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III. [Die Trennung der Gesamtpersönlichkeit von ihren einzelnen Leistungen und deren Folgen für die Leistungsäquivalente]

 

Neben der skizzierten Phänomenenreihe, welche auf dieses Endziel hinaussieht, steht eine andere, die auf den ersten Blick die genau entgegengesetzte Konsequenz zeigt. Es scheint z.B., als ob der Stücklohn dem bisher charakterisierten Fortschritt der Geldkultur mehr entspräche, als der Stundenlohn. Denn der letztere steht dem Indienstnehmen des ganzen Menschen, mit seinen gesamten, aber nicht sicher bestimmbaren Kräften, viel näher, als der Stücklohn, wo die einzelne, genau bestimmte, aus dem Menschen völlig herausobjektivierte Leistung vergolten wird. Dennoch ist augenblicklich der Stundenlohn dem Arbeiter im allgemeinen günstiger - außer wo technische Umstände, z.B. rasche Änderung der Maschinen im Sinne der Produktivitätssteigerung, für den Stücklohn sprechen -, gerade weil sich die Entlohnung hier nicht mit derselben Strenge wie beim Stücklohn nur nach der vollbrachten Leistung richtet; sie bleibt dieselbe, auch wenn Pausen, Verlangsamungen, Versehen, ihr Resultat irgendwie alterieren. So erscheint der Stundenlohn menschenwürdiger, weil er ein größeres Vertrauen voraussetzt, und er gibt innerhalb der Arbeit doch etwas mehr tatsächliche Freiheit, als der Stücklohn, trotzdem (oder hier vielmehr: weil) der Mensch als ganzer in das Arbeitsverhältnis eintritt und so die Unbarmherzigkeit des rein objektiven Maßstabes gemildert wird. Die Steigerung dieses Verhältnisses ist in der »Anstellung« zu erblicken, in der die einzelne Leistung noch viel weniger den unmittelbaren Maßstab der Entlohnung abgibt, sondern die Summe derselben, die Chance aller dazwischentretenden menschlichen Unzulänglichkeiten einschließend, bezahlt wird. Am deutlichsten wird dies bei der Stellung des höheren Staatsbeamten, dessen Gehalt überhaupt keine quantitative Beziehung zu seinen einzelnen Leistungen mehr hat, sondern ihm nur die standesgemäße Lebenshaltung ermöglichen soll. Als kürzlich auf einen Gerichtsbeschluß hin einem preußischen Beamten, der durch eigenes schweres Verschulden längere Zeit an seiner Funktionierung verhindert war, ein Teil seines Gehaltes für diese Zeit einbehalten wurde, hob das Reichsgericht das Urteil auf: denn das Gehalt eines Beamten sei keine pro rata geltende Gegenleistung für seine Dienste, sondern eine »Rente«, welche dazu bestimmt sei, ihm die Mittel zu seinem, dem Amte entsprechenden standesgemäßen Unterhalt zu geben. Hier wird die Entlohnung also prinzipiell gerade auf das personale Element unter Ausschluß einer genauen objektiven Äquivalenz gerichtet. Freilich sind diese Gehälter immer auf längere Perioden hinaus festgelegt, und bei dem Schwanken des Geldwertes in diesen wird gerade durch die Stabilität des Einkommens die Stabilität der Lebenshaltung verhindert, während die Bezahlung der Einzelleistung viel leichter den Veränderungen des Geldwertes folgt. Allein das entkräftet meine Deutung dieses Verhältnisses so wenig, daß es vielmehr die Unabhängigkeit des persönlichen Elementes von dem ökonomischen, auf die es ankommt, erst recht hervorhebt. Daß die Honorierung hier nur ganz im allgemeinen erfolgt und sich nicht den einzelnen Wechselfällen der ökonomischen Entwicklung anschmiegt, bedeutet ja gerade die Absonderung der Persönlichkeit als eines Ganzen von der Einzelheit ökonomisch bewertbarer Leistungen; und der stabile Gehalt verhält sich zu der wechselnden Höhe seiner Einzelverwertungen, wie die ganze Persönlichkeit zu der unvermeidlich wechselnden Qualität ihrer einzelnen Leistungen. - Die äußerste, wenngleich nicht immer als solche erkennbare Stufe dieser Phänomenenreihe liegt in der Honorierung jener idealen Funktionen, deren Inkommensurabilität mit irgendwelchen Geldsummen jede »angemessene« Bezahlung illusorisch macht. Die Bedeutung der Bezahlung kann hier nur sein, daß man das Entsprechende beiträgt, um dem Leistenden die angemessene Lebenshaltung zu ermöglichen, nicht aber, daß sie und die Leistung sich sachlich entsprächen. Deshalb wird dem Portraitmaler das Honorar gleichmäßig bezahlt, ob das Bild ganz gelungen ist oder nicht, dem Konzertgeber das Eintrittsgeld, auch wenn er nachher schlecht spielt, dem Arzt seine Taxe, ob der Patient geheilt wird oder stirbt - während auf niedrigeren Gebieten das Ob und Wieviel der Zahlung viel direkter und genauer von dem Ausfall der Leistung abhängt. Wie sehr der sachliche Zusammenhang zwischen der Leistung und dem Äquivalent hier durchbrochen ist, lehrt auf den ersten Blick das Mißverhältnis ihrer Quantitäten. Wer für ein Gemälde, Theater, Belehrung noch einmal so viel Geld aufwendet, als für andere, und in beiden Fällen angemessen gezählt zu haben glaubt, kann doch nicht sagen: dieses Bild ist genau noch einmal so schön wie das andere, diese Belehrung genau doppelt so tief und wahr wie die andere. Und selbst, wenn man die Bezahlung jenseits der objectiven Schätzung und auf die verschiedenen Quanten des subjektiven Genusses stellen wollte, würde man, auf je höhere Gebiete man kommt, um so weniger die genauen Verhältnisse zwischen jenen behaupten wollen, auf die die Geldäquivalente logische Anweisung geben. Schließlich tritt die völlige Beziehungslosigkeit des Entlohnungsquantums zu der Leistung etwa am schärfsten hervor, wenn man für das Spiel eines Musikvirtuosen, das uns zu den höchsten Stufen der in uns entwickelbaren Empfindungen gehoben hat, ein paar Mark bezahlt. Einen Sinn erhält ein derartiges Äquivalent nur von dem Standpunkt aus, daß es sich überhaupt gar nicht mit der einzelnen Leistung dem Werte nach decken, sondern nur zu demjenigen Unterhalt des Künstlers beitragen soll, der ein geeignetes Fundament für seine Leistung bildet. So scheint also gerade bei den höchsten Produktionen die Entwicklung umzubiegen: das Geldäquivalent gilt nicht mehr der einzelnen Leistung, unter Beziehungslosigkeit zu der dahinterstehenden Person, sondern gerade dieser Person als ganzer, unter Beziehungslosigkeit zu ihrer einzelnen Leistung.

Sieht man aber näher zu, so strebt diese Erscheinungsreihe doch demselben Punkte zu, wie jene andere, die ihr Ideal in der reinen Sachlichkeit der ökonomischen Stellung fand. Beide münden gleichmäßig an einer völligen gegenseitigen Verselbständigung der ökonomischen Leistung und der Persönlichkeit. Denn nichts anderes bedeutet es, wenn der Beamte oder der Künstler nicht für seine einzelne Leistung honoriert wird, sondern wenn es der Sinn seines Honorars ist, ihm eine gewisse persönliche Lebenshaltung zu ermöglichen. Allerdings ist hier, im Gegensatz zu der früheren Reihe, das Persönliche mit dem ökonomischen in Verbindung gesetzt; aber doch so, daß innerhalb des Komplexes der Persönlichkeit selbst die Leistungen, für welche allerdings im letzten Grunde das Äquivalent gegeben wird, sich gerade sehr scharf gegen die Gesamtpersönlichkeit, als die Grundlage jener Leistungen, absetzen. Die Befreiung der Persönlichkeit, die in ihrer Differenzierung von der objektiven Leistung liegt, wird in gleicher Weise vollzogen: ob nun von der wachsenden Objektivierung der Leistung ausgehend, die schließlich für sich allein in die ökonomische Zirkulation eintritt und die Persönlichkeit ganz draußen läßt - oder anhebend von der Honorierung bzw. Unterhaltung der Persönlichkeit als ganzer, aus der dann die einzelne Leistung ohne direktes und singuläres ökonomisches Äquivalent hervorgeht. In beiden Fällen wird die Persönlichkeit von dem Zwange befreit, den ihre unmittelbare ökonomische Verkettung mit der einzelnen objektiven Leistung ihr auferlegt.

 


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