II. [Der Besitz als Tun]

Gewiß muß die Erkenntnistheorie das ewige Naturgesetz von der zeitlichen Summe seiner Verwirklichungen unterscheiden; allein ich sehe nicht ein, was es innerhalb der Praxis des Erkennens noch außer der Bestimmung jeder überhaupt je eintretenden einzelnen Verwirklichung leisten soll. Gewiß ist der objektive Gegenstand im gleichen Sinn zu unterscheiden von den subjektiven Wahrnehmungen, in denen er sich darstellt; allein seine Bedeutung besteht doch nur darin, jede überhaupt mögliche Wahrnehmung seiner eindeutig zu bestimmen; gewiß steht die sittliche Norm jenseits der einzelnen Handlungen, auf die sie positive oder negative Anwendung findet, aber sie hat doch nur den Sinn, jeder dergleichen Handlung ihren Wert zu bestimmen, und wenn es überhaupt keine Einzelhandlungen gäbe noch geben könnte, mit denen sie sich berührt, so würde ihre reale Bedeutung gleich Null sein. Kurz, wovon die Kategorie jener Substanzen und Werte sich allerdings generell unterscheidet, ist jeder Einzelfall als solcher und die noch so große relative Summe der Einzelfälle; ihre absolute Summe aber ist ihr restloses Äquivalent, sie sind, von ihrem metaphysischen Sinne abgesehen, nur der abgekürzte Ausdruck für die Totalität der einzelnen Ereignisse, Vorstellungen, Aktionen. Und daran darf man sich nicht durch die Tatsache irre machen lassen, daß allerdings keine empirische Reihe von Einzelheiten - als welche immer unvollständig und relativ ist - die Inhalte jener Kategorien deckt oder erschöpft.
Dies ist nun die Formel, in die der Eigentumsbegriff sich einstellt. Gewiß ist das Eigentum begrifflich und juristisch von den einzelnen Rechten und Nutznießungen an der Sache zu unterscheiden. Und was jemand mit seinem Eigentum vornehmen wird, läßt sich niemals von vornherein so bestimmen, daß man sagen könnte: diese Summe von Aktion und Genuß decke sich mit seinem Eigentum an der Sache. Allein die Gesamtheit der überhaupt möglichen und je wirklichen Benutzung deckt sich doch damit. So sehr sich die iura in re aliena von dem Eigentum unterscheiden mögen, so ist doch inhaltlich zwischen beiden nur ein gradueller Unterschied: in etwas anderem als einer Summe von Rechten über das Objekt kann kein Eigentum bestehen; selbst ein so einheitlich und geschlossen erscheinender Besitz wie der römische Prinzipat ist rechtshistorisch der Eintritt in eine Reihe auf verschiedene Weise erworbener Ämter, gerade wie, daß der Gutsherr den untertänigen Bauern als »Eigentum« besaß, doch nur die Summiertheit einzelner, allmählich angewachsener Rechte über ihn bedeutete. Nur daß das Eigentum nicht eine relative, sondern prinzipiell die absolute Summe der Rechte an der Sache ausdrückt und garantiert. Eben deshalb hat das Eigentum als Wirklichkeit, wenn auch nicht als begriffliche Abstraktion, die Aktion des Eigentümers zum notwendigen Korrelat. Nur in der ideellen Nachwirkung der Prozesse, die zu ihm führten, und in der ideellen Vorwegnahme künftigen Genießens oder Verwertens besteht der ruhende Besitz; zieht man diese Erscheinungen, die man fälschlich für nur begleitende anzusehen pflegt, von ihm ab, so bleibt nichts von ihm übrig.
Nun aber sind die wechselnden Arten dieser subjektiven Bewegung, die Besitz heißt, in irgendeinem Maße von der Eigenart des Objekts abhängig, an dem sie sich vollzieht; das Geld aber ist dasjenige Besitzobjekt, bei dem diese Abhängigkeit die geringste ist. Erwerb und Fruktifizierung von Besitzobjekten, die nicht Geld sind, ist von bestimmten Kräften, spezifischen Eigenschaften und Bemühungen abhängig. Daraus ergibt sich aber unmittelbar, daß umgekehrt der eigenartige Besitz auch auf die Qualität und Betätigung des Besitzers Einfluß üben muß. Wer ein Landgut oder eine Fabrik besitzt, soweit er den Betrieb nicht anderen überläßt und ausschließlich Rentenempfänger ist; wer als zentrales Besitzstück eine Gemäldegalerie oder einen Rennstall besitzt, der ist in seinem Sein nicht mehr vollkommen frei; und das bedeutet nicht nur, daß seine Zeit in einem bestimmten Maß und Art beansprucht ist, sondern vor allem, daß eine bestimmte Qualifikation seiner dazu vorausgesetzt wird. Der spezifische Sachbesitz enthält gleichsam eine rückwärtsgewendete Prädestination; der Besitz von Verschiedenem ist ein verschiedenes Besitzen, sobald nicht nur der juristische Sinn des Eigentums in Frage steht. Der Besitz eines besonders charakterisierten Objektes, der mehr als jenen abstrakten Eigentumsbegriff bedeuten will, ist nichts, was jeder Persönlichkeit ohne weiteres und wie von außen angeheftet werden könnte: er besteht vielmehr aus einer Wechselwirkung zwischen den Kräften oder Qualitäten des Subjekts und denen des Objekts, und diese Wechselwirkung kann nur bei einem bestimmten Verhältnis beider, d.h. bei einer bestimmten Qualifikation auch des Subjektes entstehen. Es ist nur der Revers dieser Überlegung, daß die Wirkung des Besitzes auf den Besitzer diesen bestimmt. Wie der Besitz besonderer Objekte um so mehr ein echter und aktiver ist, je entschiedener und unzweideutiger das Subjekt dafür veranlagt ist, so umgekehrt: je gründlicher und eindringlicher der Besitz wirklich besessen, d.h. fruchtbar gemacht und genossen wird, um so entschiednere und determinierendere Wirkungen wird er auf das innere und das äußere Wesen des Subjekts ausüben. So geht eine Kette vom Sein zum Haben und vom Haben zurück zum Sein. Die Marxische Frage, ob das Bewußtsein der Menschen ihr Sein oder ihr Sein ihr Bewußtsein bestimme, findet für ein Teilgebiet hier ihre Antwort: denn unter das Sein im Sinne von Marx gehört das Haben der Menschen. Diese eigentümliche Verbindung aber, vermittels deren der Mensch durch eine spezifische Anlage auf einen bestimmten Besitz hingewiesen, durch diesen Besitz aber andrerseits in seinem Wesen bestimmt wird, ist straffer oder loser je nach dem Objekt, das ihren Drehpunkt bildet. Bei Gegenständen von rein ästhetischer Bedeutung, ökonomischen Werten von sehr arbeitsteiliger Bestimmtheit, Objekten von schwieriger Zugängigkeit und Verwertbarkeit wird jene Verbindung eine sehr stringente sein, und sie wird sich durch die Skala immer geringerer spezifischer Bestimmtheit der Objekte hindurch mehr und mehr lockern, bis sie schließlich beim Gelde ganz auseinanderzufallen scheint.