XVI.1. Vasken, Galen und Kymren

 

 Das Schicksal der Galen in ihrem großen Erdstrich endigte traurig. Den frühesten Nachrichten nach, die wir von ihnen haben, hatten sie sowohl dies- als jenseit der Meerenge die Belgen oder Kymren zur Seite, die ihnen allenthalben nachzudringen scheinen. Diesund jenseit wurden zuerst die Römer, sodann mehrere teutonische Nationen ihre Überwinder, von denen wir sie oft auf eine sehr gewaltsame Art unterdrückt, entkräftet oder gar ausgerottet und verdrängt sehen werden, so daß wir anjetzt die galische Sprache nur an den äußersten Enden ihrer Besitztümer, in Irland, den Hebriden und dem nackten, schottischen Hochlande wiederfinden. Goten, Franken, Burgunder, Alemannen, Sachsen, Normänner und andere deutsche Völker haben in mancherlei Vermischungen ihre andern Länder besetzt, ihre Sprache vertrieben und ihren Namen verschlungen.

 Indessen gelang es doch der Unterdrückung nicht, auch den innern Charakter dieses Volks in lebendigen Denkmalen ganz von der Erde zu vertilgen; sanft wie ein Harfenton entschlüpfte ihr eine zärtlich-traurige Stimme aus den Gräbern, die Stimme Ossians, des Sohnes Fingal, und einiger seiner Genossen. Sie bringt uns, wie in einem Zauberspiegel, nicht nur Gemälde alter Taten und Sitten vor Augen, sondern die ganze Denk- und Empfindungsweise eines Volkes auf dieser Stufe der Kultur, in solchen Gegenden, bei solchen Sitten tönet uns durch sie in Herz und Seele. Ossian und seine Genossen sagen uns mehr vom innern Zustande der alten Galen, als ein Geschichtschreiber uns sagen könnte, und werden uns gleichsam rührende Prediger der Humanität, wie solche auch in den einfachsten Verbindungen der menschlichen Gesellschaft lebt. Zarte Bande ziehen sich auch dort von Herz zu Herzen, und jede ihrer Saiten tönt Wehmut. Was Homer den Griechen wurde, hätte ein galischer Ossian den Seinigen werden können, wenn die Galen Griechen und Ossian Homer gewesen wäre. Da dieser aber nur, als die letzte Stimme eines verdrängten Volks, zwischen Nebelbergen in einer Wüste singt und wie eine Flamme über Gräbern der Väter hervorglänzt, wenn jener, in Ionien geboren, unter einem werdenden Volk vieler blühenden Stämme und Inseln, im Glanz seiner Morgenröte, unter einem so andern Himmel, in einer so andern Sprache das schildert, was er entschieden, hell und offen vor sich erblickte und andere Geister nachher so vielfach anwandten, so sucht man freilich in den kaledonischen Bergen einen griechischen Homer an unrechtem Orte. Töne indessen fort, du Nebelharfe Ossians; glücklich in allen Zeiten ist, wer deinen sanften Tönen gehorcht.246

 Die Kymren sind ihrem Namen nach Bergbewohner, und wenn sie mit den Belgen ein Volk sind, so treffen wir sie, von den Alpen an, die westlichen Ufer des Rheins bis zu seinem Ausfluß hinunter, ja vielleicht einst bis zur cirnbrischen Halbinsel, die uralters wahrscheinlich ein größeres Land war. Von deutschen Stämmen, die hart an ihnen saßen, wurden sie teilweise über das Meer gedrängt, so daß sie in Britannien die Galen einengten, die öst- und südlichen Küsten dieses Landes bald innehatten und, da ihre Stämme dies- und jenseit des Meers zusammenhingen, sie auch in manchen Künsten erfahrner als die Galen waren, in dieser Lage nichts so bequem als die Seeräuberei treiben konnten. Sie scheinen ein wilderes Volk gewesen zu sein als die Galen, das auch unter den Römern an Sittlichkeit wenig zunahm und, als diese das Land verließen, in einen so hülflosen Zustand der Barbarei und Ausschweifung versank, daß es bald die Römer, bald zu eignem Schaden die Sachsen als Hülfsvölker ins Land rufen mußte. Sehr übel erging es ihnen unter diesen deutschen Helfern. In Horden kamen diese herüber und verwüsteten bald mit Feuer und Schwert: weder Menschen noch Anlagen wurden verschonet; das Land wurde zur Einöde, und wir finden endlich die armen Kymren an die westliche Ecke Englands, in die Gebirge von Wales, in die Ecke von Cornwallis verdrängt oder nach Bretagne geflüchtet oder vertilget. Nichts gleicht dem Haß, den die Kymren gegen ihre treulosen Freunde, die Sachsen, hatten und viele Jahrhunderte durch, auch nachdem sie in ihre nackten Gebirge eingeschlossen waren, lebhaft nährten. Lange erhielten sie sich unabhängig, im völligen Charakter ihrer Sprache, Regierungsart und Sitten, von denen wir im Regulativ des Hofstaats ihrer Könige und ihrer Beamten noch eine merkwürdige Beschreibung haben247), indessen kam auch die Zeit ihres Endes. Wales wurde überwunden und mit England vereinigt; nur die Sprache der Kymren erhielt und erhält sich noch, sowohl hier als in Bretagne. Sie erhält sich noch, aber in unsichern Resten; und es ist gut, daß ihr Charakter in Büchern aufgenommen worden248), weil unausbleiblich sowohl sie als alle Sprachen dergleichen verdrängter Völker ihr Ende erreichen werden und mit dieser in Bretagne dies wohl zuerst geschehen dörfte. Nach dem allgemeinen Lauf der Dinge erlöschen die Charaktere der Völker allmählich; ihr Gepräge nützt sich ab, und sie werden in den Tiegel der Zeit geworfen, in welchem sie zur toten Masse hinabsinken oder zu einer neuen Ausprägung sich läutern.

 Das Denkwürdigste, was uns von den Kymren übriggeblieben und wodurch wunderbar auf die Einbildungskraft der Menschen gewirkt worden, ist ihr König Artus mit seinen Rittern der runden Tafel. Natürlich kam die Sage von ihm sehr spät in Bücher, und nur nach den Kreuzzügen bekam sie ihren Schmuck der Romandichtung; ursprünglich aber gehört sie den Kymren zu, denn in Cornwallis herrschte König Artus; dort und in Wales tragen in der Volkssage hundert Orte noch von ihm den Namen. In Bretagne, der Kolonie der Kymren, wurde, vom romantischen Fabelgeist der Normannen belebt, das Märchen wahrscheinlich zuerst ausgebildet und breitete sich sodann mit zahllosen Erweiterungen über England, Frankreich, Italien, Spanien, Deutschland, ja späterhin in die gebildete Dichtkunst. Märchen aus dem Morgenlande kamen dazu, Legenden mußten alles heiligen und segnen; so kam dann das schöne Gefolge von Rittern, Riesen, dem Zauberer Merlin (auch einem Waliser), von Feen, Drachen und Abenteurern zusammen, an welchem sich jahrhundertelang Ritter und Frauen vergnügten. Es wäre umsonst, genau zu fragen, wenn König Artus gelebt habe; aber den Grund, die Geschichte und Wirkungen dieser Sagen und Dichtungen durch alle Nationen und Jahrhunderte, in denen sie geblüht, zu untersuchen und als ein Phänomenon der Menschheit ins Licht zu stellen, dies wäre, nach den schönen Vorarbeiten dazu, ein ruhmwürdiges Abenteuer, so angenehm als belehrend.249)

 


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