bloß logischen Konsequenz durch Rücksichten, Gutmütigkeit, Zartheiten; weshalb denn auch entsprechend der rein geldmäßig interessierte Mensch es gar nicht zu begreifen pflegt, wenn man ihm Grausamkeit und Brutalität vorwirft, da er sich einer bloßen Folgerichtigkeit und reinen Sachlichkeit seines Verfahrens, ohne irgendeinen bösen Willen, bewußt ist. Bei alledem ist festzuhalten, daß es sich nur um das Geld als Form der Wirtschaftsbewegungen handelt, denen darum doch aus anderweitigen, inhaltlichen Motiven noch ganz davon abweichende Züge kommen können. Man kann dieses Jenseits der Charakterbestimmtheiten, in das das Leben, unbeschadet aller sonstigen, gegensatzverschärfenden Folgen der Intellektualität und der Geldwirtschaft, durch sie gestellt wird, als Objektivität des Lebensstiles bezeichnen. Dies ist nicht ein Zug, der sich der Intelligenz hinzugesellte, sondern er ist ihr Wesen selbst; sie ist die einzige dem Menschen zugängige Art, auf die er zu den Dingen ein nicht durch die Zufälligkeit des Subjektes bestimmtes Verhältnis gewinnen kann. Angenommen selbst, daß die gesamte objektive Wirklichkeit durch die Funktionen unseres Geistes bestimmt ist, so nennen wir eben diejenigen Funktionen die intelligenten, durch die sie uns als die objektive, im spezifischen Sinne des Wortes, erscheint, so sehr die Intelligenz selbst auch durch anderweitige Kräfte belebt und dirigiert sei. Das glänzendste Beispiel für diese Zusammenhänge ist Spinoza: ein objektivstes Verhalten zur Welt, jeder einzelne Akt der Innerlichkeit als ein harmonisches Weiterklingen der Notwendigkeiten des allgemeinen Daseins gefordert, den Unberechenbarkeiten der Individualität nirgends gestattet, die logisch-mathematische Struktur der Welteinheit zu durchbrechen, die Funktion, die dieses Weltbild und seine Normen trägt, die rein intellektuelle; auf das bloße Verstehen der Dinge ist diese Weltanschauung selbst subjektiv aufgebaut, und es reicht zur Erfüllung ihrer Forderungen aus; diese Intellektualität selbst aber allerdings auf ein tief religiöses Fühlen gegründet, auf eine völlig über-theoretische Beziehung zum Grunde der Dinge, die nur nie in das Einzelne des in sich geschlossenen intellektuellen Prozesses eingreift. Im großen zeigt das indische Volk dieselbe Verbindung. Aus den ältesten wie aus modernen Zeiten wird berichtet, daß zwischen den kämpfenden Heeren indischer Staaten der Landmann ruhig sein Feld bebauen könne, ohne von einer feindlichen Partei belästigt zu werden; denn er sei »der gemeinsame Wohltäter von Freund und Feind«. Offenbar ist dies ein äußerstes Maß objektiver Behandlung der praktischen Dinge: die als natürlich erscheinenden subjektiven Impulse sind völlig zugunsten einer nur der sachlichen Bedeutung der Elemente entsprechenden Praxis ausgeschaltet, die Differenzierung des Verhaltens folgt nur noch einer objektiven Angemessenheit statt denen der persönlichen Leidenschaft. Aber dieses Volk war auch völlig intellektualistisch gestimmt: an scharfer Logik, grüblerischer Tiefe der Weltkonstruktion, ja, einer kahlen Verstandesmäßigkeit selbst seiner gigantischsten Phantasien wie seiner gesteigertsten ethischen Ideale war es in alten Zeiten allen anderen ebenso überlegen, wie es an ausstrahlender Wärme des eigentlichen Gemütslebens und an Willenskraft hinter sehr vielen zurückstand; es war ein bloßer Zuschauer und logischer Konstrukteur des Weltlaufs geworden - aber daß es das geworden war, das ruhte dennoch auf letzten Entscheidungen des Gefühles, auf einer Unermeßlichkeit des Leidens, die zu einem metaphysisch-religiösen Fühlen seiner kosmischen Notwendigkeit auswuchs, weil der Einzelne mit ihm weder innerhalb der Gefühlsprovinz selbst, noch durch die Ableitungen einer energischen Lebenspraxis fertig werden konnte.

 


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