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I. [Das Geld als der Träger der unpersönlichen Beziehungen zwischen Personen und dadurch der individuellen Freiheit]

 

Diese Entwicklung reiht sich in ein noch allgemeineres Schema ein, das für außerordentlich viele Inhalte und Beziehungen des Menschlichen gilt. In ungeschiedener Einheit des Sachlichen und des Persönlichen pflegen diese ursprünglich aufzutreten. Nicht als ob, wie wir es heute empfinden, die Inhalte des Lebens: Eigentum und Arbeit, Pflicht und Erkenntnis, soziale Stellung und Religion irgendein Fürsichsein, eine reale oder begriffliche Selbständigkeit besäßen und dann erst, von der Persönlichkeit aufgenommen, jene enge und solidarische Verbindung mit ihr eingingen. Vielmehr, der primäre Zustand ist eine völlige Einheit, eine ungebrochene Indifferenz, die überhaupt noch jenseits des Gegensatzes persönlicher und sachlicher Seiten des Lebens steht. So weiß z.B. das Vorstellungsleben auf seinen niedrigen Stufen gar nicht zwischen objektiver, logischer Wahrheit und subjektiven, nur psychologischen Gebilden zu unterscheiden: dem Kinde und dem Naturmenschen gilt das psychologische Gebilde des Augenblicks, das Phantasma, der subjektiv erzeugte Eindruck ohne weiteres als Wirklichkeit; das Wort und die Sache, das Symbol und das Symbolisierte, der Name und die Person fallen ihm zusammen, wie unzählige Tatsachen der Ethnologie und der Kinderpsychologie beweisen. Und zwar ist nicht dies der Vorgang, daß zwei an sich getrennte Reihen irrtümlich verschmelzen und sich verwirren; sondern die Zweiheit besteht überhaupt noch nicht, weder abstrakt noch in tatsächlicher Anwendung, die Vorstellungsinhalte treten von vornherein als völlig einheitliche Gebilde auf, deren Einheit nicht in einem Zusammengehen jener Gegensätze, sondern in der Unberührtheit durch den Gegensatz überhaupt besteht. So entwickeln sich Lebensinhalte, wie die vorhin genannten, unmittelbar in personaler Form; die Betonung des Ich einerseits, der Sache andrerseits geht erst als Erfolg eines langen, niemals ganz abzuschließenden Differenzierungsprozesses aus der ursprünglichen naiven Einheitsform hervor. Dieses Herausbilden der Persönlichkeit aus dem Indifferenzzustande der Lebensinhalte, der nach der anderen Seite hin die Objektivität der Dinge aus sich hervortreibt, ist nun zugleich der Entstehungsprozeß der Freiheit. Was wir Freiheit nennen, steht mit dem Prinzip der Persönlichkeit im engsten Zusammenhang, in so engem, daß die Moralphilosophie oft genug beide Begriffe als identisch proklamiert hat. Jene Einheit psychischer Elemente, jenes Zusammengeführtsein ihrer wie in einem Punkt, jene feste Umschriebenheit und Unverwechselbarkeit des Wesens, die wir eben Persönlichkeit nennen - bedeutet doch die Unabhängigkeit und den Abschluß allem Äußeren gegenüber, die Entwicklung ausschließlich nach den Gesetzen des eigenen Wesens, die wir Freiheit nennen. In beiden Begriffen liegt gleichmäßig die Betonung eines letzten und tiefsten Punktes in unserem Wesen, der sich allem Dinglichen, Äußeren, Sinnlichen - sowohl außerhalb wie innerhalb unserer eigenen Natur - gegenüberstellt, beides sind nur zwei Ausdrücke für die eine Tatsache, daß hier dem natürlichen, kontinuierlichen, sachlich bestimmten Sein ein Gegenpart entstanden ist, der seine Besonderung nicht nur in dem Anspruch auf eine Ausnahmestellung diesem gegenüber, sondern ebenso in dem Ringen nach einer Versöhnung mit ihm zeigt. Wenn nun die Vorstellung der Persönlichkeit, als Gegenstück und Korrelat zu der der Sachlichkeit, im gleichen Maße wie diese erwachsen muß, so wird nun aus diesem Zusammenhang klar, daß eine strengere Ausbildung der Sachlichkeitsbegriffe mit einer ebensolchen der individuellen Freiheit Hand in Hand geht. So sehen wir die eigentümliche Parallelbewegung der letzten drei Jahrhunderte: daß einerseits die Naturgesetzlichkeit, die sachliche Ordnung der Dinge, die objektive Notwendigkeit des Geschehens immer klarer und exakter hervortritt, und auf der anderen Seite die Betonung der unabhängigen Individualität, der persönlichen Freiheit, des Fürsichseins gegenüber allen äußeren und Naturgewalten eine immer schärfere und kräftigere wird. Auch die ästhetische Bewegung der neueren Zeit setzt mit dem gleichen Doppelcharakter ein: der Naturalismus der van Eycks und des Quattrocento ist zugleich ein Herausarbeiten des Individuellsten in den Erscheinungen, das gleichzeitige Auftauchen der Satire, der Biographie, des Dramas in ihren ersten Formen trägt ebenso naturalistischen Stil, wie es auf das Individuum als solches angelegt ist - das geschah, beiläufig bemerkt, in der Zeit, in der die Geldwirtschaft ihre sozialen Folgen merkbar zu entfalten begann. Hat doch auch schon der Höhepunkt des Griechentums ein recht objektives, dem naturgesetzlichen nahes Bild der Welt als die eine Seite seiner Lebensanschauung hervorgebracht, deren andere Seite die volle innere Freiheit und Aufsichselbst-Gestelltheit der Persönlichkeit bildete; und soweit bei den Griechen eine Unvollkommenheit in der theoretischen Ausbildung des Freiheits- und Ichbegriffes bestand, entsprach ihr das gleiche Manko in der Strenge der naturgesetzlichen Theorien. Welche Schwierigkeiten auch die Metaphysik in dem Verhältnis zwischen der objektiven Bestimmtheit der Dinge und der subjektiven Freiheit des Individuums finde: als Kulturinhalte gehen ihre Ausbildungen einander parallel und die Vertiefungen des einen scheinen, um das Gleichgewicht des inneren Lebens zu retten, die des anderen zu fordern.

Und hier mündet diese allgemeine Betrachtung in unser engeres Gebiet ein. Auch die Wirtschaft beginnt mit einer Ungeschiedenheit der personalen und der sachlichen Seite der Leistung. Die Indifferenz spaltet sich erst allmählich zum Gegensatz, aus der Produktion, dem Produkte, dem Umsatz tritt das personale Element mehr und mehr zurück. Dieser Prozeß aber entbindet die individuelle Freiheit. Wie wir eben sahen, daß diese sich in dem Maße entfaltet, in dem die Natur für uns objektiver, sachlicher, eigengesetzmäßiger wird - so steigert sie sich mit der Objektivierung und Entpersonalisierung des wirtschaftlichen Kosmos. So wenig in der wirtschaftlichen Einsamkeit einer unsozialen Existenz das positive Gefühl der individuellen Unabhängigkeit erwächst, so wenig in einem Weltbild, das von der Gesetzmäßigkeit und der strengen Objektivität der Natur noch nichts weiß; erst an diesem Gegensatz kommt, wie an jenem, das Gefühl einer eigentümlichen Kraft und eines eigentümlichen Wertes des Fürsichseins zustande. Ja, auch für das Verhältnis zur Natur scheint es, als ob in der Isolierung der Primitivwirtschaft - also in der Periode der Unkenntnis der Naturgesetzlichkeit im heutigen Sinne - eine um so stärkere Unfreiheit durch die abergläubische Auffassung der Natur geherrscht habe. Erst indem die Wirtschaft sich zu ihrer vollen Ausdehnung, Komplikation, innerlichen Wechselwirksamkeiten entwickelt, entsteht jene Abhängigkeit der Menschen untereinander, die durch die Ausschaltung des persönlichen Elementes den Einzelnen stärker auf sich zurückweist und seine Freiheit zu positiverem Bewußtsein bringt, als die gänzliche Beziehungslosigkeit es vermöchte. Das Geld ist der absolut geeignete Träger eines derartigen Verhältnisses; denn es schafft zwar Beziehungen zwischen Menschen, aber es läßt die Menschen außerhalb derselben, es ist das genaue Äquivalent für sachliche Leistungen; aber ein sehr inadäquates für das Individuelle und Personale an ihnen: die Enge der sachlichen Abhängigkeiten, die es stiftet, ist für das unterschiedsempfindliche Bewußtsein der Hintergrund, von dem sich die aus ihnen herausdifferenzierte Persönlichkeit und ihre Freiheit erst deutlich abhebt.

 


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