I.6. Der Planet, den wir bewohnen, ist ein Erdgebirge, das über die Wasserfläche hervorragt

 

So hat also die Natur mit den Bergreihen, die sie zog, wie mit den Strömen, die sie herunterrinnen ließ, gleichsam den rohen, aber festen Grundriß aller Menschengeschichte und ihrer Revolutionen entworfen. Wie Völker hie und da durchbrachen und weiteres Land entdeckten; wie sie längst den Strömen fortzogen und an fruchtbaren Örtern Hütten, Dörfer und Städte bauten; wie sie sich zwischen Bergen und Wüsten, etwa einen Strom in der Mitte, gleichsam verschanzten und diesen von der Natur und ihrer Gewohnheit abgezirkten Erdstrich nun das Ihre nannten; wie hieraus nach der Beschaffenheit der Gegend verschiedne Lebensarten, zuletzt Reiche entstanden, bis das menschliche Geschlecht endlich Ufer fand und an dem meistens unfruchtbarern Ufer auf der See gehen und aus ihr Nahrung gewinnen lernte - das alles gehört so sehr zur natürlich fortschreitenden Geschichte des Menschengeschlechts als zur Naturgeschichte der Erde. Eine andere Höhe war's, die Jagdnationen erzog, die also Wildheit unterhielt und nötig machte; eine andere, mehr ausgebreitet und milde, die Hirtenvölkern ein Feld gab und ihnen friedliche Tiere zugesellte; eine andere, die den Ackerbau leicht und notwendig machte; noch eine andere, die aufs Schwimmen und den Fischfang stieß, endlich und zuletzt gar zum Handel führte - lauter Perioden und Zustände der Menschheit, die der Bau unserer Erde in seiner natürlichen Verschiedenheit und Abwechselung notwendig machte. In manchen Erdstrichen haben sich daher die Sitten und Lebensarten Jahrtausende erhalten, in andern sind sie, meistens durch äußere Ursachen, verändert worden, aber immer nach Proportion des Landes, von dem die Veränderung kam, sowie dessen, in dem sie geschah und auf das sie wirkte. Meere, Bergketten und Ströme sind die natürlichsten Abscheidungen, so der Länder, so auch der Völker, Lebensarten, Sprachen und Reiche; ja auch in den größesten Revolutionen menschlicher Dinge sind sie die Direktionslinien oder die Grenzen der Weltgeschichte gewesen. Liefen die Berge, flössen die Ströme, uferte das Meer anders, wie unendlich anders hätte man sich auf diesem Tummelplatz von Nationen umhergeworfen!

Ich will nur einige Worte über die Ufer des Meers sagen: Sein Schauplatz ist so weit als mannigfaltig und groß die Aussicht des festen Landes. Was ist's, das Asien so zusammenhängend an Sitten und Vorurteilen, ja recht eigentlich zum ersten Erziehungshause und Bildungsplatz der Völker gemacht hat? Zuerst und vorzüglich, daß es solch eine große Strecke festen Landes ist, in welchem Völker sich nicht nur leicht fortbreiten, sondern auch lange und immer zusammenhangen mußten, sie mochten wollen oder nicht. Das große Gebirge trennt Nord- und Südasien, sonst aber trennet diese weiten Strecken kein Meer; der einzige Kaspische See ist als ein Rest des alten Weltmeers am Fuß des Kaukasus stehengeblieben. Hier fand also die Tradition so leicht ihren Weg und konnte durch neue Traditionen aus derselben oder einer andern Gegend verstärkt werden. Hier wurzelte also alles so tief, Religion, Vateransehen, Despotismus! Je naher nach Asien, desto mehr sind diese Dinge als alte ewige Sitte zu Hause, und ohngeachtet aller Verschiedenheiten einzelner Staaten sind sie über das ganze Südasien gebreitet. Das nördliche, das durch hohe Bergmauern von jenem geschieden ist, hat sich in seinen vielen Nationen anders, aber, trotz aller Verschiedenheit der Völker unter sich, auf einen ebenso einförmigen Fuß gebildet. Der ungeheuerste Strich der Erde, die Tartarei, wimmelt von Nationen verschiedner Abkunft, die doch beinah alle auf einer Stufe der Kultur stehen; denn kein Meer trennt sie; sie tummeln sich alle umher auf einer großen, nordwärts hinabgesenkten Tafel.

Dagegen, was macht das kleine Rote Meer für Unterscheidung! Die Abessinier sind ein arabischer Völkerstamm, die Ägypter ein asiatisches Volk; und welch eine andere Welt von Sitten und Lebensweise errichtete sich unter ihnen! An den untersten Ecken von Asien zeigt sich ein gleiches. Der kleine Persische Meerbusen, wie sehr trennt er Arabien und Persien! Der kleine Malayische Sinus, wie sehr unterscheidet er die Malayen und Kambojer voneinander! Bei Afrika ist's offenbar, daß die Sitten seiner Einwohner weniger verschieden sind, weil diese durch keine Meere und Meerbusen, sondern vielleicht nur durch die Wüsten voneinander getrennt werden. Auch fremde Nationen haben daher weniger auf dasselbe wirken können, und uns, die wir alles durchkrochen haben, ist dieser ungeheure Erdteil so gut als unbekannt; bloß und allein, weil er keine tiefe Einschnitte des Meers hat und sich wie ein unzugangbares Goldland mit einer stumpfen Strecke ausbreitet. Amerika ist vielleicht auch deswegen voll so viel kleiner Nationen, weil es nord- und südlich mit Flüssen, Seen und Bergen durchschnitten und zerhackt ist. Seiner Lage nach ist's von außen das zugangbarste Land, da es aus zwei Halbinseln besteht, die nur durch einen engen Isthmus zusammenhangen, an dem die tiefe Einbucht noch einen Archipelagus von Inseln bildet. Es ist also gleichsam ganz Ufer und daher auch der Besitz fast aller europäischen Seemächte sowie im Kriege immer der Apfel des Spiels. Günstig ist diese Lage für uns europäische Räuber; ungünstig war seine innere Durchschnittenheit für die Bildung der alten Einwohner. Sie lebten voneinander durch Seen und Ströme, durch plötzlich abbrechende Höhen und Tiefen zu sehr gesondert, als daß die Kultur eines Erdstrichs oder das alte Wort der Tradition ihrer Väter sich wie in dem breiten Asien hätte befestigen und ausbreiten mögen.

Warum zeichnet sich Europa durch seine Verschiedenheit von Nationen, durch seine Vielgewandtheit von Sitten und Künsten, am meisten aber durch die Wirksamkeit aus, die es auf alle Teile der Welt gehabt hat? Ich weiß wohl, daß es einen Zusammenfluß von Ursachen gibt, den wir hier nicht auseinanderleiten können; physisch aber ist's unleugbar, daß sein durchschnittenes, vielgestaltiges Land mit dazu eine veranlassende und fördernde Ursache gewesen. Als auf verschiednen Wegen und zu verschiednen Zeiten sich die Völker Asiens hieher zogen: welche Buchten und Busen, wie viele und verschieden laufende Ströme, welche Abwechselung kleiner Bergreihen fanden sie hier! Sie konnten zusammen sein und sich trennen aufeinander wirken und wieder in Friede leben; der vielgegliederte kleine Weltteil wurde also der Markt und das Gedränge aller Erdvölker im kleinen. Das einzige Mittelländische Meer, wie sehr ist es die Bestimmerin des ganzen Europa worden! so daß man beinah sagen kann, daß dies Meer allein den Überund Fortgang aller alten und mittlern Kultur gemacht habe. Die Ostsee steht ihm weit nach, weil sie nördlicher, zwischen härtern Nationen und unfruchtbarern Ländern, gleichsam auf einer Nebenstraße des Weltmarkts, liegt; indessen ist auch sie dem ganzen Nordeuropa das Auge. Ohne sie wären die meisten ihr angrenzenden Länder barbarisch, kalt und unbewohnbar. Ein gleiches ist's mit dem Einschnitt zwischen Spanien und Frankreich, mit dem Kanal zwischen diesem und England, mit der Gestalt Englands, Italiens, des alten Griechenlandes. Man ändere die Grenzen dieser Länder, nehme hier eine Meerenge weg, schließe dort eine Straße zu, und die Bildung und Verwüstung der Welt, das Schicksal ganzer Völker und Weltteile geht Jahrhunderte durch auf einem andern Wege.

Zweitens Fragt man also, warum es außer unsern vier Weltteilen keinen fünften Weltteil in jenem ungeheuren Meer gibt, in dem man ihn so lange für gewiß gehalten, so ist die Antwort anjetzt durch Tatsachen ziemlich entschieden: weil es in dieser Meerestiefe kein so hohes UrGebirge gab, an dem sich ein großes festes Land bilden konnte. Die asiatischen Gebirge schneiden sich in Ceylon mit dem Adamsberge, auf Sumatra und Borneo mit den Bergstrecken aus Malakka und Siam ab, so wie die afrikanischen am VorGebirge der Guten Hoffnung und die amerikanischen am Feuerlande. Nun geht der Granit, die Grundsäule des festen Landes, in die Tiefe nieder und kommt, hohen Strecken nach, nirgend mehr überm Meer zum Vorschein. Das große Neuholland hat keine Gebirgskette der ersten Gattung; die Philippinen, Molukken und die andern hin und wieder zerstreuten Inseln sind alle nur vulkanischer Art, und viele derselben haben noch bis jetzt Vulkane. Hier konnten also zwar der Schwefel und die Kiese ihr Werk verrichten und den Gewürzgarten der Welt hinaufbauen helfen, den sie mit ihrer unterirdischen Glut als ein Treibhaus der Natur wahrscheinlich mit unterhalten. Auch die Korallentiere tun, was sie können4, und bringen, in Jahrtausenden vielleicht, die Inselchen hervor, die als Punkte im Weltmeer liegen; weiter aber erstreckten sich die Kräfte dieser südlichen Weltgegend nicht. Die Natur hatte diese ungeheuren Strecken zur großen Wasserkluft bestimmt; denn auch sie war dem bewohnten Lande unentbehrlich. Entdeckt sich einst das physische Bildungsgesetz der UrGebirge unserer Erde, mithin auch der Gestalt des festen Landes, so wird sich in ihm auch die Ursache zeigen, warum der Südpol keine solche Gebirge, folglich auch keinen fünften Weltteil haben konnte. Wenn er da wäre, mußte er nicht auch nach der jetzigen Beschaffenheit der Erdatmosphäre unbewohnt liegen und wie die Eisschollen und das Sandwichsland den Seehunden und Pinguins zum Erbeigentum dienen?

Drittens. Da wir hier die Erde als einen Schauplatz der Menschengeschichte betrachten, so ergibt sich aus dem, was gesagt ist, augenscheinlich, wie besser es war, daß der Schöpfer die Bildung der Berge nicht von der Kugelbewegung abhangen ließ, sondern ein anderes, von uns noch unentdecktes Gesetz für sie feststellte. Wäre der Äquator und die größeste Bewegung der Erde unter ihm an der Entstehung der Berge Ursach, so hätte sich das feste Land auch in seiner größten Breite unter ihm fortstrecken und den heißen Weltgürtel einnehmen müssen, den jetzt größtenteils das Meer kühlt. Hier wäre also der Mittelpunkt des menschlichen Geschlechts gewesen, gerade in der trägsten Gegend für körperliche und Seelenkräfte, wenn anders die jetzige Beschaffenheit der gesamten Erdnatur noch stattfinden sollte. Unter dem Brande der Sonne, den heftigsten Explosionen der elektrischen Materie, der Winde und allen kontrastierenden Abwechselungen der Witterung hätte unser Geschlecht seine Geburts- und erste Bildungsstätte nehmen und sich sodann in die kalte Südzone, die dicht an den heißen Erdstrich grenzt, sowie in die nordlichen Gegenden verbreiten müssen; der Vater der Welt wählte unserm Ursprunge eine bessere Bildungsstätte. In den gemäßigten Erdstrich rückte er den Hauptstamm der Gebirge der Alten Welt, an dessen Fuß die wohlgebildetsten Menschenvölker wohnen. Hier gab er ihm eine mildere Gegend, mithin eine sanftere Natur, eine vielseitigere Erziehungsschule, und ließ sie von da, festgebildet und wohlgestärkt, nach und nach in die heißern und kältern Regionen wandern. Dort konnten die ersten Geschlechter zuerst ruhig wohnen, mit den Gebirgen und Strömen sich sodenn allmählich herabziehn und härterer Gegenden gewohnt werden. Jeder bearbeitete seinen kleinen Umkreis und nutzte ihn, als ob er das Universum wäre. Glück und Unglück breiteten sich nicht so unaufhaltsam weiter, als wenn eine, wahrscheinlich höhere Bergkette unter dem Äquator die ganze Nord- und Südwelt hätte beherrschen sollen. So hat der Schöpfer der Welt es immer besser geordnet, als wir ihm vorschreiben mögen; auch die unregelmäßige Gestalt unserer Erde erreichte Zwecke, die eine größere Regelmäßigkeit nicht würde erreicht haben.

 


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